Änderungen des Infektionsschutzgesetzes Rechtsprofessor äußert Verfassungsbedenken gegen Corona-Notbremse

Münster/Düsseldorf · Der Münsteraner Staatsrechtler Hinnerk Wißmann hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die geplante bundesweite Corona-Notbremse. Die NRW-FDP hatte die Stellungnahme dazu in Auftrag gegeben.

 Die Polizei kontrolliert die Ausgangssperre in Hannover. Gegen eine bundesweite Ausweitung der Corona-Maßnahmen durch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes regen sich Bedenken.

Die Polizei kontrolliert die Ausgangssperre in Hannover. Gegen eine bundesweite Ausweitung der Corona-Maßnahmen durch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes regen sich Bedenken.

Foto: dpa/Moritz Frankenberg

Der Münsteraner Staatsrechtler Hinnerk Wißmann hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die geplante bundesweite Corona-Notbremse. In einer juristischen Expertise im Auftrag der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion, die der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf vorliegt, kritisiert der Wissenschaftler „statisch angeordnete Eingriffe in die Bürgerrechte“.

In seiner Ad-hoc-Stellungnahme warnt der Wissenschaftler: „Die weitreichendsten Beschränkungen von Bürgerrechten durch die Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - mögliche Ausgangssperren für die gesamte Bevölkerung, Beschränkung der häuslichen Gemeinschaft - sollen nach 14 Monaten Pandemiebekämpfung in einem Schnellverfahren eingeführt werden“. Es handle sich hier aber nicht um eine Notgesetzgebung, „die angesichts einer plötzlichen Katastrophe unausweichlich in schnellster Frist zustandekommen muss“, wandte er ein.

Die Bundesregierung habe die aus seiner Sicht zweifelhafte Notwendigkeit in einer Formulierungshilfe zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes zudem mit einer „panik-affinen Vorrede“ begründet, kritisierte Wißmann. darüber hinaus wäre es notwendig, den „Ausnahmecharakter“ der Eingriffe hervorzuheben und diese zeitlich zu befristen.

Das Bundeskabinett hatte am Dienstag die Bundes-Notbremse auf den Weg gebracht. In allen Kreisen und Städten mit hohen Infektionswerten soll es künftig bundeseinheitliche Einschränkungen geben - unter anderem Ausgangssperren zwischen 21 und 5.00 Uhr. Dafür soll das Infektionsschutzgesetz geändert werden.

Die Änderungen sind als Einspruchsgesetz formuliert, was es für den Bundesrat schwerer macht, es aufzuhalten oder noch zu verändern. Die Länderkammer müsste dazu den Vermittlungsausschuss anrufen. Dazu bräuchte es eine absolute Mehrheit.

Sollte das Gesetz dennoch im Bundesrat beraten werden, ist mit einer Enthaltung der CDU-FDP-Koalition Nordrhein-Westfalens zu rechnen. Die FDP will nicht für pauschale Ausgangssperren stimmen. Obwohl auch Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) Ausgangsverbote bislang stets abgelehnt hatte, hat sich der CDU-Bundeschef jetzt für eine schnelle bundeseinheitliche Lösung stark gemacht.

„Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Sachzwang zur vorgeschlagenen Regelung“, argumentiert Wißmann in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf. Die als Grundlage vorgesehene „eindimensionale Festlegung auf eine gegriffene Inzidenzzahl (...) unterschreitet das verfassungsrechtlich gebotene Maß rationaler Gesetzgebung“.

Die Eignung der geplanten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sei zweifelhaft. So hätten etwa Bayern und Baden-Württemberg - im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen - über Monate strikte Kontaktbeschränkungen im privaten Raum und nächtliche Ausgangssperren angewandt. „Es ist nicht erkennbar, dass aus den Maßnahmen tatsächlich wirksame Effekte bei der Infektionsbekämpfung resultierten, da die Bundesländer keineswegs besser dastanden oder dastehen als NRW“, bilanzierte der Jurist.

„Vollständig misslungen“ seien die Planungen im Schulbereich. Laut Gesetzentwurf soll Präsenzunterricht verboten werden, einige Tage nachdem der Schwellenwert von 200 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen überschritten ist - mit möglichen Ausnahmen für Abschlussklassen und Förderschulen. „Die Untersagung des Schulbetriebs in Präsenz überschreitet in prinzipieller Weise den Sachbereich des Infektionsschutzrechts, weil damit den Ländern eine eigene Gesetzgebungs- wie Verwaltungskompetenz aus den Händen genommen wird“, monierte Wißmann.

(top/dpa)
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