Krisen-Kommunikation Welche Fehler Politiker beim Erklären der Pandemie-Maßnahmen machen

Analyse | Düsseldorf · Viele Menschen fühlen sich im Kampf gegen die Pandemie angesichts widersprüchlicher Aussagen und ständig neuer Maßnahmen verunsichert. Wir haben mit einem Experten für Krisen-Kommunikation gesprochen. Er kritisiert: Politiker vernachlässigen oft, ihr Handeln schlüssig zu erklären.

 Angela Merkel kommt mit Markus Söder und Michael Müller im April 2021 zu einer der vielen Pressekonferenzen rund um die Pandemie (Archiv).

Angela Merkel kommt mit Markus Söder und Michael Müller im April 2021 zu einer der vielen Pressekonferenzen rund um die Pandemie (Archiv).

Foto: dpa/Michael Kappeler

Noch laufen zwar die Sommerferien, doch die Atempause im Kampf gegen Covid ist längst beendet. Es wird debattiert und gestritten um den richtigen Weg, beinahe im Tagesrhythmus ändern sich dabei Vorgaben und Regeln. Was gestern galt, wird morgen ausgehebelt – in NRW zum Beispiel die Inzidenzstufe drei, die bis 19. August erst einmal als überholt ausgesetzt wurde. Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Inzidenzstufen ohnehin als Auslaufmodell betrachtet, will das Robert-Koch-Institut (RKI) daran festhalten. Und in der Frage, ob Kinder geimpft werden sollen oder besser nicht, gibt es ebenfalls keinen Konsens zwischen Politik und Ständiger Impfkommission (Stiko). Das erzeugt Unbehagen – und angesichts widersprüchlicher Positionen oft ein Gefühl permanenter Überforderung. Was gerade wo gilt und was nicht, wer weiß es noch zu sagen? Hängen bleibt vor allem der Eindruck, dass es an verlässlichen Informationen fehlt. Anders gesagt: Alle reden, aber niemand hört mehr zu. Zumindest nicht mehr richtig. Ist die Pandemie also auch eine Kommunikationskrise?

Ganz so simpel ist es nicht. Wobei sich die gefühlte Unsicherheit in der Bevölkerung empirisch untermauern lässt. Die Cosmo-Studie, ein Gemeinschaftsprojekt unter anderem von der Universität Erfurt und dem RKI, untersucht regelmäßig die Befindlichkeiten der Menschen in der Pandemie. Danach besteht im Juli die bisher größte Unsicherheit über die geltenden Regeln, 28 Prozent der Befragten wussten diese nicht zu benennen. Im Juni vergangenen Jahres waren es nur zwölf Prozent. Ob dies allein auf unzureichende Kommunikation zurückzuführen ist, lässt sich nicht sagen. Generell müsse man unterscheiden zwischen mangelbehafteter Kommunikation und Mängeln in dem, was kommuniziert werden soll, erklärt Rainer Bromme, Senior-Professor für Pädagogische Psychologie an der Uni Münster, der zum Wissenschaftsvertrauen und zur Experten-Laien-Kommunikation forscht. Ein Beispiel für gute Kommunikation aus Brommes Sicht: die Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums www.zusammengegencorona.de. „Das Problem sind häufig eher die Schwächen politischer Akteure, die sich nicht zu einer konsistenten Strategie durchringen können, denen es an Offenheit und Entschiedenheit fehlt“, sagt Bromme. „Dieses Lavieren wird als kommunikatives Durcheinander wahrgenommen.“

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Grundsätzlich handelt es sich in der Pandemie um Krisen-Kommunikation. Dafür gelten Regeln: Es geht vor allem darum, einfach und klar Orientierung vorzugeben, also zu sagen, wer sich wie verhalten sollte. Zweitens ist alles gut zu begründen, damit Vertrauen entsteht und Maßnahmen auch akzeptiert werden. Drittens sollen Akteure Unsicherheiten deutlich anzusprechen. Soweit die Theorie. Jetzt kommt die Politik ins Spiel. Sie würde wissenschaftliche Aspekte und Wertfragen oft vermischen, sagt Bromme. Er meint damit, dass Politiker sich oft darum drücken würden, Zielkonflikte offenzulegen, über die gesellschaftlich verhandelt werden müsste. Im Fall der Impfung von Kindern und Jugendlichen etwa berufe sich die Stiko auf fehlende Evidenz zu gesundheitlichen Risiken, die Politik aber wolle den Schulbetrieb sichern. Es sei legitim, verschiedener Meinung zu sein, sagt Bromme, zumal Politik wissenschaftliche Erkenntnisse sozusagen gesellschaftlich übersetzen muss, nur müsse sie ihre Gründe auch offenlegen. Der Unterschied zwischen dem, was die Wissenschaft empfiehlt und dem, was die Politik daraus ableitet, müsse erklärt, kommuniziert werden. „Man darf die Komplexität nicht leugnen“, sagt Bromme. Andernfalls werde Unsicherheit geschürt.

Allzu oft neige die Politik dazu, sich aus Forschungsresultaten das herauszusuchen, was zu ihren Zielen passe. Die meisten Parteien seien nicht wissenschaftsfeindlich, der selektive Umgang der Politik mit Wissenschaft gefährde aber bei vielen Menschen die Überzeugung, dass Politiker sich an Wissenschaft orientieren, sagt Bromme. Dagegen sei das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft gewachsen, es existiere ein größeres Verständnis dafür, wie Erkenntnisprozesse ablaufen. „Ich vermute, der Unterschied zwischen der endgültigen Veröffentlichung einer Studie und einem Preprint ist nun vielen Menschen bekannt, die sich, verständlicherweise, für so etwas früher nicht interessiert haben“, sagt Bromme. Zwar fehlten noch empirische Zahlen zum Allgemeinwissen über wissenschaftliche Erkenntnisprozesse, aber Daten aus der Cosmo-Studie und dem Wissenschaftsbarometer der Initiative Wissenschaft im Dialog zum Vertrauen in Wissenschaft würden optimistisch stimmen. Demnach vertrauen rund 60 Prozent der Befragten Wissenschaft und Forschung. Das Vertrauen in die Politik nimmt dagegen ab. Heißt: Es wird angezweifelt, dass die Politik wissenschaftliche Erkenntnisse sinnvoll umsetzt. Was möglicherweise wieder ein kommunikatives Problem ist, weil Widersprüche nicht aufgelöst oder aber erklärt werden und komplizierte Sachverhalte verkürzt dargestellt werden.

Dabei müssten aus Sicht des Experten einige Aspekte beachtet werden, um den Eindruck kommunikativen Durcheinanders zu vermeiden. Dazu gehören laut Bromme Offenheit und Ehrlichkeit in der Problembeschreibung, Gefahren und damit verbundene Einschränkungen zu benennen. „Es sollte aber auch Optimismus verbreitet, über Chancen gesprochen werden, gerade bei der Impfkommunikation“, sagt Bromme. „Dass es nicht nur wichtig ist, um Freiheiten zurückzuerlangen, sondern weil man etwas für seine Gesundheit leistet sowie gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt.“ Ganz wichtig sei auch eine zielgruppenspezifische Ansprache. So spiele bei der Experten-Laien-Kommunikation eine große Rolle, was der Rezipient, also der Empfänger einer Botschaft, für Erwartungen habe. „Gerade bei Gesundheitsthemen redet man nie in den leeren Raum, da hat jeder bestimmte Vorstellungen“, erklärt Bromme. Das heißt, die Kommunikation muss zugeschnitten sein zum Beispiel auf Bildungsstand, kulturellen Hintergrund und soziale Gruppen. Ihn habe es sehr gewundert, sagt Bromme, wie lange es dauerte, bis die Politik erkannt habe, dass die Impfbereitschaft in sozialen Brennpunkte niedriger ist oder ein Zusammenhang besteht zwischen Erkrankungshäufigkeit und sozialem Umfeld. „Eigentlich ist schon lange bekannt, dass es solche Zusammenhänge gibt".

Am Ende spiegelt sich in der Akzeptanz der Menschen gegenüber den Maßnahmen auch, wie gut diese kommuniziert wurden. Maßgeblich ist dabei laut Bromme der Aspekt der Fairness: Wenn Maßnahmen als fair empfunden werden, wenn das Gefühl besteht, dass sich alle gleichermaßen beteiligen, steigt die Akzeptanz. Laut Cosmo-Studie bewerteten im Juli 60 Prozent der Menschen die Maßnahmen als fair. Das ist nicht schlecht. Heißt aber auch: Bei einem Großteil der Menschen kommen die Botschaften nicht an. 

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