Corona im Winter Lauterbach warnt vor Präsenzunterricht als „Superspreading-Event“

Berlin · Die Corona-Zahlen in Deutschland steigen: SPD-Politiker Lauterbach warnt vor Präsenzunterricht an Schulen. Dieser könnte zum „Superspreading-Event“ im Winter werden.

 Karl Lauterbach (SPD) im Bundestag (Archiv).

Karl Lauterbach (SPD) im Bundestag (Archiv).

Foto: dpa/Kay Nietfeld

In Deutschland steigt angesichts steigender Infektionszahlen die Nervosität vor einem heftigen Corona-Winter. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädierte dafür, viel mehr Kraft für die Bekämpfung der Ursachen zu verwenden, beispielsweise an Schulen. „Die Schulen folgen wegen fehlender Konzepte der Kultusministerien dem Motto: ‚Maske auf und durch‘“, sagte Lauterbach, der selbst Epidemiologe ist, unserer Redaktion. „So gefährden die zuständigen Behörden unter Umständen die Gesundheit der Schüler, Lehrer und Eltern und riskieren immer weiter steigende Infektionszahlen, weil Schüler das Virus genauso wie Erwachsene weitergeben können“, sagte Lauterbach. „Präsenzunterricht kann so zum Superspreadingevent im Herbst und Winter werden.“ Um das Infektionsgeschehen einzudämmen, sollte an allen Schulen der Unterricht für einen Teil der Schüler morgens und für die anderen am Mittag beginnen, schlug Lauterbach vor.

„Dafür braucht es einen entschlackten Lehrplan für das laufende Schuljahr, in dem manche Fächer ausnahmsweise nicht unterrichtet werden müssen oder nur noch virtuell.“ So würden überfüllte Klassenräume und Stoßzeiten an den Schulen verhindert und das Risiko für Ansteckungen etwa in Bussen und Bahnen verringert. Lauterbach dämpfte Erwartungen, wonach junge Menschen zur selben Zeit wie Erwachsene geimpft werden könnten. „Es ist nicht zu erwarten, dass wir im kommenden Jahr Kinder und Jugendliche impfen können“, sagte er. Sie seien nicht Teil laufender Studien, „weswegen ein möglicher Impfstoff für junge Menschen nicht zugelassen werden kann“, sagte Lauterbach. Das erhöhe den Druck auf die Schulen, ihre Unterrichtspraxis radikal umzustellen. „Mit Corona müssen die Schulen das ganze Schuljahr 2020/2021 kämpfen“, prognostizierte Lauterbach.

Deutschland steht mit Beginn der Herbstferien vor einem innerdeutschen Reise-Chaos. Die Länder sind sich angesichts steigender Infektionszahlen uneins, wie sie mit innerdeutschen Risikogebieten umgehen sollen. Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein betrachten beispielsweise einzelne Berliner Bezirke als Risikogebiet, weil die Corona-Neuinfektionen die Zahl von 50 pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche übersteigen. Damit sind bisher vier Stadtbezirke mit zusammen mehr als eine Million Einwohnern betroffen. Andere Bundesländer dagegen beziehen sich auf die Infektionszahl des Landes Berlin insgesamt, die unter dem Grenzwert 50 liegt. In Rheinland-Pfalz müssen etwa Reisende aus betroffenen Berliner Bezirken oder anderen deutschen Städten mit hohen Infektionszahlen wie Hamm in der Regel in Quarantäne. In Baden-Württemberg dürfen Menschen aus deutschen Risikogebieten zwar Freunde und Verwandte besuchen, nicht aber in Hotels unterkommen. Hessen hat eine ähnliche Regelung: „Nach dem Aufenthalt in einem innerdeutschen Risikogebiet ist keine Quarantäne erforderlich, es gilt jedoch ein Beherbergungsverbot“, teilte eine Sprecherin des Landesgesundheitsministeriums mit. Allerdings sei die Entscheidungsfindung der Landesregierung ist noch nicht abgeschlossen. In Niedersachsen gelten bislang keine Reisebeschränkungen. Am Mittwoch will die Landesregierung in Hannover aber ihre neue Corona-Verordnung vorstellen, die bis dahin noch intern abgestimmt wird. In Bayern gibt es derzeit noch keine Quarantäneregelungen oder Beherbergungsverbote für Reisende aus anderen Bundesländern. Man prüfe die Corona-Lage immer tagesaktuell und könne notfalls schnell reagieren, hieß es in München. Lauterbachhält diese unterschiedlichen für „unverständlich und nicht praktikabel“. Das werde zu einem „absurden Chaos führen, weil die Zahlen an immer mehr Orten steigen werden und sich zum Teil nur wenig unterscheiden werden“, sagte Lauterbach.

Das Corona-Kabinett unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beriet am Montag lediglich eine Muster-Quarantäneverordnung. Danach sollen Einreisende aus Risikogebieten im Ausland ab dem 15. Oktober nur noch für zehn Tage in Quarantäne, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert im Anschluss mit. Derzeit liegt die Dauer bei 14 Tagen. Auch sollen Rückkehrer die Quarantäne beenden können, wenn sie frühestens fünf Tage nach Rückkehr einen negativen Corona-Test vorweisen können. Seibert und ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums wiesen gezielt daraufhin, dass die Reiseregelungen mit innerdeutschen Risikogebieten allein bei den Bundesländern liege.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist angesichts der unterschiedlichen Regelungen skeptisch. Man müsse miteinander darauf achten, dass angesichts der dynamischen Infektionslage Regelungen nachvollziehbar einhaltbar blieben. „Ich wünsche mir sehr, dass es einen auf Gesamt-Berlin bezogenen Ansatz gibt“, sagte Spahn und appellierte dabei auch daran, dass in der Hauptstadt die geltenden Regeln eingehalten und durchgesetzt werden.

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