Stichtag 25. November Was ein Ende der Corona-Notlage bedeuten würde

Berlin · Die sogenannte „epidemische Lage nationaler Tragweite“ könnte Ende November auslaufen. Darüber wird in der Politik diskutiert. Was würde sich dann konkret ändern? Ein Überblick.

 Seit der Pandemie tragen viele Menschen auch draußen einen Mund-Nasen-Schutz (Archivfoto).

Seit der Pandemie tragen viele Menschen auch draußen einen Mund-Nasen-Schutz (Archivfoto).

Foto: dpa/Carsten Koall

Seit eineinhalb Jahren gilt in Deutschland eine bundesweite Corona-Notlage. Diese ermöglicht es Bundesregierung und Landesregierungen, ohne Zustimmung von Parlamenten Corona-Maßnahmen anzuordnen. Im März 2020 stellte der Bundestag erstmals die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ fest und hat sie seitdem immer wieder verlängert. Zuletzt im August. Nun wird vorgeschlagen, die Notlage zum 25. November auslaufen zu lassen.

Wozu gibt es die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ überhaupt?

Das Ursprungsargument dafür war im März 2020: Infektionsschutz ist zwar Sache der Bundesländer, aber diese Krise muss vom Bund gemanagt werden. „Um einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen, wird die Bundesregierung in die Lage versetzt, schnell mit schützenden Maßnahmen einzugreifen“, hieß es damals. Die „epidemische Lage“ ermächtigte das Bundesgesundheitsministerium im Infektionsschutzgesetz, ohne große Abstimmung Verordnungen zu erlassen, um die Grundversorgung mit Medikamenten, Schutzausrüstung oder Laborkapazitäten sicherzustellen.

Was hat das konkret mit dem Alltag zu tun - mit Masken, Abstand oder Veranstaltungen?

Im Laufe der Krise wurde das Infektionsschutzgesetz mehrfach geändert. Dabei wurden auch spezielle Corona-Maßnahmen ergänzt, die von den Ländern direkt angeordnet werden können, wenn eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ gilt. Dazu zählen die Maskenpflicht, Abstands- und Kontaktregeln, Veranstaltungsverbote oder -einschränkungen, geschlossene Restaurants, die Pflicht, einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis vorzulegen, und die vielen anderen Maßnahmen, die den Alltag in den vergangenen eineinhalb Jahren geprägt haben.

Wäre automatisch Schluss mit Masken, Abstand und Zugangsbeschränkungen, wenn die „epidemische Lage“ ausläuft?

Nein, zwar würden die im Infektionsschutzgesetz aufgeführten besonderen Schutzmaßnahmen dann eigentlich wegfallen, sagt der Verwaltungsrechtler Hinnerk Wißmann von der Universität Münster, der in der Vergangenheit auch vom Bundestag zum Thema als Sachverständiger angehört wurde. „Allerdings können die Bundesländer, die ohnehin dafür zuständig sind, die Befugnisse weiter nutzen, wenn die Landtage das beschließen.“ Das Infektionsschutzgesetz gibt den Ländern in Paragraf 28a Absatz 7 ausdrücklich die Möglichkeit, auch nach dem Ende einer „epidemischen Lage“, Corona-Maßnahmen weiter anzuwenden, wenn ihr Parlament sich dafür ausspricht.

Welche Auswirkungen hätte ein Ende der bundesweiten Corona-Notlage dann überhaupt?

Die Unterschiede zwischen den Bundesländern bei den Maßnahmen dürften sich weiter verstärken. Bisher haben die Landesregierungen die bei ihnen geltende Corona-Verordnung mit den Maßnahmen einfach regelmäßig fortgeschrieben und angepasst. Wenn die Landesparlamente mitentscheiden müssen, werden die Entscheidungswege länger und die bundesweite Abstimmung wird noch schwieriger. Vermutlich werden die Maßnahmen eher tröpfchenweise und regional unterschiedlich Richtung Frühjahr fallen, als dass es in Deutschland einen „Freedom Day“ wie in anderen Ländern gibt.

Erlaubt die derzeitige Corona-Lage aus Sicht von Wissenschaftlern das Auslaufenlassen von Maßnahmen?

Dass es noch nicht die Zeit für ein Ende aller Maßnahmen in Deutschland sei, sagen Fachleute seit einiger Zeit. Im Herbst und Winter drohen etwa laut Robert Koch-Institut (RKI) wieder mehr Corona-Infektionen. Die Impfquote gilt als noch nicht hoch genug - daran änderten Erkenntnisse über offenbar unvollständig in der Statistik erfasste Impfungen von Erwachsenen nichts.

Mehrere Fachleute kritisierten am Dienstag, dass Spahns Ankündigung zum Ende der „epidemischen Lage“ von den Menschen falsch aufgefasst werden könnte. Unschlüssige Ungeimpfte könnten sich ermuntert sehen, nun doch auf den Piks zu verzichten, da die Gefahr vermeintlich vorüber sei. „Das ist ein Signal, das von der Bevölkerung als "Freedom Day" durch die Hintertür missverstanden werden kann“, sagte Uwe Janssens, ehemaliger Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dagegen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Ich kann den Schritt nachvollziehen und halte das auch für unproblematisch.“

Ab wann wäre nach Ansicht von Expertinnen und Experten ein Ende von Corona-Maßnahmen denkbar?

Das RKI plädiert für Maske, Abstand, Hygiene und weitere Basismaßnahmen bis Frühjahr 2022. In einem Strategiepapier schreibt das Institut, Deutschland sei noch in der Übergangsphase, bis Corona endemisch werde. Das bedeutet, das Virus verschwindet zwar nicht, verursacht aber bei den meisten Menschen keine allzu schwerwiegenden Verläufe mehr, da sie durch Infektionen oder Impfung eine Grundimmunität haben. Wann der Übergang abgeschlossen sein wird, lässt sich laut RKI jedoch nicht mit Bestimmtheit voraussagen. Manche Experten finden auch, dass es in der Debatte weniger um ein mögliches Datum für einen „Freedom Day“ gehen sollte. Vielmehr müsse sich die Gesellschaft fragen, wie viele Tote und Langzeiterkrankte man bereit sei, für Öffnungen in Kauf zu nehmen.

(ahar/dpa)
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