RKI-Chef Wieler „Großteil der Ansteckungen im privaten Bereich“

Berlin · Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, ist besorgt über die Entwicklung in der Corona-Krise. Es müsse davon ausgegangen werden, dass es wieder mehr schwere Fälle und Tote geben werde. Der aktuelle Anstieg der Corona-Zahlen hänge vorwiegend mit Ansteckungen im privaten Bereich zusammen.

 Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, bei der Pressekonferenz zur Corona-Lage in Deutschland.

Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, bei der Pressekonferenz zur Corona-Lage in Deutschland.

Foto: AP/Markus Schreiber

RKI-Präsident Lothar Wieler sagte am Donnerstag in Berlin, Ausbrüche in Verkehrsmitteln oder nach Übernachtungen spielten keine so große Rolle oder kämen eher selten vor. „Ein Großteil der Menschen steckt sich (...) im privaten Umfeld an.“ In privaten Haushalten nehme die Anzahl der Ausbrüche deutlich zu. „Ansteckungen in Schulen (...) sind zwar bisher nicht sehr häufig und wesentlich seltener, als wir das zum Beispiel von Influenzaausbrüchen kennen, aber klar ist, je stärker die Fallzahlen steigen, desto höher werden auch Schulen betroffen sein.“

Wieler sagte zur aktuellen Lage, das Geschehen steigere sich drastisch. Es müsse davon ausgegangen werden, dass es wieder mehr schwere Fälle und Tote geben werde. Aktuell meldete das Robert Koch-Institut am Donnerstag 11.287 festgestellte Neuansteckungen binnen 24 Stunden. Der bisherige Höchstwert seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland war am Samstag mit 7830 Neuinfektionen erreicht worden.

Wieler hat an die Gesundheitsämter appelliert, trotz der derzeitigen teilweisen Überforderung durchzuhalten. Die Überforderungen einiger Gesundheitsämter seien „ernst und besorgniserregend“, sagte Wieler. Aber man müsse jede Anstrengung auch unter diesen Umständen aufrechterhalten und dürfe nicht aufgeben, sondern weitermachen „nach bestem Wissen und Gewissen“.

Er wies darauf hin, dass in einigen anderen Ländern schon vor einigen Monaten die Kontaktnachvollziehung mit entsprechenden Folgen eingestellt worden sei, weil sie es nicht mehr geschafft hätten - etwa Schweden und Großbritannien.

Dass die Todesfälle im Frühjahr höher lagen als jetzt im Herbst erklärte der RKI-Chef damit, dass Deutschland am Anfang der Pandemie von der Geschwindigkeit der Ausbreitung bis zu einem gewissen Grad überrascht worden sei. Der Schutz der Risikogruppen wie alte oder kranke Menschen sei noch nicht so gut gewesen. Inzwischen würden Altenheime oder Krankenhäuser besser geschützt. Zudem würden im Herbst viel mehr junge Menschen angesteckt.

Er forderte vor allem strenge Abstands- und Hygiene-Regeln im privaten Bereich ein. Auch die Corona-Warn-App, die mehr als 20 Millionen mal heruntergeladen wurde und Hinweis auf Kontakte mit Infizierten geben soll, werde weiterentwickelt. Man habe gesehen, dass sich das Virus vor allem im privaten Bereich bei Treffen verbreite, dagegen weniger in Verkehrsmitteln oder in Hotels. Wieler hat sich für eine umfangreiche Maskenpflicht in Deutschland ausgesprochen. Zur Frage, an welcher Stelle wirklich etwas bewirkt werden könne, sagte er: „Also Maskenpflicht in den Räumen, wo man sich anstecken kann.“ Wieler erwähnte den öffentlichen Nahverkehr und Geschäfte - wo dies bereits gilt - sowie Innenräume, wo viele Menschen zusammenkämen. Seine Empfehlung sei, das Tragen einer Maske, „in den Bereichen, wo Menschen zusammenkommen, insbesondere in Innenräumen, ganz klar“.

Eine Änderung der Corona-Stragie lehnt Wieler ebenso wie Söder ab. Allerdings sprach sich Wieler auch gegen neue Schwellenwerte aus, wie dies Bayerns Ministerpräsident gefordert hatte. Söder hatte neben den Schwellenwerten von 35 und 50 Infizierten pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche noch einen zusätzlichen Wert von 100 gefordert, ab dem etwa eine Sperrstunden ab 21.00 Uhr greifen solle. Hintergrund ist, dass es viele Kreise gibt, in denen die Infektionswerte mittlerweile bei mehr als 100 Infizierten pro 100.000 Bewohnern liegt. Im Berchtesgadener Land gilt deshalb ein teilweiser Lockdown mit Schließung von Restaurants, Schulen und Kitas. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki kritisierte dies als unverhältnismäßig.

Er rechne damit, dass 2021 in Deutschland Corona-Impfstoffe zugelassen würde, sagte Wieler. Es sei allerdings unklar, wann genau dies sein könne. Zugleich warnte der RKI-Chef vor einer neuen Diskussion über eine sogenannte Herdenimmunität. Dieses Konzept, das eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus vorsieht, sei mittlerweile in allen Ländern fallen gelassen worden, sagte er mit Hinweis auf entsprechende Versuche in Großbritannien und Schweden. Die Folge einer solchen Politik wären hunderttausende Schwererkrankte in Deutschland.

(ahar/dpa/rtr)
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