Irritation im Ausland über den Corona-Sonderweg Schweden startet Charmeoffensive

Stockholm · Für seinen Sonderweg, in der Pandemie auf Empfehlungen statt Verbote zu setzen, hat das Land einen hohen Preis bezahlt. Im Ausland ist man irritiert. Die Regierung will jetzt Diplomaten einspannen, um das Image des Landes zu verbessern.

 „In Malmö ist alles nah. Aber jetzt müssen wir Abstand halten“, steht auf einem Schild in der südschwedischen Stadt.

„In Malmö ist alles nah. Aber jetzt müssen wir Abstand halten“, steht auf einem Schild in der südschwedischen Stadt.

Foto: dpa/Johan Nilsson

Schweden will der wachsenden Kritik an seinem lockeren Sonderweg in der Corona-Bekämpfung nun mit einer großen Kampagne begegnen. Das Außenministerium plane offenbar, dem negativen Image Schwedens im Ausland entgegenzutreten, berichtet die Tageszeitung „Aftonbladet“, der entsprechende Informationen vorliegen. „Nun übt die Regierung Druck auf das diplomatische Korps aus, um das Schweden-Bild reinzuwaschen“, schreibt die Zeitung und zitiert Außenministerin Ann Linde aus ihrer Rede an die in Stockholm stationierten ausländischen Geschäftsträger: „Als Botschafter in Schweden habt ihr die wichtige Aufgabe, eure Hauptstädte über die Situation hier zu informieren.“

Vor allem im Ausland ist scharfe Kritik an der Corona-Strategie Schwedens laut geworden. In dem Land mit seinen gut zehn Millionen Einwohnern blieb während der Pandemie fast alles erlaubt und fast alles geöffnet: sämtliche Geschäfte, Schulen bis zur neunten Klasse, Kindergärten, Büros, Bars, Restaurants, Fitnessstudios, Büchereien und sogar einige Kinos. Noch bis zum 29. März durften 500 Menschen zusammenkommen; seither liegt die Obergrenze bei 50. Diese Begrenzung und eine Besuchssperre in Altenheimen waren die einzigen Verbote. Stattdessen empfahlen die staatlichen Stellen Händewaschen und Zuhausebleiben, wenn man könne oder sich nur leicht krank fühle.

Der Preis war eine hohe Zahl der Toten, umgerechnet auf die Einwohnerzahl – im Vergleich zu den nordischen Nachbarn, aber auch zu Deutschland. Im Ausland führte das zu Irritationen, während die Kritik in Schweden selbst verhalten blieb.

Der Tenor der diplomatischen Kampagne solle nun, so berichtet „Aftonbladet“, darauf liegen, dass die schwedische Strategie sich von der des Auslands nicht unterscheide: „Schweden teilt die gleichen Ziele wie alle anderen Länder. Wir arbeiten mit den gleichen Herausforderungen und benutzen ähnliche Werkzeuge wie die meisten anderen Länder“, habe die Außenministerin in ihrer Rede gesagt. Die Wörter „gleichen“ und „ähnlichen“ seien in der Rede dick gedruckt gewesen.

Im Ausland sei Schwedens Strategie oft missverstanden worden, soll auch Sozialministerin Lena Hallengren vor dem diplomatischen Korps in Stockholm gesagt haben. In Schweden habe man entgegen den Behauptungen im Ausland nicht einfach weitergemacht wie zuvor. Auch sei ein zentrales Ziel nicht die Herdenimmunität durch relativ ungehemmte Ansteckung vieler Menschen gewesen, habe die Ministerin unterstrichen und betont, dass das schwedische Gesundheitssystem zu keinem Zeitpunkt überlastet gewesen sei. „Es hat die ganze Zeit zwischen 20 und 30 Prozent freie Betten auf den Intensivstationen gegeben“, habe Hallengren gesagt.

Im traditionell staatsgläubigen Schweden genießt die rot-grüne Regierung weiter viel Vertrauen im Volk. Auch die Opposition verhält sich relativ ruhig – sie stützte ja von Anfang an den Sonderweg. Sie setzte aber durch, dass die Strategie von einer Kommission geprüft wird.

Annika Linde, die frühere „Staatsepidemiologin“ der Gesundheitsbehörde, die den Sonderweg zunächst gestützt hatte, kritisierte zudem, man hätte sich zumindest anfangs für einen Lockdown entscheiden müssen, um Zeit zu gewinnen und notwendige Vorkehrungen für die besonders gefährdeten Risikogruppen zu treffen. Ihr Nachfolger Anders Tegnell entgegnete, ein genereller Lockdown hätte die hohen Sterbezahlen nicht vermindert. So gebe es Länder mit Lockdown, in denen die Todeszahlen höher gewesen seien als in Schweden.

Allerdings hat Tegnell auch eingeräumt, dass man mit dem jetzigen Wissen in einer vergleichbaren neuen Situation möglicherweise eher einen Mittelweg aus einem harten Lockdown wie anderswo und der lockeren „Empfehlungspolitik“ der Schweden eingeschlagen hätte. Am Sonderweg hält Tegnell aber fest: Im Nachhinein sei man immer klüger. Auch sei noch unklar, welches  Vorgehen am effektivsten sei, wenn denn Verbote erlassen würden. Vielleicht, vermutete Tegnell, könne man das am Beispiel der Lockdown-Staaten beobachten, die sich nun schrittweise öffneten.

Viele Schweden beunruhigt derzeit vor allem, dass sie in diesem Sommer wegen des Sonderwegs ihrer Regierung nicht in allen europäischen Ländern als Touristen willkommen sein könnten. Dänemark öffnet seine Grenzen am 15. Juni für die Deutschen, die für den Tourismus enorm wichtig sind, und für Norweger. Für die Schweden bleibt die Grenze zunächst geschlossen. Auch Zypern lässt im Sommer Norweger und Dänen ein, nicht aber Schweden. Niedersachsen verfügte eine Quarantänepflicht für Schweden-Rückkehrer. Die Beschlüsse wurden mit den unterschiedlichen Phasen in der Corona-Bekämpfung begründet. In Schweden seien die Todeszahlen und vermutlich die Ansteckungszahlen viel höher, wurde argumentiert.

Tegnell entgegnete, in Schweden sei die Herdenimmunität bereits so weit, dass schwedische Touristen vermutlich sichere Gäste seien, weil sie Corona schon hatten und deshalb immun sind. Wie es tatsächlich um die Herdenimmunität steht, ist allerdings umstritten.

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