Spritzen in einen Muskel? Was Patienten mit Blutverdünnern vor der Corona-Impfung wissen müssen

Düsseldorf · Viele Menschen, die etwa an Vorhofflimmern leiden, müssen vorbeugend einen Blutgerinnungshemmer nehmen. Ärzte aus unserer Region geben Tipps, ob sie überhaupt geimpft werden können und was zu beachten ist.

 Eine Ampulle des Impfstoffs von Astrazeneca (Symbolfoto).

Eine Ampulle des Impfstoffs von Astrazeneca (Symbolfoto).

Foto: dpa/University Of Oxford

Eine Impfung gegen das Coronavirus scheint die Rettung von allen Übeln zu sein. Doch nicht wenige Menschen können sich in diesen Tagen nur verhalten freuen, denn sie wissen nicht, ob sie geimpft werden können. Sie leiden an Krankheiten, bei denen eine intramuskuläre Injektion schwierig ist, etwa weil sie mit Blutverdünnern behandelt werden. Zu diesen Leiden zählt beispielsweise das Vorhofflimmern.

Diese Herzrhythmusstörung zählt zu den Volkskrankheiten, über eine Million Menschen in Deutschland sind betroffen, und das Kuriose ist, dass manche Patienten es extrem stark merken, andere gar nicht. Bei den symptomatischen Patienten fühlt es sich an, als werde im Herzen das Gaspedal durchgetreten, als beginne der Motor zu rasen und zu stolpern. Luftnot meldet sich, Schlappheit auch. Wer damit zum Arzt geht, kann Pech haben, denn die Episode kann beim Doktor wieder beendet sein und ist dann auch im EKG nicht mehr nachweisbar – bis eine neue auftritt, von jetzt auf gleich.

Bei einem Gesunden hält ein raffiniertes Pumpsystem den Blutkreislauf rhythmisch tadellos in Gang. Den Takt schlagen spezialisierte Herzmuskelzellen im rechten Vorhof des Herzens. Aus diesem Areal, dem Sinusknoten, jagen die elektrischen Impulse durch den Vorhof und über eine Zellbrücke in die Hauptkammern des Herzens. Dieses komplexe System ist anfällig. Ist ein Herz vorgeschädigt, wirkt sich das auf den Rhythmus aus. Auch Alkohol, Hormone und das Nervensystem setzen ihm zu. Manchmal verbreitet sich die Erregung dann entfesselt durch die Vorhöfe. Sie zittern und flimmern nur. Dann kann sich in ihren Ausbuchtungen ein stiller See aus Blut bilden. In diesem Totwasserraum entstehen oft Gerinnsel, die unter anderem ins Gehirn ausgespült zu werden drohen. Nicht selten ist ein Schlaganfall die Folge; es drohen auch kognitive Einschränkungen und eine Depression.

Die Patienten bekommen Medikamente, die den Originalrhythmus wiederherstellen oder das Blut so dünn halten, dass es nicht mehr verklumpt. Bei anderen werden die fehlprogrammierten Zellen im Vorhof durch einen Kathetereingriff ausgeschaltet, auf dass sie ihr Störfeuer einstellen. Gerinnungshemmer sind trotzdem zentrale Medikamente zur Vorbeugung, auch bei Herzklappenprothesen, Venenthrombosen, Lungenembolien oder bei der sogenannten Thrombophilie, einer krankhaft erhöhten Neigung zur Bildung von Blutgerinnseln.

Wer solche Medikamente bekommt, bei dem sind Spritzen in den Muskel mit großer Vorsicht zu genießen. Bei vielen Impfungen kann zwar alternativ auch subkutan, also unter die Haut, gespritzt werden, aber „bei der Corona-Impfung muss es zwingend der Muskel sein“, sagt Thomas Mertens, Virologie-Professor in Ulm und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission. Dann droht allerdings die Gefahr eines möglicherweise riesigen Hämatoms.

Was sollen nun also Menschen machen, die einen Gerinnungshemmer nehmen müssen? Derer gibt es viele: etwa das berühmte Marcumar (aus der Gruppe der Cumarine, die die plasmatische Blutgerinnung hemmen) oder die sogenannten NOAKs, die neuen oralen Antikoagulanzien wie Pradaxa (ein Thrombin-Hemmer), Lixiana, Eliquis oder Xarelto (hemmen den Gerinnungsfaktor X). Daneben gibt es diverse Heparine, die zu den körpereigenen Glykosaminoglykanen zählen, die ebenfalls hemmend auf die Gerinnungskaskade wirken.

Wer nun ein solches Medikament nimmt und sich trotzdem impfen lassen möchte, der muss aber nicht verzweifeln, im Gegenteil. Viele Ärzte mit ausreichender Impfpraxis kennen solche Fälle und wissen mit ihnen umzugehen. Christian Meyer, Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf, sagt: „Tatsächlich sind intramuskuläre Injektionen unter Gerinnungshemmern nur unter Berücksichtigung besonderer Vorsichtsmaßnahmen durchzuführen. Man muss also überlegen, wie man die Tabletten intelligent pausiert.“ Bei den NOAKs gebe es fast nie Probleme, weil das Risiko für eine Blutung geringer ist; man dürfe das Medikament für ein bis zwei Tage (je nach Nierenfunktion) absetzen. Das solle man, sagt Kardiologie-Professor Meyer, aber immer mit dem behandelnden Arzt besprechen.

Auch der Kardiologe Heribert Brück aus Erkelenz weist darauf hin, dass man einen Gerinnungshemmer in keinem Fall eigenmächtig absetzen dürfe: „Und wenn der Patient Marcumar wegen einer Kunstklappe nimmt, ist es komplizierter. Dann muss individuell entschieden werden, und es sollte unbedingt der Kardiologe befragt werden.“ Die NOAKs, sagt Brück, seien für Kunstklappen nicht zugelassen. Das wiederum ist bei Bio-Klappen anders.

Und wie ist es mit Menschen, die an Hämophilie, also der Bluterkrankheit, leiden? Hans-Jürgen Laws, Oberarzt an der Universitäts-Kinderklinik in Düsseldorf und Experte für Gerinnungsstörungen, sagt: „Natürlich gilt auch bei ihnen weiterhin die Empfehlung, intramuskuläre Injektionen zu vermeiden und besser subkutan zu spritzen, wenn es geht. Wenn das nicht möglich ist, dann ist in Ausnahmefällen die intramuskuläre Injektion mit dünner Kanüle und anschließender Kompression für etwa fünf Minuten möglich.“ Erwachsene spritze man in den Deltamuskel am Oberarm, Kinder in den Oberschenkel. Das werde seit längerer Zeit vielerorts so gemacht, und Probleme treten nur sehr selten auf. Erfahrung mit solchen Fällen, betont Laws, sei aber wichtig.

Manuela Albisetti Pedroni aus dem Vorstand der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung bestätigt das gegenüber unserer Redaktion: „Wir impfen mittlerweile alle Hämophile intramuskulär und nicht mehr wie früher strikt subkutan.“ Sie bekräftigt die Wichtigkeit der Routine: „Hauptsache, man verwendet eine feine Nadel“, sagt die Professorin am Universitäts-Kinderspital in Zürich, „und komprimiert die Einstichstelle etwa zehn Minuten lang.“

Zur Vorsicht mahnt Steffen Koschmieder, Professor am Universitätsklinikum Aachen. „Es ist immer eine Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich. Das heißt, dass das Blutungsrisiko bei einer Impfung gegen das Risiko einer Thrombose oder eines sonstigen Gerinnsels abgewogen werden muss.“ So muss man bei kritischen Patienten, die beispielsweise bereits einen Schlaganfall oder mehrere Thrombosen erlitten haben, besonders genau überlegen, ob das blutverdünnende Medikament für die Impfung pausiert werden kann oder ob der Patient temporär auf ein anderes, überbrückendes Medikament umgestellt werden sollte. „Entscheidend ist immer die Einzelfallentscheidung, und in schwierigen Fällen hilft oft eine Diskussion mit den Kolleginnen und Kollegen der beteiligten Fachdisziplinen“, erläutert Koschmieder.

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