Sprachforscher über Corona-Gegner Querdenker übernehmen „Art des Aktivismus von den 68ern“

Köln · Die Querdenker-Bewegung greift nach Angaben des Sprachforschers Henning Lobin rhetorisch auf Mittel der früheren linken Szene zurück. Auch das Mittel der Umkehrung sei in der Szene beliebt.

 Eine Corona-Demo (Symbolfoto).

Eine Corona-Demo (Symbolfoto).

Foto: dpa/Boris Roessler

„Mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen wird nicht nur die Art des Aktivismus von den 68ern übernommen, sondern auch die Haltung“, sagte der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache dem Evangelischen Pressedienst: „Hinter allem staatlichen Handeln werden Faschismus und die Gefahr einer aufziehenden Diktatur gesehen.“ Das zeige sich bei den Demonstrationen in Slogans wie „Bye-bye Demokratie“, „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ oder Warnungen vor „Corona-Diktatur“ und „Pharma-Faschismus“.

Hinter solchen Parolen stehe der am stärksten politisierte Teil der Impfgegner-Bewegung, erklärte Lobin. Neben Warnungen vor einer Bedrohung von Grundrechten und Grundgesetz wie „Grundrechte statt Biontech“ oder „Finger weg von unseren Grundrechten“ beriefen sich Demonstranten hier auch auf die friedliche Revolution in der DDR. Charakteristisch seien Slogans wie „Wir sind das Volk“ und „Widerstand“ wie auch das Zeigen von Fotos, auf denen Politiker in Häftlingskleidung mit dem Stempel „schuldig“ zu sehen sind.

Besonders aufgeladen ist der Diskurs dem Forscher zufolge, sobald es um Bezüge zu Holocaust und NS-Regime geht. Das werde deutlich bei Plakataufschriften wie „Impfen macht frei“ in Anlehnung an die KZ-Inschrift „Arbeit macht frei“ sowie bei der Verwendung des gelben Judensterns mit dem Zusatz „ungeimpft“.

Um ihre Position deutlich zu machen, griffen Impfgegner dabei rhetorisch häufig auf das Mittel der Umkehrung zurück, erklärte der Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim. „Ihnen wird der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit gemacht – sie berufen sich selbst auf Grundgesetz und Demokratie“, sagte Lobin. „Ihnen wird eine Nähe zu rechtem Gedankengut vorgeworfen – sie berufen sich selbst auf die Schrecken der Nazi-Diktatur und des Holocausts.“

Hier bestehe ein Zusammenhang zur Kritik neurechter Kreise an einer vermeintlich unreflektierten Übernahme bestimmter Narrative in der Öffentlichkeit, sagte der 57-jährige Direktor des Mannheimer Forschungsinstituts. Dazu zählten aus deren Sicht etwa eine positive Bewertung von Migration mit der „Willkommenskultur“, Warnungen vor einer „Klimakatastrophe“ oder eben vor der Pandemie. „Die Akteure sehen hier die Chance, eigene Narrative zu verankern“, sagte er. „Sie wollen die anerkannten ‚Erzählungen der Mitte‘ durch alternative Erzählungen ersetzen, aus denen dann auch ein anderes politisches Handeln folgen soll.“

Für diesen Versuch biete die Pandemie angesichts ihrer langen Dauer und der breiten gesellschaftlichen Diskussion einen „sehr guten Nährboden“, sagte der Wissenschaftler. Schon zuvor bestehende Gegensätze zwischen konservativen und liberalen Kräften in der Gesellschaft hätten „einen Booster erhalten“.

(mba/epd)
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