Termine, Nutzen, Nebenwirkungen Das müssen Eltern und Kinder zur neuen Impf-Empfehlung wissen

Service | Düsseldorf · Die Ständige Impfkommission empfiehlt, dass alle Kinder über 12 gegen Corona geimpft werden. Karl Lauterbach hält das für überfällig. Karl-Josef Laumann sagt, wie es geht, und wirbt für das Impfen - auch wegen der Vorteile für Schüler im Pandemie-Alltag. Das müssen Sie nun wissen.

 Eine Jugendliche wird geimpft (Symbolfoto).

Eine Jugendliche wird geimpft (Symbolfoto).

Foto: dpa/Philipp Schulze

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat endlich ihre Empfehlung für Kinder geändert. Sie empfiehlt nun generell, dass Kinder ab 12 Jahren geimpft werden. Bislang galt das nur für Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen. Das müssen Eltern und Kinder nun wissen.

Warum hat die Stiko ihre Meinung geändert? Die Stiko hat lange auf die aus ihrer Sicht unzureichende Datenlage verwiesen. Inzwischen haben andere Länder aber Millionen Kinder geimpft. Das überzeugt nun die Experten. Auf Grundlage neuer Daten, insbesondere aus dem amerikanischen Impfprogramm mit fast zehn Millionen geimpften Kindern, könnten mögliche Risiken der Impfung für diese Altersgruppe nun zuverlässiger beurteilt werden, teilte die Stiko am Montag mit. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass auch bei Kindern die Vorteile der Impfung das Risiko von sehr seltenen Nebenwirkungen überwögen. „Diese Empfehlung zielt in erster Linie auf den direkten Schutz der geimpften Kinder und Jugendlichen vor Covid-19 und den damit assoziierten psychosozialen Folgeerscheinungen ab. Unverändert soll die Impfung nach ärztlicher Aufklärung zum Nutzen und Risiko erfolgen“, erklärte die Stiko weiter.

Was sagen Experten? Die Kinderärzte und die Kassenärztlichen Vereinigungen sind erleichtert, dass es nun Klarheit gibt. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach begrüßt die Änderung als überfällig: "Die Stiko hat sehr lange mit ihrer Empfehlung für Kinder gewartet, damit hat sie es für viele Kinder über 12 Jahre schwer gemacht, eine Impfung zu erhalten. Umso mehr begrüße ich den Schritt jetzt", sagte Lauterbach unserer Redaktion. "Die Impfung schützt das Leben der Kinder. Das ist umso wichtiger, weil sich viele Erwachsene leider nicht impfen lassen. Covid 19 geht an den Kindern nicht vorbei, in Großbritannien liegen auch Kinder mit schweren Verläufen in den Kliniken. Ohne Impfung bei Kindern wird sehr viel Unterricht ausfallen, das muss verhindert werden." Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einer guten Nachricht: „Eltern und Jugendliche haben damit eine klare Empfehlung, sich für die Impfung zu entscheiden.“ Auch NRW-Minister Karl-Josef Laumann (CDU) begrüßte den Stiko-Entscheid: „Erfreulicherweise hat sich die Stiko klar positioniert. Wir werben dafür, dass sich nun alle Zwölf- bis 17-Jährigen impfen lassen.“

Welchen Impfstoff erhalten die Kinder und in welcher Dosis? Bislang sind in der EU zwei Impfstoffe für Kinder ab 12 Jahren zugelassen: der von Biontech und der von Moderna. Wie die Erwachsenen erhalten die Kinder zwei Dosen. Bei Biontech beträgt der empfohlene Abstand zwischen beiden Spritzen drei bis sechs Wochen. Bei Moderna wird eine zweite Impfung nach vier bis sechs Wochen empfohlen.

Wo bekommt man einen Impftermin? Erster Ansprechpartner für Familien ist der Kinder- oder Hausarzt. Inzwischen ist es für die Praxen auch kein Problem mehr, ausreichend Impfstoff von Biontech oder Moderna zu bekommen. In den vergangenen Wochen hatten viele Kinderärzte noch gezögert, gesunde Kinder über 12 zu impfen, weil sie sich an die eingeschränkte Stiko-Empfehlung halten wollten. Minderjährige brauchen die Unterschrift der Eltern als Einverständniserklärung. Doch die Eltern müssen zur eigentlichen Impfung nicht einmal mitkommen, so Laumann am Dienstag.

Können Kinder auch ins Impfzentrum gehen? Ja, Familien können sich ab sofort auch an die Impfzentren wenden, sagte Laumann. Solange es diese Zentren noch gibt - NRW schließt seine Impfzentren Ende September. Auch könnten Schulen Termine in den Impfzentren buchen oder seien selbst Standort für Impfaktionen. Eltern können über die Termin-Portale einen Termin buchen. Inzwischen steht so viel Impfstoff zur Verfügung, dass es ganz häufig sogar möglich ist, sich ohne Termin im Impfzentrum versorgen zu lassen.

