Einige Eltern verunsichert Chemikalien in Corona-Selbsttests – Experten geben Entwarnung

Düsseldorf · Berichte über giftige Substanzen in Corona-Selbsttests für Schüler verunsichern einige Eltern. Ein Blick auf die Inhaltsstoffe zeigt jedoch: Die fraglichen Stoffe kommen in vielen Produkten vor – und das in deutlich höherer Konzentration.

 Ein Schüler führt einen Schnelltest durch.

Ein Schüler führt einen Schnelltest durch.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

In Hamburg hatten die Selbsttests für Schüler Schlagzeilen gemacht - Medien, zuerst die „Welt“, hatten berichtet, die Hansestadt setzen die bis dahin verwendeten Tests der Firma Roche wegen Sorgen um giftige Chemikalien nicht mehr in Schulen ein. Später erklärte ein Sprecher des Schulsenators in einem Interview mit der „Zeit“, der Umstieg auf ein anderes Fabrikat sei ohnehin geplant gewesen und stehe nicht in Zusammenhang mit den Berichten, Grund sei eine einfachere Handhabung. Der Roche-Tests sei eigentlich als Schnelltest konzipiert, der von Dritten durchgeführt werde. Auch der Einsatz als Selbsttest sei möglich, aber umständlicher als bei den speziell entwickelten echten Selbsttests.

Dennoch - die Verunsicherung bei manchen Eltern ist da. Aber besteht wirklich Grund zur Sorge? Anlass für die Berichte war ein Inhaltsstoff, der in der Reagenzflüssigkeit enthalten ist, in die nach dem Nasenabstrich das Wattestäbchen getunkt wird. Denn sie enthält Triton X-100 – eine Chemikalie aus der Gruppe der Octyl-/Nonylphenylethoxylate. Diese können - abhängig von ihrer Dosierung - giftig sein.

In den nordrhein-westfälischen Schulen kommt der Selbsttest eines anderen Herstellers, nämlich Siemens Healthineers, zum Einsatz. Dem sogenannten Sicherheitsdatenblatt zum Produkt des Tests dieses Herstellers ist zu entnehmen, dass das Produkt als nicht gefährlich eingestuft wird.

Geht von den Chemikalien in den Tests also wirklich keine Gefahr aus, wenn Kinder in Grundschulen und an weiterführenden Schulen selbst damit hantieren? Die zuständigen Fachleute sagen: Nein. Denn die Chemikalien, um die es hier geht, sind nach Information des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nur in sehr geringer Konzentration darin enthalten. Aus diesem Grund hat die Behörde die Zulassung für den diskutierten Schnelltest von Roche erteilt, ebenso wie für alle in Deutschland verkäuflichen Selbsttests. Darunter ist auch der in den nordrhein-westfälischen Schulen eingesetzten Siemens Clinitest Rapid - wie auch die Selbsttests, die beispielsweise in Drogeriemärkten und Discountern angeboten werden.

Dennoch ein Blick auf den Inhaltsstoff Octylphenol: Er befindet sich in der sogenannten Pufferlösung der Testkits, also der Reagenzflüssigkeit, in die der Nasenabstrich getaucht wird. Von dieser gibt man dann einige Tropfen in eine Testkassette, von der schließlich das Ergebnis abzulesen ist. Die Aufgabe des Stoffs: Er knackt die Erregerhülle, um an ein spezielles Vireneiweiß zu gelangen. Dieses sorgt dafür, dass der Test im Falle einer Infektion ein positives Testergebnis anzeigt. Außerdem soll der Stoff die möglicherweise in den Proben enthaltenen Viren abtöten und dafür sorgen, dass die Abstrichlösung nicht infektiös ist.

Octylphenol kann schwere Augenschäden und Hautreizungen verursachen und sollte nicht verschluckt werden – in seiner Reinform wohlbemerkt. Die European Chemicals Agency der EU hat den Stoff als besorgniserregend eingestuft. 

Natürlich kann es passieren, dass Kinder ungeschickt mit dem Test umgehen und etwa die Lösung verschütten. Eine ernsthafte Gesundheitsgefahr bestehe jedoch selbst bei unsachgemäßem Gebrauch, wie beispielsweise dem versehentlichen Kontakt des Puffers mit der Haut, nicht, teilt das BfArM mit.

Eine Modellrechnung zeigt: Würde ein 20 Kilo schweres Kind die Lösung trinken, hätte es 0,26 Milligramm Octylphenol pro Kilo Körpergewicht zu sich genommen. Tödlich wäre erst eine 7300-fach höhere Menge. Diese Zahl ergibt sich aus dem sogenannten LD50 Wert, der angibt, wie toxisch ein Stoff ist. Vergleichbare Tenside sind zum Beispiel auch in Spülmitteln enthalten. Selbst Ökotextilien enthalten Octylphenol. Dort ist er in 100-fach höherer Konzentration, nämlich bis 30 Milligramm zulässig.

Stellt sich nun die Frage: Warum steht der Gefahrenhinweis überhaupt im Beipackzettel, wenn er doch für die im Test enthaltene Dosierung gar keine direkte Relevanz hat? Grund ist eine EG-Richtlinie, die die Kennzeichnung dieser Stoffe vorschreibt – unabhängig von der tatsächlich im Produkt enthaltenen Menge.

Alle auf dem Markt verfügbaren Corona-Schnelltests enthalten chemische Stoffe. Anders wäre ein solcher Test gar nicht möglich, darauf verweist auch das BfArM. Sie sind also notwendig, um zu einem verlässlichen Ergebnis zu kommen. Ganz gleich, zu welchem Produkt man greift: Die Herstellerinformationen sehen immer vor, dass der Test unter Aufsicht oder direkt durch einen Erwachsenen selbst durchgeführt wird, so wie es in den Schulen geschieht.

Auch in Baden-Württemberg beschäftigte sich das zuständige Ministerium mit der Frage, ob der Einsatz der Selbsttests in Schulen sicher ist. Die klare Antwort von dort lautet ebenfalls: Ja. Die zuständige Marktüberwachung beim Regierungspräsidiums Tübingen hatte die Tests angesichts der Meldungen aus Hamburg sofort auf möglicherweise gesundheitsgefährdende Stoffe untersucht. Auch das Landesgesundheitsamt befasste sich mit der Angelegenheit. Das vorläufige Ergebnis: „Es liegen keine belastbaren Hinweise vor, dass von den Schnelltests Gesundheitsrisiken für den Menschen ausgehen“, heißt es auf unsere Anfrage aus dem baden-württembergischen Sozialministerium.

Um nach der Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine weitere Absicherung herbeizuführen, beschäftigt das Thema nun Experten in Helsinki. Dort soll jetzt auch die Europäische Chemikalienbehörde nochmals untersuchen, ob die Tests unbedenklich sind.

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