Sorge vor Delta-Variante im Herbst Inzidenz steigt erstmals wieder leicht – Virologin fordert PCR-Tests in Schulen

Erstmals seit Wochen sinken die Corona-Zahlen nicht mehr, sondern steigen leicht. Viele Experten und Politiker blicken besorgt auf den Herbst. Die Delta-Variante breitet sich aus und gefährdet vor allem ungeimpfte Kinder und Jugendliche. Ein Vorschlag: ein neues Testkonzept für Schulen.

 Ein Maske liegt in einem Klassenzimmer (Symbolfoto).

Ein Maske liegt in einem Klassenzimmer (Symbolfoto).

Foto: dpa/Matthias Balk

Angesichts der Ausbreitung der ansteckenderen Delta-Variante richtet sich bereits jetzt der Blick auf den Schulbeginn nach den Sommerferien. Zahlreiche Schüler werden dann noch ungeimpft sein, weil für die Jüngeren noch keine Impfungen zugelassen sind und die Ständige Impfkommission sie für ältere Kinder und Jugendliche nur eingeschränkt empfiehlt.

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert deshalb massive Investitionen, um sämtliche Schulen gegen das Virus zu wappnen. „Es muss eine Luftfilteranlage für jeden Klassenraum in diesem Land zur Verfügung gestellt werden“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und der französischen Zeitung „Ouest-France“. „Ja, das kostet Geld. Aber ich nehme nicht hin, dass wir wieder in eine Situation geraten, wo ein Teil der Kinder von Zuhause aus lernen muss, nur weil keine Vorsorge geleistet wurde.“

Dass jedes Klassenzimmer deutschlandweit bis nach den Ferien ein individuell zugeschnittenes Belüftungssystem hat, hält die Virologin Melanie Brinkmann nach eigenen Worten allerdings für illusorisch. Die Professorin vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) spricht sich für das Maskentragen und den vermehrten Einsatz sogenannter Lollitests oder Gurgeltests aus – anstelle der weniger präzisen Antigen-Schnelltests. „Das spart Kosten und kann per PCR ausgewertet werden“, erklärte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das sei sehr effektiv, wenn es regelmäßig erfolge. Lollitests und Gurgeltests können auch gruppenweise abgenommen und auf einmal ausgewertet werden, nur bei positivem Ergebnis ist dann eine individuelle Nachtestung nötig. „Die Delta-Variante wird nach den Sommerferien sehr schnell durch die Schulen rauschen, wenn wir keine Vorsorge treffen“, warnte Brinkmann.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte die Ständige Impfkommission (Stiko) auf, dringend zu überlegen, wann sie das Impfen von Jugendlichen empfehle. „Das wirksamste Mittel gegen die Delta-Variante ist die Schülerimpfung. Gerade in den jüngeren Altersgruppen sind die Inzidenzzahlen am höchsten“, sagte der CSU-Chef der „Bild am Sonntag“. Bisher war die Datengrundlage zu Kindern aus Sicht der Impfkommission zu gering für eine allgemeine Impfempfehlung - und das Risiko möglicher Folgewirkungen bei ihnen größer als das einer Corona-Erkrankung mit schwerem Verlauf.

Für die Erwachsenen läuft die Impfkampagne dagegen auf Hochtouren. Mehr als 37 Prozent sind vollständig geimpft. Die Bundesregierung hat versprochen, dass alle impfwilligen Erwachsenen bis Ende des Monats eine Impfung angeboten bekommen, allerdings könnte der eigentliche Termin dann erst später liegen.

Erstmals seit Wochen ist die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen am Sonntag (4. Juli) im Vergleich zum Vortag gestiegen. Sie lag bei 5,0 Ansteckungen binnen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner und damit um 0,1 höher als tags zuvor (4,9; Vorwoche: 5,7), wie aus Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervorgeht, die den Stand des RKI-Dashboards von 05.23 Uhr wiedergeben. Demnach meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland dem Institut binnen eines Tages 559 Corona-Neuinfektionen. Vor einer Woche hatte der Wert bei 538 Ansteckungen gelegen. Alle Corona-Zahlen für Deutschland in der Übersicht finden Sie hier.

Die höchste Sieben-Tage-Inzidenz während der dritten Corona-Welle hatte es am 26. April 2021 mit einem Wert von 169,3 gegeben. Danach war sie – von wenigen Ausreißern abgesehen - ziemlich stetig gesunken. Zuletzt war die Inzidenz am 1. und 2. Juni vorübergehend gestiegen. Am Samstagmorgen hatte sie erstmals seit rund elf Monaten unter 5 gelegen. Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lässt jedoch ebenfalls aufmerken. Er lag laut RKI-Lagebericht vom Freitagabend bei 1,00 (Vortag 0,92). Das bedeutet, dass ein Infizierter rechnerisch im Schnitt einen weiteren Menschen ansteckt. Nach RKI-Daten lag er zuletzt im April über 1,00. Seinen Tiefstand seitdem erreichte er im Juni mit 0,68 – danach ging es verhältnismäßig rasch nach oben.

Der Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen ist innerhalb weniger Wochen rasant gestiegen. Das RKI geht davon aus, dass inzwischen etwa die Hälfte der Ansteckungen durch die aus Indien stammende Variante verursacht wird.

Trotz fortschreitender Impfkampagne rechnet eine große Mehrheit der Deutschen im Herbst mit steigenden Corona-Infektionszahlen und neuen staatlichen Beschränkungen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sagten 76 Prozent, dass sie einen Anstieg der Infektionszahlen erwarten. 74 Prozent gehen von einer Verschärfung der Maßnahmen gegen die Pandemie im Herbst aus. Nur 16 Prozent meinen, dass es keine neuen Einschränkungen geben wird. Zehn Prozent machten keine Angaben.

(hebu/dpa)
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