Streit um die vierte Impfung Impfen oder noch abwarten?

Düsseldorf · Die Krankenhausgesellschaft kritisiert, dass sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach über den Rat der Impfkommission hinwegsetzt. Er empfiehlt, dass sich unter 60-Jährige jetzt ein viertes Mal impfen lassen. Wann kommen die neuen Impfstoffe?

Ärzte kritisieren Karl Lauterbach.

Ärzte kritisieren Karl Lauterbach.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Corona-Sommerwelle rollt über Deutschland hinweg. Die jüngste Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dass sich nun auch Menschen unter 60 Jahren ein viertes Mal impfen lassen sollen, stößt bei Ärzten und Klinken auf Empörung: „Es ist nicht sinnvoll, dass sich jetzt alle berufen fühlen, sich zur Frage über die vierte oder fünfte Impfung zu Wort zu melden“, sagte Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), unserer Redaktion. „Wir verlassen uns auf die wissenschaftliche Expertise der Ständigen Impfkommission (Stiko), und die empfiehlt die vierte Impfung für ältere Patienten. Das sollte auch die Politik respektieren.“ Unterschiedliche Aussagen führten nicht zu höherer Impfbereitschaft, so Gaß. „Im Gegenteil, die Menschen sind zunehmend verwirrt über die vielstimmigen und fast täglich wechselnden Empfehlungen.“ Wichtiger als eine vierte Impfung sei, dass mehr Menschen eine dritte Dosis erhielten. Aktuell sind 65 Prozent der Bürger in NRW dreifach geimpft und elf Prozent vierfach.

Wer soll sich denn nun zum vierten Mal impfen lassen? Die Stiko rät allen Menschen ab 70 Jahren und Risikopatienten zu einer vierten Impfung. EU-Behörden haben unlängst eine vierte Impfung für alle ab 60 Jahre angeregt. Lauterbach war das nicht genug. Im Alleingang rät er auch Menschen unter 60, dass sie sich nach Rücksprache mit dem Arzt ein viertes Mal impfen lassen sollen.

Wie halten es die Ärzte in NRW? Sie sind irritiert von Lauterbachs Vorstoß: „Grundsätzlich orientieren sich die Niedergelassenen im Rahmen des Impfgeschehens an den jeweils aktuellen Empfehlungen der Stiko. Gleichzeitig können die Haus- und Fachärzte mit Blick auf den individuellen Gesundheitszustand des Patienten und nach eigenem Ermessen entscheiden“, erklärte der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KV). „Interessierte, die eine zweite Booster-Impfung erhalten möchten, aber formal nicht zu den von der Stiko primär empfohlenen Gruppen gehören, sollten daher prinzipiell mit ihrem Arzt sprechen.“ Die Ärzte sind verärgert: „Ein abgestimmtes Zusammenarbeiten von Stiko und Bundesgesundheitsministerium ist ein ganz entscheidender Faktor für das Gelingen der Impfkampagne. Dass es nun erneut zu einer Gemengelage mit sich widersprechenden Aussagen kommt, ist – nicht zuletzt mit Blick auf den Herbst – kontraproduktiv und erhöht unnötig den Druck auf die Praxen“, so die KV.

Sollen Interessierte sich jetzt zum vierten Mal impfen lassen – oder auf den neuen Impfstoff im Herbst warten? Für Risikogruppen und Menschen ab 70 Jahren rät die Stiko, nicht auf den neuen Stoff zu warten, sondern sich die vierte Impfung jetzt schon geben zu lassen, um sich vor schweren Verläufen zu schützen. Alle anderen können eher abwarten. Die KV rät: „Sollte uns die nächste Omikron-Welle erwarten, ist es – Stand jetzt – empfehlenswert, einen an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff zu verwenden.“

Wann kommt der angepasste Impfstoff? „Die Hersteller haben entsprechende Impfstoffe rechtzeitig für den Herbst angekündigt, derzeit laufen noch die klinischen Studien“, so die KV. Moderna und Biontech haben bereits mitgeteilt, dass ihr angepasstes Vakzin eine gute Immunantwort gegen die Omikron-Variante ausgelöst habe. Die Studien beziehen sich aber auf die ursprüngliche Omikron-Variante. Offen ist, wie gut die Impfstoffe gegen die Omikron-Variante BA.5 wirken. Die Europäische Arzneimittelbehörde (Ema) peilt eine Zulassung bis zum Herbst an, die USA gehen von Oktober aus.

 

Bekommen Ältere dann eine fünfte Impfung? Knapp ein Drittel der über 60-jährigen NRW-Bürger haben bereits vier Impfungen erhalten. Für einen Teil der Gruppe liegt die vierte Dosis aber viele Monate zurück. Für sie könnte es im Herbst Zeit für eine fünfte Dosis sein, um wieder Antikörper aufzubauen. „Sollte es ab Oktober einen Impfstoff geben, der vor der Infektion mit den Varianten BA.4 oder BA.5 schützt, wäre eine fünfte Impfung sinnvoll“, sagte der Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, der „Augsburger Allgemeinen“. DKG-Chef Gaß ergänzt: „Ich gehe fest davon aus, dass im Herbst an Omikron angepasste Impfstoffe insbesondere Älteren, Vorerkrankten, aber dann auch allen anderen zur Verfügung stehen. Das kann uns dann großen Schutz für den Winter bringen.“

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