Licht am Ende des Tunnels Fünf Entwicklungen in der Pandemie, die Hoffnung machen

Analyse | Düsseldorf · Nach eineinhalb Jahren Krise sehen die Deutschen endlich ein wenig Licht: Mit dem Impfen und Testen geht es voran, der Aufschwung kündigt sich an. Im Vergleich zu anderen Ländern wird Deutschland glimpflich davon kommen.

 Ein typisches Bild: Aus einer Impfampulle wird eine Impfdosis gezogen.

Ein typisches Bild: Aus einer Impfampulle wird eine Impfdosis gezogen.

Foto: dpa/Oliver Berg

Über diesen Fernsehauftritt wird auch Angela Merkel selbst nicht besonders glücklich gewesen sein: Am 2. Februar sitzt die Bundeskanzlerin in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ und stemmt sich gegen die anschwellende Kritik an ihrem Krisenmanagement. Und dann sagt Merkel einen Satz, den viele Menschen ihr hinterher übel nehmen. Einige Kommentatoren schreiben sogar, nun habe die Dauer-Kanzlerin den Kontakt zu den Bürgern und ihrer Wirklichkeit endgültig verloren. Merkel sagt: „Ich glaube, dass im Großen und Ganzen nichts schief gelaufen ist.“

Wie bitte? Die Deutschen warteten damals seit Wochen vergeblich auf Impfstoffe, die sie selbst erfunden hatten. Schnelltests oder gar Eigentests waren Utopien, FFP2-Masken eine Rarität, selbst genähte Stofflappen normal. Während Israel, die USA und Großbritannien munter vor sich hin impften, litten die Kontinentaleuropäer unter dem Versagen ihrer Politiker, die es verschlafen hatten, schneller Impfstoffe zu besorgen. Bundesregierung und EU wurden mit Häme überhäuft, aber für Merkel war im Großen und Ganzen alles in Ordnung.

Die Kanzlerin war ihrer Zeit damals gedanklich zu weit voraus; ihre Einschätzung der Lage wirkte falsch, geradezu ignorant. Aber nun? Drei Monate später hat sich die Lage merklich zum Guten verändert. Endlich lässt sich mit Fug und Recht über einige positive Entwicklungen berichten. Der Höhepunkt der schwersten Krise der Nachkriegszeit scheint hinter uns liegen. Schon ab Sonntag gewinnen Geimpfte und Genesene einige Freiheiten zurück.

  • Impfstoffe Mit bis zu einer Million Impfungen täglich kommen Impfzentren und Hausärzte jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen. Fast 30 Prozent der Bürger sind einmal geimpft, knapp zehn Prozent das zweite Mal. Gerade hat der Gesundheitsminister fast vier Millionen Dosen pro Woche allein vom Hersteller Biontech angekündigt. Biontech hat die Zulassung für Zwölf- bis Fünfzehnjährige beantragt, ab Juni sollen auch sie geimpft werden. In vielen Bundesländern kommen über 60-Jährige relativ leicht an Impftermine, auch Jüngere berichten zunehmend von ihrer ersten Impfung. Wenn es in manchen Ländern, wie etwa in NRW, trotzdem unbefriedigend langsam vorangeht, liegt das nicht mehr an zu wenig Impfstoff, sondern an logistischen Mängeln – und an einer vergleichsweise hohen Bevölkerungszahl. Zudem lassen die Bürger den AstraZeneca-Impfstoff liegen – zu sehr hat sie das Hin und Her bei der Zulassung verunsichert. Fazit: Vom anfänglich beschriebenen „Impfdesaster“ kann keine Rede mehr sein. Merkels Versprechen, bis zum Ende des kalendarischen Sommers allen, die wollen, die erste Impfung zu ermöglichen, wird sehr wahrscheinlich eingelöst. „Es wurden in der Pandemie von Politik und Wirtschaft zahlreiche Fehler begangen. Zu einer ehrlichen Analyse der Pandemie gehört aber die Erkenntnis, dass Deutschland deutlich besser durch diese Krise gekommen ist als die meisten anderen Länder“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. „Deutschland gehört weltweit zu den Spitzenreitern bei den Impfungen.“
  • Tests Ein Schnell- oder PCR-Test war bis Frühlingsbeginn oft ein schwieriges und kostspieliges Unterfangen, aber jetzt gilt: Wer sich testen lassen möchte, kann das recht problemlos tun. Online-Termine für registrierte Schnelltests sind relativ leicht zu bekommen, Arztpraxen, Labore oder Start-Up-Unternehmer haben daraus ein einträgliches Geschäft gemacht. Einen Schnelltest pro Woche gibt es kostenlos, wegen der Testpflicht in Betrieben für Arbeitnehmer sogar zwei. Nur in den Schulen läuft das Testen weiterhin nicht rund, vielerorts herrschen Chaos und Unzufriedenheit. Nun sollen „Lolli-Tests“ für Kleinere Entspannung bringen. Doch auch da: Manche Schulen haben die Tests vorbildlich organisiert.
  • Digitalisierung Die Corona-Krise hat die Technik-Muffel unter Lehrern und Arbeitnehmern aus ihrer Komfortzone geholt. Lehrer berichten vom echten Digitalisierungsschub in den Schulen. Digitale Anwendungen sind heute Schulalltag, auch wenn es fast überall an technischer Ausrüstung und Know-How mangelt. Milliarden des Bundes für den Digitalpakt blieben zwar liegen, aber die Mittel für digitale Endgeräte für Schüler sind zu einem großen Teil abgeflossen.
  • Homeoffice Wer von zuhause aus arbeiten kann, tut es. Viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber wollen und werden die Vorteile des Homeoffice auch nach der Krise nicht missen. Unternehmen kalkulieren bereits mit weniger Büroraum. Durch Umwidmungen könnte mehr dringend benötigter Wohnraum entstehen. Geschäftsreisen wollen viele Firmen dauerhaft reduzieren. Fürs Klima ist beides gut: weniger Pendelei zum Arbeitsplatz und weniger Dienstreisen.
  • Wirtschaft In der zweiten und dritten Welle durfte die Industrie weiter arbeiten, das macht sich positiv bemerkbar. Die brummende Industrie bereitet jetzt den Boden für einen breiteren Aufschwung, die Kurzarbeit sinkt wieder. „Während 40 Millionen Menschen in den USA im Frühjahr 2020 ihre Arbeit verloren haben, konnten die meisten bedrohten Arbeitsplätze in Deutschland durch das Kurzarbeitergeld gesichert werden“, sagt Ökonom Fratzscher. Schlimmes ist allerdings wegen der vielen drohenden Pleiten in der Hotel-, Gaststätten- und Kulturbranche noch zu befürchten. Aber immerhin sind die November- und Dezemberhilfen an diese gebeutelten Branchen endlich geflossen.Beinahe könnte Merkel also doch Recht behalten: Es ist zwar entgegen ihrer Aussage Vieles schief gelaufen, aber am Ende kommen wir wohl vergleichsweise glimpflich durch die Krise.
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort