Kinder in Uganda Seit fast 80 Wochen ohne Schule

Busia · Die Corona-Pandemie hat in vielen Teilen der Welt zu langen Schulschließungen geführt, und nirgends länger als in Uganda. Dort gibt es kaum Möglichkeiten zum Online-Lernen. Die Folgen sind gravierend.

 Ameisenhaufen im Klassenzimmer: Lehrpersonal in der verlassenen Schule am Rande von Busia (Uganda).

Ameisenhaufen im Klassenzimmer: Lehrpersonal in der verlassenen Schule am Rande von Busia (Uganda).

Foto: AP/Nicholas Bamulanzeki

Mathias Okwako springt in den Morast und beginnt mit seiner täglichen Suche nach Gold. Es ist vielleicht eher in seiner Reichweite als ein anderes wertvolles Gut: eine Ausbildung. Okwakos Schule in einem ländlichen Teil von Uganda steht verlassen auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Sumpfland, in dem er und andere Kinder jetzt als inoffizielle Grubenarbeiter im Einsatz sind. Unkraut wuchert in Klassenzimmern, die Fenster sind ohne Rahmen: Jemand hat sie demoliert, um sie als Brennholz zu benutzen.

Ugandas Schulen sind wegen der Corona-Pandemie schon seit mehr als 77 Wochen ganz oder teilweise geschlossen - den Vereinten Nationen zufolge die längste Unterbrechung aller Länder rund um den Globus. Und im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt, wo der Unterricht Online weiterging, konnten die meisten öffentlichen Schulen in diesem ostafrikanischen Staat kein digitales Lernen anbieten. Das betrifft die große Mehrheit der Kinder in Uganda, und es hat eine riesige Lücke in ihr Leben gerissen.

Manche haben in der Zwischenzeit geheiratet, andere sind ungewollt schwanger geworden. Wiederum andere, wie der 17-jährige Okwako, haben einen Job gefunden. Die Pandemie habe eine Schicht von „Ausgestoßenen“ geschaffen, eine verlorene Generation von Lernenden, sagt Moses Mangeni, ein Verwaltungsbeamter in Okwakos Heimatstadt Busia.

 Der Schüler Mathias Okwako arbeitet in seiner Schuluniform im Tagebau einer Goldmine am Rande von Busia (Uganda).

Der Schüler Mathias Okwako arbeitet in seiner Schuluniform im Tagebau einer Goldmine am Rande von Busia (Uganda).

Foto: AP/Nicholas Bamulanzeki

Der Kampf gegen Covid-19 hat das Leben von Kindern in allen Winkeln der Erde auf die eine oder andere Weise aus dem gewohnten Gefüge gebracht. Arbeitslos gewordene Eltern hatten es schwerer, für ihre Sprösslinge zu sorgen, oft ging deren Sicherheitsnetz verloren. Vielleicht am bedeutendsten: Es hat die Schulausbildung der Kinder in ein Chaos gestürzt.

Das Ergebnis ist der „größte globale Bildungsnotstand unserer Zeit“, formuliert es die Gruppe Save the Children. Sie hat im Oktober 48 Länder - darunter Uganda - identifiziert, deren Schulsysteme in extremer oder hoher Gefahr sind, gänzlich zusammenzubrechen. Die meisten dieser Staaten liegen in Afrika südlich der Sahara, einer Region, in der es ohnehin schon seit Langem an qualifizierten Lehrern mangelt und in der viele Kinder vorzeitig die Schule abbrechen.

Einige andere Teile der Welt mit langen Schulschließungen hatten ebenfalls Mühe, die Schüler weiter zu unterrichten. Ein Beispiel ist Mexiko, wo es vielerorts an Internetverbindungen hapert, oder der Irak, wo das Online-Lernen ähnlich „begrenzt und ungleich“ war, wie die Weltbank feststellte.

In Uganda wurden die Schulen erstmals im März 2020 geschlossen, im vergangenen Februar dann wieder einige Klassen geöffnet. Im Juni verhängte die Regierung erneut einen völligen Lockdown, als Uganda seine erste große Corona-Welle erlebte. Es ist jetzt das einzige Land in Afrika, in dem Schulen geschlossen bleiben. Und das zumindest noch bis Januar - dann sollen sie ihren Betrieb wieder aufnehmen, wie Präsident Yoweri Museveni jüngst angekündigt hat. Denn die Zahl der Neuinfektionen ist in den vergangenen Monaten zurückgegangen, nach Statistiken der Johns Hopkins University werden derzeit durchschnittlich 70 am Tag verzeichnet. Etwa 700.000 der 44 Millionen Einwohner Ugandas sind voll geimpft.

Aber eine so lange Zeit ohne Unterricht wettzumachen, ist eine schwere Herausforderung, und manche kritisieren, dass die Regierung mehr hätte tun müssen, um das Lernen während des Lockdowns in anderer Form aufrechtzuerhalten. Ein Vorschlag war, Unterrichtsstunden via kostenlos verteilten Radiogeräten auszustrahlen, doch daraus wurde nichts. In ländlichen Gebieten verfügen viele Kinder zudem über keinerlei Lernunterlagen.

Und haben die Schulen in der Krise besonders verwundbaren Kindern eine Art Zufluchtsort geboten, manchmal samt Essen, sind die Schüler in Ugandas ärmsten Haushalten jetzt oft sich selbst überlassen - während die Reichen auf Privatlehrer oder Zoom-Unterricht für ihren Nachwuchs zurückgreifen können.

In Busia waren Kinder, die auf der Straße Waren feilboten, schon vor der Pandemie kein ungewohnter Anblick. Jetzt brachten viele, die mit der Nachrichtenagentur AP sprachen, ihre Hoffnungslosigkeit angesichts des langen Lockdowns zum Ausdruck. Okwako trägt bei der Goldsuche seine Schuluniform, weil er, so sagt er, nichts anderes zum Anziehen habe. Er hat sich den Job nach eigenen Angaben aus Langeweile gesucht, bedauert es aber, dass er nach der Arbeit zu müde ist, aus eigenem Antrieb zu lernen. „Wenn du ein Buch öffnest, schläfst du schlicht ein.“

An einem typischen Tag kann ein Kind umgerechnet knapp zwei Euro verdienen, genug, um ein Paar gebrauchte Schuhe zu kaufen. Okwako ist stolz auf die beiden Schweine, die er mit seinem Verdienst erworben hat. Manche Kinder sagen, dass sie mit ihrem Geld helfen, Essen für die Familie zu kaufen.

Und viele wollen nach eigenen Angaben nicht in die Klassenzimmer zurückkehren, wenn sie wieder öffnen. Sie sagten sich, „wir können uns nicht daran erinnern, was wir gelesen haben, warum sollten wir zurückgehen?“, schildert Gilbert Mugalanzi von der Gruppe Somero Uganda, die die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder in Teilen von Busia erforscht hat. Emmy Odillo, Lehrerin an Okwakos Schule, sagt, dass sie nur mit der Rückkehr eines Bruchteils der 400 Schüler im Januar rechnet.

Bosco Masaba ist Studiendirektor an der Busia Central Primary School, die Klassenzimmer derzeit als Wohnräume vermietet. Er sieht nach eigenen Angaben regelmäßig Schüler, die auf der Straße Tomaten und Eier verkaufen. Auch hat er gehört, dass sich Mädchen als Haushaltskräfte im benachbarten Kenia verdingt haben. „Manche“, so sagt er, „haben ihre Hoffnung gänzlich verloren.“

(peng/dpa)
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