Trotz Impfung oder Genesung Warum wir uns mehrfach mit Corona infizieren können

Düsseldorf · Geimpft oder genesen zu sein ist kein Garant dafür, von Covid verschont zu bleiben. Fälle von Mehrfachinfektionen nehmen deutlich zu. Aktuelle Studien zeigen: Dies ist wohl eine weitere Spezialität der Omikron-Variante.

 Die Zahl der Mehrfachinfektionen ist deutlich angestiegen.

Die Zahl der Mehrfachinfektionen ist deutlich angestiegen.

Foto: dpa/Sina Schuldt

Eltern schulpflichtiger Kinder sind eigentlich schon das ganze Schuljahr über im latenten Wartemodus: Die Frage, ob der Nachwuchs eines Tages Corona mit nach Hause bringt, stellen sie sich schon lange nicht mehr. Es geht nur noch um das „wann“. Ist Sars-Cov-2 dann in der Familie angekommen und verlaufen die Infektionen milde, herrscht oft sogar Erleichterung, nach dem Motto: „Gut, dass wir es jetzt haben, dann ist das Thema wenigstens erledigt.“

Das ist leider ein Irrtum und Wiegen in falscher Sicherheit. Denn immer häufiger erkranken Menschen mehrfach an Covid-19, zum Teil auch in recht kurzen zeitlichen Abständen. 2 G – geimpft oder genesen – hat seinen Zauber längst verloren.

Die verbreitete Reinfektion ist offenbar eine Spezialität von Omikron. Die mittlerweile auch durch Studien belegte These der Wissenschaft lautet hierzu: Gerade wegen der häufig eher milden Krankheitsverläufe scheint die Immunabwehr durch eine Omikron-Infektion nicht so stark aktiviert zu werden, wie dies etwa bei Vorgänger-Varianten der Fall war. Der meist harmlosere Verlauf ist also Segen und Fluch zugleich. Denn für eine starke Immunantwort braucht es vor allem eines: qualitativ hochwertige Antikörper, die das Virus effektiv neutralisieren können. Genau diese bildet unser Organsimus aber erst, wenn er ausreichend gefordert ist. Wann dies der Fall ist und wie das komplexe System der Immunabwehr reagiert, das ist bei jedem Menschen individuell unterschiedlich. Es hängt von vielen Faktoren ab, wie etwa Alter, allgemeine Konstitution, Vorerkrankungen oder andere gesundheitliche Risikofaktoren.

Tatsache ist: In England etwa haben sich bereits Hunderttausende Menschen mehrfach mit dem Coronavirus infiziert. Die Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency (UK HSA) registrierte zum Stand 6. März dort 715.154 Reinfektionen. Darunter waren sogar einige Drei- und wenige Vierfachinfektionen. Die Behörde geht allerdings wegen der meist milden Verläufe bei Omikron-Infektionen von einer hohen Dunkelziffer nicht registrierter Fälle aus.

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mahnt regelmäßig davor, Omikron nicht zu unterschätzen. Auf Twitter schreibt er: „Studien legen nahe, dass man sich relativ kurz nach der Infektion wieder anstecken kann. Ein langer Schutz wie bei Delta ist weniger wahrscheinlich. Wiederholte Infektionen sind nicht ungefährlich.“

Generell gehen Wissenschaftler davon aus, dass drei Kontakte mit dem Virus nötig sind, um eine vernünftige Immunantwort aufzubauen. Das hat zuletzt ein Forschungsteam um Ulrike Protzer, Leiterin des Instituts für Virologie der Technischen Universität München (TUM), bestätigt. Über zwei Jahre lang hat man dort Geimpfte und Genesene erfasst. Demnach spiele es bei den drei notwendigen Viruskontakten keine Rolle, ob die Testpersonen dreifach geimpft waren, einen Impfdurchbruch hatten oder genesen plus geimpft waren. Die Ergebnisse sind nachzulesen in der Zeitschrift Nature Medicine. Entscheidend für eine starke Immunantwort auf Sars-Cov-2 seien vor allem die qualitativ hochwertigen Antikörper, so die TUM. Also solche, die effektiv auch besorgniserregende Varianten neutralisieren können.

Omikron verschärft das Problem nun zusätzlich auch für komplett geimpfte und genesene Menschen. Grund dafür ist die Fähigkeit dieser Mutation zur Immunflucht. Omikron kann unserer Abwehr ein Stück weit entgehen, sie fliegt quasi unter dem Radar. Um Omikron zu neutralisieren, sind daher weitaus mehr Antikörper notwendig als bei Varianten ohne diese Immunescape-Eigenschaft. Das spiegeln auch die Infektionszahlen: Laut dem Magazin Quarks infizieren sich mit Omikron etwa fünfmal mehr Menschen als zuvor mit der Delta-Variante.

Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Schwere der Infektion und der Ausprägung der Immunantwort, stützt auch eine Studie der University of California in San Francisco (veröffentlicht auf dem Portal „medRxiv“). Hier zeigte sich, dass der Körper in der Regel mehr Antikörper bildet, wenn die Krankheit schwer verläuft. Milde Verläufe, wie sie Omikron vorwiegend auslöst, haben dagegen eine geringere Immunantwort zur Folge. Die Ergebnisse wurden allerdings noch nicht unabhängig geprüft.

Reinfektionen sind also gerade mit Omikron mehrfach möglich. Natürlich auch deshalb, weil der (ohnehin ja nicht hundertprozentige) Impfschutz mit der Zeit nachlässt. Was die zeitlichen Abstände angeht, scheint vieles möglich. Virologin Gunhild Alvik Nyborg von der Universität Oslo berichtet in einem Vorabdruck über eine neue Studie, die ebenfalls nur eine sehr begrenzte Immunantwort auf eine Infektion mit Omikron aufzeige. Sie schreibt: „Die ersehnte Herden-Immunität könnte ein weit entfernter Traum bleiben: Es scheint, als könnte man sich mehr oder weniger direkt nach einer Infektion neu anstecken.“ Und auch US-Physiker Yaneer Bar-Yam teilte zum Thema Studienergebnisse auf Twitter und schrieb dazu: „Menschen werden unmittelbar nach einer Omikron-Infektion erneut infiziert.“ Einer Analyse des Robert-Koch-Instituts zufolge ist etwa drei Monate nach einer leichten Omikron-Infektion kaum noch Immunität vorhanden.

Darüber hinaus gilt natürlich für Sars-Cov-2 auch das, was im Prinzip für jedes einfache Schnupfenvirus oder den Influenza-Erreger gilt: Man kann sich theoretisch immer wieder mit neuen Varianten anstecken. Alpha, Beta, Delta und Omikron haben uns dies eindrucksvoll gezeigt. Denn Antikörper bildet der Körper immer spezifisch auf die Eigenschaften des jeweiligen Erregers abgestimmt. Ändern sich diese etwa durch eine Mutation, passt der Immmunschutz nicht mehr optimal. Die Omikron-Subtypen B 1 und B 2 scheinen allerdings einen gewissen Schutz vor der jeweils anderen Variante zu bieten. Dies zeigen Daten einer dänischen Studie.

Wie der Organsimus wiederholte Infektionen mit dem Coronavirus verkraftet, hängt letztlich vom Immunsystem jedes einzelnen ab. Mehrfachinfektionen müssen nicht zwingend gefährlich sein. Das Immunsystem wird im Prinzip nur immer wieder neu trainiert. Inwieweit Reinfektionen aber das Risiko möglicher Spätfolgen wie etwa Long-Covid erhöhen, dazu gibt es bisher keine ausreichenden Daten.

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