Achtelfinale vor 45.000 Zuschauern Deutsche Politiker halten Wembley-Pläne für unverantwortlich

Berlin · Im Achtelfinale gegen England sind erstmals während der Fußball-EM 45.000 Zuschauer im Wembley-Stadion erlaubt - obwohl Großbritannien als Virusvariantengebiet gilt. Politiker, darunter die Gesundheitsexperten von Grünen und SPD, Janosch Dahmen und Karl Lauterbach, fordern mehr Corona-Vorsicht.

 Deutschland trifft im Achtelfinale auf England im Wembley Stadion in London(Archivfoto).

Deutschland trifft im Achtelfinale auf England im Wembley Stadion in London(Archivfoto).

Foto: dpa/Alberto Pezzali

Vor dem Achtelfinale der deutschen Nationalmannschaft im Wembley-Stadion in London fordert der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen mehr Corona-Vorsicht bei der Europameisterschaft. „Es besorgt mich als Gesundheitspolitiker und Arzt gleichermaßen, wenn trotz des rasanten Anstiegs gefährlicher Virusvarianten an den dicht-gedrängten Fußballstadien, oftmals ohne ausreichenden Abstand und Maske, festgehalten wird“, sagte der Bundestagsabgeordnete am Dienstag in Berlin.

Bei dem Achtelfinale gegen England erlaubt die britische Regierung erstmals während der Europameisterschaft 45.000 Zuschauer in Wembley. Wegen der Corona-Reiserestriktionen aufgrund der Delta-Variante werden nur wenige deutsche Fans erwartet. Großbritannien ist als Virusvariantengebiet eingestuft.

Dahmen wandte sich generell gegen den derzeitige Corona-Kurs der EM-Verantwortlichen. „Inzwischen sind ja sogar Nationalspieler mehrerer Mannschaften infiziert“, sagte er. „Wir machen so alles kaputt, was wir uns an niedrigen Fallzahlen aufgebaut haben.“ Der Politiker und Arzt forderte: „Fußball sollte Vorbild sein und nicht in trügerischer Sorglosigkeit selbst zum Pandemietreiber werden.“

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat an die britische Regierung und den europäischen Fußballverband Uefa appelliert, die Zuschauerzahlen bei den verbleibenden Spielen der seit zweieinhalb Wochen laufenden Europameisterschaft zu reduzieren. „Ich halte es für unverantwortlich, wenn in Ländern, die als Virusvariantengebiet der hoch ansteckenden Delta-Mutation gelten, zigtausende Menschen auf engem Raum zusammenkommen“, sagte Seehofer der „Augsburger Allgemeinen“ vom Dienstag. Das sei auch die Auffassung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), mit der er sich dazu abgestimmt habe.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte dem Fernsehsender Phoenix, er halte die großen Zuschauerzahlen für „nicht vertretbar“. „Wir haben einen Supersommer, der steht auch nicht zur Disposition - die Frage ist: Wie wird der Herbst?“, sagte Lauterbach. Große Menschenansammlungen müssten vermieden werden, insbesondere dort, wo die Delta-Virusvariante grassiere. Einen neuerlichen Lockdown im Herbst erwarte er dank der Impffortschritte aber nicht.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) warnte vor weiteren Lockerungen bei der EM. „Die Uefa und der DFB müssen dringend dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden - der Plan, jetzt noch mehr Leute in die Stadien zu lassen, wie in Wembley, ist unverfroren“, sagte Kretschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Schon die bisherigen Bilder von der Fußball-EM vermittelten den Eindruck, dass die Pandemie vorbei sei. „Das ist ein absolut falsches Signal“, sagte Kretschmann. Bei den Spielen in Ungarn und Dänemark seinen die Stadien „knallvoll“ gewesen, jedes der Spiele könne zum Superspreaderevent werden. „Dieser Leichtsinn macht mich fassungslos.“

Vor dem Hintergrund der EM und der Reisemobilität brauche es verschärfte Testregeln für Rückkehrer und eine konsequente Durchsetzung der Quarantäne, forderte Dahmen. „Sonst werden am Ende des Sommers ausgerechnet Kinder und Familien die Leidtragenden von Sorg- und Rücksichtslosigkeit sein.“

Auch in Deutschland greift die ansteckendere Delta-Variante immer mehr um sich. Sie macht mittlerweile einen Anteil von mindestens 35 Prozent an untersuchten Proben aus, wie der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Montag in einer Schalte der Gesundheitsminister von Bund und Ländern gesagt hatte. Da die Daten bereits einige Tage alt seien, sei der Anteil derzeit tatsächlich sogar auf rund 50 Prozent zu schätzen.

(ahar/dpa/afp)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort