Vor Bund-Länder-Gespräch NRW-Handel warnt vor Jo-Jo-Lockdown

Düsseldorf/Berlin · Gastronomie und Handel fordern neue Öffnungsperspektiven. Doch weil die Sieben-Tage-Inzidenz wieder über 100 liegt, wollen Bund und Länder den Lockdown verschärfen. Die Lehrer dringen auf ein Ende des Präsenzunterrichts.

 Einkauf per Termin.

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Foto: dpa/Daniel Karmann

Vor den Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten an diesem Montag warnen Politiker und Mediziner aufgrund steigender Infiziertenzahlen vor einer Zuspitzung der Lage. Nach dem Willen der von der SPD regierten Länder soll über eine Verlängerung der geltenden Lockdown-Regelungen bis in den April gesprochen werden. In einem Entwurf des Kanzleramts, der am Abend bekannt wurde, stand der 18. April als Datum. In Nordrhein-Westfalen lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Sonntag bei 103,5. Damit haben sich wieder mehr als 100 Menschen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche angesteckt.

„Ich erwarte von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin, dass sie sich auf bundesweit einheitliche und ganz einfache Verschärfungen einigen“, sagte Christian Karagiannidis, Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), unserer Redaktion. „Diese Maßnahmen können nur sein, dass wir zurückkehren zu einem strengeren Lockdown wie Anfang März, Schulen und Kitas bis zur tatsächlichen Verfügbarkeit ausreichender Tests wieder schließen und die Kontaktmöglichkeiten massiv beschränken“, betonte er.

Auch Lehrer fordern Schulschließungen. „Wenn es den Ländern ernst damit gewesen wäre, Schulen offenzuhalten, hätte man dafür sorgen müssen, dass jetzt Lehrkräfte geimpft und Schulen mit Schnelltests in ausreichender Zahl ausgestattet sind. Davon sind wir aber an neun von zehn Schulen noch meilenweit entfernt“, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. „Ich habe kein Verständnis für den Vorstoß der Kultusministerkonferenz, weiter am Präsenzunterricht festzuhalten, auch wenn die Inzidenzen über 100 klettern, was in halb Deutschland schon der Fall ist. Das ist mit Blick auf die Infektionsgefahr nicht verantwortbar.“

Dagegen warnen Handel und Gastronomie vor Verschärfungen. „Wir müssen weg von dem Jo-Jo-Lockdown. Der Handel braucht endlich dauerhafte Öffnungsperspektiven, die Kollateralschäden wachsen ins Unermessliche“, sagte Peter Achten, Chef des Handelsverbands NRW. Jeder Tag Lockdown koste allein den Einzelhandel in NRW 200 Millionen Euro an Umsatz. Selbst jetzt, wo viele per Terminvergabe öffnen, sei es noch ein hoher zweistelliger Millionenbetrag. „Der Handel ist kein Infektionstreiber. Mir ist kein Fall bekannt, wo Gesundheitsämter im Rahmen der Kontaktnachverfolgung Daten bei Händlern abgefragt haben“, sagte Achten.

Verzweifelt ist die Lage in der Gastronomie, die seit 2. November dicht ist. „Hotels und Gaststätten brauchen endlich eine Perspektive, wann und unter welchen Voraussetzungen wir öffnen können“, sagte Ingrid Hartges, Chefin des Hotel- und Gaststättenverbands. „Der Endlos-Lockdown ist keine Lösung. Mehr als 70 Prozent der Unternehmen fühlen sich existenziell bedroht.“ Sie fordert widerspruchsfreie Lösungen: „Es versteht keiner, dass der Osterurlaub auf Mallorca möglich ist, zeitgleich unsere Betriebe geschlossen sind und selbst ein Besuch im Biergarten vor Ort nicht erlaubt ist.“ Zudem fließt die Staatshilfe nur schleppend: „Bei rund 15 bis 20 Prozent der Unternehmen ist bis heute keine November- und Dezemberhilfe angekommen. Betroffen sind insbesondere auch größere Arbeitgeber“, so Hartges.

Offen ist, was aus dem Oster­urlaub wird. Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen werben für einen kontaktarmen Osterurlaub im jeweils eigenen Bundesland. Dort solle Urlaub in Einrichtungen mit Selbstversorgung und eigenen sanitären Anlagen möglich sein, heißt es in einer Mitteilung vom Sonntag. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, für Landeskinder könne „autarker Urlaub möglich sein - also innerhalb der Grenzen Sachsen-Anhalts, etwa im Harz.“ SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte: „Dass aber Flugreisen nach Mallorca möglich sind, jedoch kein Urlaub an Nord- oder Ostsee, passt nicht zusammen.“ Er mahnte eine konsistente Strategie für die Ostertage an. CSU-Chef Markus Söder betonte, er könne verstehen, dass die Menschen Urlaub machen wollten, und er sehe auch, dass sich die Debatte wegen der Reisen nach Mallorca verändert habe. Damit die Relation gewahrt bleibe, brauche es in jedem Fall eine Testpflicht für Mallorca-Rückkehrer und verbindliche Quarantäne-Regeln.

Die Oppositionsparteien in NRW mahnten Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), sich an die Verabredungen zu halten. Die Menschen bräuchten eine Perspektive, sagte SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty. Die Landesregierung müsse mit einer funktionierenden Test-Infrastruktur und Impfkampagne endlich die nötigen Voraussetzungen schaffen: „Alle wollen vor die Tür, wenn bald die schönen Monate kommen“, so Kutschaty.

Die Co-Fraktionschefin der Grünen, Verena Schäffer, forderte einen Stopp für weitere Öffnungen, solange die Inzidenz weiter so hoch sei. Die Ministerpräsidentenkonferenz müsse klarstellen, dass es auf der Ebene der Städte und Kreise Schutzmaßnahmen bei hohen Inzidenzen geben müsse – und nicht erst bei einer hohen landesweiten Inzidenz: „Die Landesregierung muss die Kommunen endlich unterstützen, anstatt sie bei örtlichen Maßnahmen zu blockieren.“

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