Nicht einmal zwei Monate erprobt Russland lässt laut Putin ersten Corona-Impfstoff zu

Moskau · Russland lässt als erstes Land der Welt einen Impfstoff gegen das Coronavirus für die breite Verwendung zu. Das verkündete Präsident Wladimir Putin. Der Präsident der Bundesärztekammer kritisiert das Vorgehen scharf und nennt es „Experiment am Menschen“.

Das Mittel, das das Moskauer Gamaleja-Institut entwickelt hatte und erst seit weniger als zwei Monaten an Menschen getestet wird, habe die Freigabe des Gesundheitsministerium erhalten, sagt Putin. Seine Tochter sei bereits geimpft worden. Er hoffe, dass die Massenproduktion bald gestartet werden könne. „Ich weißt, dass er sehr wirksam ist und eine hohe Immunität erzeugt und ich wiederhole, er hat alle erforderlichen Prüfungen bestanden."

Erst wenige Menschen haben ihn im Rahmen einer Studie den Impfstoff erhalten. Eine Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse großer klinischer Studien widerspricht dem international üblichen Vorgehen. So stellte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Vorfeld klar: „Jeder Impfstoff muss natürlich alle Versuchsreihen und Tests durchlaufen, bevor er genehmigt und ausgeliefert wird.“ Es gebe klare Richtlinien für die Entwicklung von Impfstoffen.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat die Zulassung des Corona-Impfstoffes in Russland scharf kritisiert. „Die Zulassung eines Impfstoffs ohne die entscheidende dritte Testreihe halte ich für ein hochriskantes Experiment am Menschen“, sagte Reinhardt unserer Redaktion. Es dränge sich der Eindruck auf, dass es sich um eine populistische Maßnahme eines autoritär regierten Staates handele, der der Weltgemeinschaft seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit demonstrieren möchte, kritisierte der Präsident der Bundesärztekammer weiter. „Es ist unverantwortlich, ganze Bevölkerungsgruppen bereits in diesem Stadium der Entwicklung zu impfen.“

Eine reguläre Zulassung ohne die umfangreichen Daten aus einer Phase-III-Prüfung mit mindestens mehreren Tausend Probanden erscheine riskant, erklärte auch Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. In der Etappe könnten unter anderem mögliche seltene Nebenwirkungen detektiert werden. Die Zahl der Probanden betrage in der Regel mehrere Tausend bis Zehntausende. In Deutschland gibt es eine Zulassung erst nach Abschluss der letzten Phase.

Russland hat den Impfstoff gegen das Coronavirus in Erinnerung an sein Vordringen in den Weltraum 1957 auf den Namen „Sputnik V“ getauft. Das berichtete das russische Staatsfernsehen am Dienstag in Moskau. Der Chef des russischen Investmentfonds Kirill Dmitrijew sprach kürzlich von einem „Sputnik-Moment“. „Die Amerikaner waren überrascht, als sie Sputniks Piepen hörten. Mit diesem Impfstoff ist es genauso“, sagte er dem US-Sender CNN. Seine vom Kreml gegründete Stiftung finanziert die Impfstoff-Produktion.

Russlands Gesundheitsminister Michael Muraschko erklärte, das Gamaleja-Institut und die Firma Winnopharm sollten das Medikament produzieren. Zuerst sollen Lehrer und Ärzte geimpft werden. Nach Behördenangaben beginnt die Impfung noch im August oder im September. Der Stoff solle auch ins Ausland exportiert werden. Unabhängig von der Zulassung läuft in Russland eine dritte Testphase.

Weltweit wird in mehr als 170 Projekten nach Corona-Impfstoffen gesucht und mehrere Forscherteams haben vielversprechende Zwischenergebnisse veröffentlicht. Allerdings rechnen Experten generell mit einem marktfähigen Impfstoff zumeist erst im kommenden Jahr.

Das Gamaleja-Institut hatte bereits im Mai mitgeteilt, einen Impfstoff entwickelt zu haben. Nach eigener Darstellung liefen die ersten Tests erfolgreich. Das Präparat wurde demnach an 50 Soldaten erprobt, die sich freiwillig gemeldet hätten. Russland hat bislang aber keine wissenschaftlichen Daten zu dem Impfstoff für eine unabhängige Bewertung veröffentlicht.

Kremlchef Putin hatte schon früh Druck bei der Entwicklung gemacht. Nach Angaben von Muraschko wird derzeit ein zweiter Impfstoff gegen Sars-CoV-2 klinisch getestet. Weitere sollen folgen.

(felt/qua/ahar/dpa/Reuters/AFP)
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