Was sind die Vorteile der Impfung? Die Impfung bietet einen großen Schutz vor der Corona-Infektion. Der Schutz gegen die Delta-Variante ist zwar geringer als bei anderen Varianten, aber insbesondere bei Biontech und Moderna noch immer hoch. Vor allem bieten Impfungen einen über 90-prozentigen Schutz vor schweren Verläufen. Und gerade bei jungen Menschen sind die Inzidenzen hoch: Bei unter 25-Jährigen liegen sie über 120, so der Aachener Intensivmediziner Gernot Marx. Bei über 60-Jährigen liegt die Inzidenz hingegen bei 18. Impfungen bringen weitere Vorteile im Pandemie-Alltag: Vollständig geimpfte Schüler müssen sich in NRW nicht mehr in der Schule testen lassen. Zudem bekommen geimpfte Schüler wie geimpfte Erwachsene ihre Freiheiten beim Besuch von  Veranstaltungen zurück. Und bei der Erkrankung eines Schülers seien die Quarantäne-Pflichten von geimpften Mitschülern anders zu bewerten, sagte Laumann.

Welche Nebenwirkungen gibt es bei Kindern? Wie bei jeder Impfung können Nebenwirkungen auftreten. Für den Biontech-Impfstoff erklärt das Robert-Koch-Institut (RKI), bei dem die Stiko angesiedelt ist: „Impfreaktionen treten in der Regel kurz nach der Impfung auf und halten wenige Tage an. Die Reaktionen waren größtenteils mild bis moderat ausgeprägt.“ Der wichtigste Satz des RKI: „Schwere unerwünschte Ereignisse, die als impfstoffbezogen bewertet wurden traten nicht auf, wie zum Beispiel Facialisparesen, Thrombosen oder neurologische Symptome.“ Harmlos sind lokale Reaktionen wie Schmerzen (91 Prozent), Schwellung (9 Prozent) und Rötung (9 Prozent) an der Einstichstelle, sie hielten zumeist ein bis drei Tage an. Systemische Impfreaktionen traten laut RKI zwischen dem ersten und vierten Tag nach Impfung auf und hielten zumeist ein bis zwei Tage an. Dazu zählen Abgeschlagenheit (78 Prozent), Kopfschmerz (76 Prozent), Schüttelfrost (49 Prozent), Muskelschmerzen (42 Prozent), Fieber (24 Prozent). Das RKI bezieht sich auf eine Zulassungsstudie, bei der die Sicherheit des Impfstoffs bei 2260 Probanden im Alter von 12 bis 15 Jahre untersucht wurde.

Was ist mit Herzmuskel-Entzündungen? Hierüber gab es in den vergangenen Wochen Debatten. Doch die Gefahr ist minimal und die Entzündungen können auch bei Covid selbst auftreten. Die Stiko schreibt: „Die sehr seltenen, bevorzugt bei jungen männlichen Geimpften im Zusammenhang mit der Impfung beobachteten Herzmuskelentzündungen müssen als Impfnebenwirkungen gewertet werden. In der Mehrzahl der Fälle wurden die Patienten mit diesen Herzmuskelentzündungen hospitalisiert, hatten jedoch unter der entsprechenden medizinischen Versorgung einen unkomplizierten Verlauf. Umgekehrt weisen neuere Untersuchungen aus dem Ausland darauf hin, dass Herzbeteiligungen durchaus auch bei Covid-19-Erkrankungen auftreten.“

Müssen Kinder sich impfen lassen? Nein. Das bekräftigte am Dienstag auch Laumann: Auch langfristig soll der Schulbesuch nicht an eine Impfung gebunden werden. „Dafür testen wir ja regelmäßig in der Schule“, so der Minister. Zudem sei die Teilhabe an Bildung ist ein hohes Gut, das können man nicht einfach aushebeln. Das sei bei dem Besuch einer Disco anders. Hier müssen Besucher einen PCR-Test vorlegen. Auch Kanzlerin und Ministerpräsidenten betonen immer wieder, dass die Corona-Impfung freiwillig bleibt. Die Stiko mahnte, den Besuch der Schule oder des Sportvereins nicht an die Impfung zu binden: „Die Stiko spricht sich ausdrücklich dagegen aus, dass bei Kindern und Jugendlichen eine Impfung zur Voraussetzung sozialer Teilhabe gemacht wird.“

Was ist mit jüngeren Kindern? Gesundheitsexperte Lauterbach hofft nun, dass es bald auch für Kinder unter 12 Jahren einen Impfstoff gibt: "Hersteller wie Biontech treiben inzwischen auch die Studien für Kinder unter 12 Jahren voran. Das ist gut, wir sollten auch jüngere Kinder schützen, wenn die Studien die Sicherheit auch in dieser Altersgruppe zeigen." Biontech-Gründer Ugur Sahin hatte im Interview erklärt, er gehe davon aus, dass sein Unternehmen im Herbst Ergebnisse für jüngere Kinder vorlegen könne. Die Akademie für Kinder- und Jugendmedizin forderte alle Erwachsenen auf, sich zum Schutz der jüngeren Kinder impfen zu lassen, für die es noch keinen Impfstoff gibt.

(anh)
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