Ende der epidemischen Lage Freiheitsdrang schlägt Vorsicht vor Corona

Meinung | Berlin · Die Inzidenzen und die Zahl der Einweisungen in die Kliniken steigen. Dennoch möchten die Ampel-Parteien die epidemische Lage nicht weiter verlängern. Das ist unklug.

Ein Schüler führt an einer Schule einen Corona-Schnelltest durch. Das Robert Koch-Institut registriert derzeit in einzelnen Regionen Deutschlands besonders viele Corona-Ansteckungen.

Ein Schüler führt an einer Schule einen Corona-Schnelltest durch. Das Robert Koch-Institut registriert derzeit in einzelnen Regionen Deutschlands besonders viele Corona-Ansteckungen.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die künftige Koalition aus SPD, Grünen und FDP möchte sich als Bündnis der Freiheit präsentieren. So klang es jedenfalls, als die drei Unterhändler in Sachen Corona begründeten, warum sie die vom Bundestag festgestellte „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ nicht über den 25. November hinaus beibehalten wollen. Die gibt nämlich der Bundesregierung weitreichende Vollmachten, zum Schutz der allgemeinen Gesundheit massiv in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen.

Die Absicht ist richtig. Viele Verfassungsrechtler haben in der Vergangenheit kritisiert, dass die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes der Exekutive, also der Regierung, zu viel Macht gäben. Besser wäre ein Gesetz, dass die Handlungen der Behörden eindeutig regeln würde. Sie dürften nur eingreifen, wenn Kennzahlen eine bestimmte Höhe erreichten.

Nun geht es den künftigen Koalitionären aber darum, die Kompetenzen des Bundes völlig zu streichen. Nur noch die Länder können dann – je nach örtlich endemischer Lage – Masken- und Abstandsregeln erlassen, Veranstaltungen begrenzen oder Zugangsregeln beschließen. Das passt so gar nicht zur steigenden Anzahl der Infektionen und inzwischen auch der Krankenhauseinweisungen. Experten wollen nicht ausschließen, dass beide Inzidenzen noch kräftig in die Höhe gehen, die Kliniken können auch im kommenden Winter an ihre Belastungsgrenze stoßen.

Natürlich sind Lockdowns nicht mehr nötig, wenn zwei von drei Personen in Deutschland geimpft sind. Auch Veranstaltungen sollten für Geimpfte und Genesene nicht mehr generell abgesagt werden – auch wenn immer noch ein nicht unerhebliches Restrisiko besteht. Dass sich der Bund aber ohne Not um all diese Instrumente bringt und nicht bis Frühjahr auf fallende Zahlen wartet, ist unerklärlich. Eine völlig neue Gesetzgebung, die den Freiheitsgedanken stärker verankern würde, wäre hier sinnvoller. Sie kann aber nicht übers Knie gebrochen werden. Die Abschaffung der Notlage schien den Ampel-Verhandlern, aber auch dem scheidenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der einfachere und bequemere Weg.

Jetzt ist nur zu hoffen, dass die Menschen selbst vernünftig genug sind und Risiken in der kalten Jahreszeit meiden, sollten die Zahlen neue Rekorde erreichen. Der wöchentliche Wert der Ansteckungen pro 100.000 Einwohner, der die Inzidenzen definiert, ist sicher nicht das Maß aller Dinge und hat angesichts der erreichten Impfquote an Bedeutung verloren. Aber so völlig unwichtig, wie ihn die Politik jetzt macht, ist er auch wieder nicht. Und beschleunigen sich Infektionen erst einmal, können sie nur schwer gestoppt werden, wie die Vergangenheit zeigt. Die Politik geht derzeit große Risiken ein.

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