Neue Corona-Studie Britische Forscher empfehlen Kurz-Lockdown als Vorsorgepause

London · Eine britische Studie schlägt in Phasen unkontrollierbarer Vermehrung des Virus in der Bevölkerung einen zeitlich genau geplanten und eng befristeten Lockdown vor. Der Virologe Christian Drosten begrüßt diese Idee eines „Überlastschalters, um die Zunahme von Neuinfektionen zu verzögern“.

 Im März und April wurde in Deutschland das öffentliche Leben weitestgehend heruntergefahren. Die Gefahr vom erneuten Lockdown ist noch nicht ausgeräumt.

Im März und April wurde in Deutschland das öffentliche Leben weitestgehend heruntergefahren. Die Gefahr vom erneuten Lockdown ist noch nicht ausgeräumt.

Foto: dpa/Daniel Karmann

Der Politik kommen in diesen Tagen heikle, sehr unterschiedliche Schutzaufgaben zu: Zum einen muss sie die Menschen durch sinnvolle Maßnahmen vor der Infektion mit dem Coronavirus zu bewahren suchen, zum anderen muss sie einen zweiten Kollaps der Wirtschaft verhindern. Für diese fast unlösbar scheinende Doppelaufgabe haben britische Wissenschaftler angesichts der dortigen, dramatischen verlaufenden Verhältnisse nun einen Vorschlag gemacht: einen zeitlich begrenzten Lockdown, der nicht direkt, sondern nach Ankündigung vollzogen wird und der nur kurze Zeit dauert. Der Berliner Virologe Christian Drosten und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach haben jetzt per Twitter auf diese Studie hingewiesen, die noch nicht von anderen Forschern begutachtet ist. Sie wurde auf Med Rxiv veröffentlicht, einem Dokumentenserver für Preprints aus den Bereichen Medizin und Gesundheitswissenschaften.

Die Autoren um Matt J. Keeling von der Universität Warwick und Graham F. Medley von der London School of Hygiene and Tropical Medicine weisen darauf hin, dass die bisherige Covid-19-Pandemie in Großbritannien durch Phasen exponentiellen Wachstums, aber auch deutlichen Rückgangs gekennzeichnet ist,  sobald „nicht-pharmazeutische Interventionen“ wie Kontaktsperren, Ausgangsverbote oder Schließungen bestimmter öffentlicher Räume ins Spiel kommen. Sie erinnern daran, dass strenge Sperrmaßnahmen zu einem epidemiologisch spürbaren Rückgang der Infektionen führten, der sich im Sommer wieder aufhob, da die Kontrollmaßnahmen gelockert wurden. Seit August haben Infektionen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle in Großbritannien wieder massiv zugenommen.

 Nun ist die Überlegung der Autoren, von strengeren und vor allem kurzfristig erfolgenden und zeitlich nicht beschränkten Restriktionen abzusehen; dies schädige die Wirtschaft und schränke die Freiheiten der Menschen zu sehr ein. Ein alternativer Ansatz könne darin bestehen, geplante, begrenzte Zeiträume strenger Maßnahmen vorausschauend einzuleiten. Die Autoren nennen dies „Vorsorgepausen“. Ihr Zweck: „Sie können ein Mittel bieten, um die Kontrolle über die Epidemie zu behalten, während ihre festgelegte Dauer und die Vorwarnung die Auswirkungen auf die Gesellschaft einschränken können.“

 Die Forscher untersuchten anhand einfacher Analysen und altersstrukturierter Modelle, die auf die sich entwickelnde britische Epidemie abgestimmt sind, die Wirkung von Vorsorgepausen. „Insbesondere berücksichtigen wir ihre Auswirkungen auf die Prävalenz von Infektionen sowie die Gesamtzahl der vorhergesagten Krankenhauseinweisungen und Todesfälle.“ Die Wissenschaftler erhoffen sich von diesen „Vorsorgepausen“ auch die Chance, dass sich die Kontrolle über die Ausbreitung des Virus (etwa durch Kontaktverfolgung) wiedererlangen lässt.

Lauterbach schreibt: „Die Studie ist interessant, auch für uns. Weil mit systematischen Kurz-Shutdowns die Unterbrechung eines exponentiellen Wachstums gelingen könnte, bei gleichzeitiger Minimierung der ökonomischen und schulischen Kosten. Auch wären Unterbrechungen planbar, was Akzeptanz erhöhen würde.“ Auch Drosten begrüßt diese Idee eines „Überlastschalters, um die Zunahme von Neuinfektionen zu verzögern“.

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