Lage in Krankenhäusern angespannt „Wir können fast jeden dritten Patienten im Regelsystem nicht mehr versorgen“

Düsseldorf · Wegen der vierten Welle und des Streiks schlagen die Kliniken Alarm: Jede fünfte Darmkrebs-OP wird verschoben. In Düsseldorf gibt es kaum noch freie Intensivbetten. Und Hausärzte erhalten in der nächsten Woche nur die Hälfte des bestellten Biontech-Impfstoffs.

 Bei Herzinfarkten müssen Notärzte oft weit fahren, bis sie eine freie Klinik finden.

Bei Herzinfarkten müssen Notärzte oft weit fahren, bis sie eine freie Klinik finden.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Der Anstieg der Corona-Neuinfektionen geht ungebremst weiter. Die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich zu: Bayern, Thüringen und Sachsen bereiten die Verlegung von 54 Covid-Intensivpatienten in andere Länder vor, weil ihre Intensivstationen voll sind. Neben den norddeutschen Ländern erklärte sich auch NRW bereit, Patienten aufzunehmen. Doch auch hier wächst der Druck. In der Uniklinik Bonn war am Donnerstag kein einziges Intensivbett mehr frei. Der Sprecher der Uniklinik Düsseldorf erklärte: „Wir haben, wie andere Düsseldorfer Häuser auch, immer nur einzelne Betten zur Verfügung.“

Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, warnte: „Deutschland testet die Grenzen seines Gesundheitssystems aus, 75 Prozent aller Krankenhausstandorte mit Intensivstationen melden einen nur noch eingeschränkten Betrieb“, schreibt er in einem Gastbeitrag für unsere Redaktion. Darunter leiden viele Patienten, die kein Corona haben. „Wir können fast jeden dritten Patienten im Regelsystem nicht mehr versorgen. Wir werden rund 20 Prozent weniger Darmkrebs-Operationen durchführen und etwa sieben Prozent weniger Operationen bei Frauen mit Brustkrebs“, so Gaß. „Jeder vierte Patient, der für eine orthopädische Operation vorgesehen war, muss erneut viele Monate auf die schmerzlindernde Behandlung warten.“ Die Notfallversorgung von Herzinfarkt- und Schlaganfall-Patienten sei durch längere Fahrzeiten zu entfernten Kliniken eingeschränkt.

Hinzu kommen die wiederkehrenden Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi. Aufgrund der Streiks muss die Uniklinik Düsseldorf planbare Operationen absagen, weil nicht mehr die volle Betten- und OP-Kapazität zur Verfügung steht. Ähnlich sieht es an der Uniklinik Essen aus: „Wir haben streikbedingt Operationen absagen oder verschieben müssen, aber noch nicht corona-bedingt. Wir stehen allerdings an einer Schwelle: Sollte sich das Pandemie-Geschehen weiter verstärken, werden wir an der Universitätsmedizin Essen auch wegen der Pandemie wieder elektive Eingriffe verschieben müssen“, sagte Jochen Werner, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Essen. „Aufgrund der Dynamik ist es schwer abschätzbar, wie sich die Lage zu Weihnachten entwickelt.“

Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist besorgt: Man müsse aufpassen, dass es nicht zu einer Überlastung der Krankenhäuser komme. „Hier zählt jeder Tag“, sagte sie. „Die Lage ist so ernst, weil wir in einem exponentiellen Wachstum sind.“ Die Patienten, die heute erkranken, seien die Intensivpatienten in 14 Tagen. „Wir brauchen mehr Beschränkungen von Kontakten.“ Denn die Impfquote stagniert: Im Bund liegt sie bei 68 Prozent, in Nordrhein-Westfalen bei 72 Prozent. Der bei weitem größte Anteil der auf den Intensivstationen liegenden Covid-Patienten ist nicht geimpft, erklärten die Kliniken in Essen und Köln. Auch in Bonn sind gut 80 Prozent der Corona-Intensivpatienten nicht immunisiert.

Nun bereitet das Bundesgesundheitsministerium im Auftrag der Ampelparteien eine Impfpflicht für Berufsgruppen vor: „Für Personen, die eine Tätigkeit in einem Krankenhaus, in stationären Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen der Eingliederungshilfe oder in ambulanten Pflegediensten aufnehmen wollen, wird ab dem 1. Januar 2022 vorgesehen, dass diese entweder geimpft oder genesen sein müssen“, heißt es in dem Gesetzentwurf, der unserer Redaktion vorliegt. Für aktuell Beschäftigte ist eine Übergangsfrist bis Ende März 2022 vorgesehen. Zwar sollen die Beschäftigten nicht zwangsgeimpft werden. Doch ihnen drohen Bußgelder, ein Beschäftigungs- oder Betretungsverbot.

Umso ärgerlicher, dass es einen neuen Rückschlag bei der Impfkampagne gibt: „Es sieht so aus, dass die Ärzte in der nächsten Woche nur knapp 50 Prozent der vorbestellten Biontech-Impfstoffe bekommen“, sagte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein. „Es ist sehr ärgerlich, dass die Praxen aufgrund hoher Zuteilungen an öffentliche Impfstellen noch nicht einmal die ursprünglich zugesagten 30 Impfdosen erhalten.“ Die Beratung fände in den Praxen statt. Moderna-Bestellungen würden hingegen ungekürzt ausgeliefert.

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