Wie gut war Deutschlands Corona-Politik? Drei Jahre Corona – die größten Fehler und Erfolge

Analyse | Düsseldorf · Am 27. Januar 2020 gab es den ersten deutschen Corona-Fall. Bei der Krisenbewältigung sind wir Mittelmaß. Manches lief schief bei Lockdowns und Impfkampagne. Aus Erfolgen lässt sich für die nächste Pandemie lernen.

Corona NRW:  So hat sich das Virus seit Beginn ausgebreitet - 2020 bis 2023
52 Bilder

Die Entwicklung des Coronavirus in NRW in Bildern

52 Bilder
Foto: dpa/Jens Büttner

Am 27. Januar 2020 war es so weit: Die Corona-Welle, die in China ihren Anfang genommen hatte, erreichte Deutschland: Bei einem Mitarbeiter des bayerischen Autozulieferers Webasto wurde eine Infektion festgestellt. Am 26. Februar gab es den ersten Fall in NRW, eine Karnevalssitzung in Heinsberg wurde zum Superspreader-Event. Drei lange Jahre folgte Viruswelle auf Viruswelle – Wildtyp, Alpha, Delta, Omikron. Lockdowns und Lockerungen wechselten sich ab. Nun scheint der Übergang von der Pandemie zur Endemie nahe: Das Virus bleibt, aber wir können mit ihm leben. Eine Bilanz.

Wie gut ist die deutsche Krisenpolitik?

Als zentrales Kriterium für die Krisenpolitik gelten die Todeszahlen. Diese machten gleich zu Beginn die Heimtücke des Virus deutlich. Die Bilder der Leichenwagen im italienischen Bergamo oder New York waren alarmierend und ließen Staaten zu drastischen Maßnahmen greifen. Schon am 16. März 2020 schlossen in Deutschland Schulen und Kitas, es folgten Handel, Friseure, Gastronomie. Bis jetzt haben sich in Deutschland 37,7 Millionen Menschen infiziert, die Dunkelziffer ist hoch. 164.844 sind laut Robert-Koch-Institut an oder mit Corona gestorben.

Deutschland bewegt sich bei den Corona-Toten mit fast 200 je 100.000 Einwohnern im unteren Drittel der entwickelten Länder. Die meisten angelsächsischen Staaten (mit Ausnahme der USA und Großbritanniens) sowie die skandinavischen Länder (mit Ausnahme Schwedens) schnitten besser ab, ebenso Südkorea, Israel, Taiwan oder Japan. Allerdings liegt Deutschland besser als der Schnitt in der EU. Die Niederlande haben mit 138 Toten und die Schweiz mit 165 Toten je 100.000 Einwohnern eine günstigere Todesrate.

Was waren die größten Fehler?

Deutschland fuhr häufig einen Kurs der faulen Kompromisse, was auch damit zu tun hatte, dass die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit der Kanzlerin das Vorgehen in immer neuen Nachtsitzungen aushandelte. Die zentral regierten Niederlande dagegen wechselten in ihrem Regime häufig zwischen recht lockeren und sehr strengen Regeln. Sie folgten den Empfehlungen der Experten, schon früh mit kurzen, aber drastischen Maßnahmen, die Verbreitung des Virus einzuschränken. Die Zögerlichkeit Deutschlands in der zweiten und dritten Welle war mit vielen Toten verbunden.

Schaut man auf die Kollateralschäden der Krisenpolitik, sieht die Bilanz ebenfalls nicht gut aus. Immer wieder spielten Einzelinteressen eine Rolle. Das ging zulasten der Kinder, die NRW wochenlang aus Schulen und Kitas verbannte, obwohl sie meist milde Verläufe hatten. 2020 etwa öffneten die Möbelhäuser in NRW wieder vor den Schulhäusern, man habe da wirtschaftliche Interessen, so die Landesregierung. Später scheute sich die MPK vor einem konsequenten 2G-Kurs (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene). Ganz anders ging die Schweiz mit ihren Schülern um: Die Eidgenossen haben niemals die Schulen geschlossen.

Auch im Umgang mit alten Menschen passierten Fehler. „Wir werden einander viel verzeihen müssen“, hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) früh geahnt. In der ersten Phase der Pandemie, als Pflegeheime und Kliniken abgeriegelt wurden, mussten Menschen einsam sterben. Angehörige konnten sich nicht mehr oder nur noch per Videoanruf für immer verabschieden.

Bei der Impfkampagne gab es viele Pannen. Erst legte sich Spahn auf den falschen Impfstoff (Astrazeneca) fest. Die Terminvergabe für die über 80-Jährigen verlief chaotisch. Vor der Omi­kronwelle schloss Spahn die Impfzentren voreilig, um sie wieder hektisch zu öffnen. Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) verwirrte die Bevölkerung mit immer neuen eigenmächtigen Ansagen.

Was sind die Erfolge der Krisenpolitik?

Verglichen mit der Spanischen Grippe, die auch drei Jahre dauerte, weltweit aber über 20 Millionen Tote forderte, während es bei Corona knapp sieben Millionen sind, lief bei der Bekämpfung aber auch vieles gut.

Binnen weniger Monate wurde ein Impfstoff entwickelt, der zwar nicht vor Ansteckung schützte, aber vor schweren Verläufen und dem Tod. Der Mainzer Hersteller Biontech schrieb mit seiner mRNA-Technologie Medizingeschichte. Schon am 2. Dezember 2020 erhielt Biontech die Zulassung – viel schneller als erwartet.

Corona-Tests halfen, die Pandemie zu kontrollieren. Wissenschaftler wie Christian Drosten hatten die Grundlage dafür gelegt und klärten die Bevölkerung auf.

Ende 2021 gerieten die Krankenhäuser zwar ans Limit, aus dem überforderten Sachsen mussten Intensivpatienten in andere Länder verlegt werden. Doch das Gesundheitssystem als Ganzes hielt stand. Das lag auch an dem stabilen System der niedergelassenen Ärzte. „Unser Gesundheitssystem mit einem gut funktionierenden ambulanten System von Hausärzten und Apotheken war das Rückgrat in der Bewältigung der Pandemie. Denn die allermeisten Patienten wurden dort behandelt und versorgt“, sagte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein. Bislang wurden über 190 Millionen Dosen Impfstoff geliefert und verabreicht. Inzwischen sind 76  Prozent der Gesamt­bevölkerung grundimmunisiert, 63 Prozent haben eine oder zwei Auffrischungs­impfungen erhalten.

Während die Gesundheitsämter die Pandemie zunächst per Faxgerät bekämpften, schalteten Unternehmen schnell um. Als Millionen Arbeitnehmer ins Homeoffice wechselten, ging es plötzlich ganz schnell mit der Digitalisierung und dem mobilen Arbeiten. Dahinter kann die Arbeitswelt nach dem Ende der Pandemie nicht mehr zurück. Oft gibt es in Betrieben nun Mischformen des Arbeitens.

 Der erste Corona-Patient von NRW kam aus Gangelt im Kreis Heinsberg.

Der erste Corona-Patient von NRW kam aus Gangelt im Kreis Heinsberg.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

„Ohne die vielen Schutzmaßnahmen und Impfungen wäre es höchstwahrscheinlich viel schlimmer für uns ausgegangen“, sagt Thomas Preis. Deshalb sei es wichtig, das ambulante System zu stärken. „Nach der Pandemie ist vor der nächsten.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort