Verhandlung am Landgericht Bochum „Alles versank im Chaos“ – Prozessbeginn um Betrug mit Coronatests

Bochum · Vor dem Landgericht Bochum hat ein Prozess um Abrechnungsbetrug mit Coronatests in Millionenhöhe begonnen. Die Betreiber mehrerer Testzentren – Vater und Sohn – sollen mehr als 25 Millionen Euro eingestrichen haben.

 Der Hauptangeklagte mit seinen Verteidigern am Donnerstag im Landgericht Bochum.

Der Hauptangeklagte mit seinen Verteidigern am Donnerstag im Landgericht Bochum.

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Seit sechs Monaten sitzt Oguzhan C. nun schon in Untersuchungshaft. Eine ungewohnte Situation für den 48-Jährigen, der über Jahrzehnte ein angenehmes Leben führte und als Immobilienkaufmann erfolgreich war, wie sein Verteidiger Reinhard Peters bemerkt. „Man kann sagen, er ist damit reich geworden“, sagt er. Doch nun drohen Oguzhan C. bis zu zehn Jahre Haft. Als Betreiber mehrerer Coronatest-Zentren soll er millionenschweren Abrechnungsbetrug begangen haben. Vor dem Landgericht Bochum gibt es für ihn am Donnerstagmorgen ein Wiedersehen mit seinem Sohn Sertac C. Der 26-Jährige ist auf freiem Fuß und wegen Beihilfe zum Betrug angeklagt.

Die Staatsanwaltschaft wirft Oguzhan C. vor, im vergangenen Frühjahr über seine Firma Medican massenhaft Coronatests bei der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet zu haben, die aber in der Anzahl gar nicht erbracht worden sein sollen. Bereits im Dezember 2020 hatte C. in Bochum-Wattenscheid ein erstes Testzentrum eröffnet. Damals gab es noch keine kostenlosen Coronatests, Bürger konnten dort gegen Bezahlung aber PCR-Tests machen. C. habe schnell „das enorme wirtschaftliche Potenzial erkannt“, wie der Staatsanwalt sagt. So bestellte C. Anfang März 2021 fast 1,7 Millionen Test-Kits und eröffnete bundesweit Testzentren, als die kostenlosen Bürgertests möglich wurden. Für jeden durchgeführten Test rechnete C. 15 Euro bei der Kassenärztlichen Vereinigung ab. Wegen der pandemischen Notlage gab es damals kaum Überprüfungen. Ziel war es, so viele Menschen wie möglich zu testen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.

Allein im April reichte C. eine Abrechnung über mehr als eine Million durchgeführte Tests ein. Eine Mitarbeiterin soll nochmal auf ihn zugekommen sein, weil auf dem Vordruck nur Platz für sechs Ziffern war. Die Summe wurde dann auf zwei Formulare aufgeteilt – und die Kassenärztliche Vereinigung bezahlte. Insgesamt soll C. 25,1 Millionen Euro kassiert haben für Tests, die nie gemacht wurden. Sein Sohn soll spätestens Ende April erkannt haben, dass die Testungen nicht ordnungsgemäß ablaufen, es aber in Kauf genommen haben. Er soll die Testzentren mit Test-Kits beliefert haben. Auch ein Schwager des Hauptangeklagten soll in den Betrug eingebunden gewesen sein. Er gilt als flüchtig, seit er aus einem Urlaub in der Türkei nicht zurückgekehrt ist.

Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ hatten den Fall aufgebracht. Die Reporter hatten vor den Centern der Firma Medican Kunden gezählt – viel weniger, als zur Abrechnung gebracht worden waren. Im Prozess wurde publik, dass Oguzhan C. jede Menge Geld verschoben haben soll, nachdem die Reporter ihn damals mit Fragen konfrontiert hatten. Das Geld soll unter anderem auf ein Konto in der Türkei und an seine Ehefrau überwiesen worden sein. Rund 13 Millionen Euro konnte die Staatsanwaltschaft später noch sicherstellen. Die Ermittler beschlagnahmten außerdem Immobilien im Wert von 3,5 Millionen Euro.

Beide Angeklagte äußern sich an diesem ersten Prozesstag nicht persönlich zu den Vorwürfen. Rechtsanwalt Peters verliest aber eine „Erklärung zur Anklage“. C. habe sich keineswegs mit der Eröffnung der Teststellen bereichern und den Staat betrügen wollen, heißt es darin. Vielmehr habe er damals zunächst sieben bis acht Millionen Euro investiert, um teure PCR-Testgeräte zu leasen und fast 50 alte Linienbusse zu kaufen, die er zu mobilen Testzentren umbaute. „In der beginnenden Pandemie war er einer der Ersten, der Bürgertests in Bochum anbieten konnte“, heißt es in der Erklärung. Die Menschen seien in Scharen gekommen, um sich testen zu lassen. „Zahlreiche Bürgermeister riefen auf Herrn C.s Handy an und flehten ihn geradezu an, direkt einen Testbus zu schicken.“ Darunter sei auch Boris Palmer gewesen, der Oberbürgermeister von Tübingen.

Zu den Abrechnungsmodalitäten habe sein Mandant viele Fragen gehabt, die er den Mitarbeitenden der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe gestellt habe. „Sie hatten aber zum Teil selbst keine Antworten“, sagt Verteidiger Peters. „Alles versank im Chaos.“ Die Verteidigung gehe davon aus, „dass die Abrechnungen – wenn auch mit einer gewissen Unschärfe – richtig sind.“ Eventuelle Abweichungen würden keinesfalls die Größenordnung erreichen, wie sie sie sich aus der Anklageschrift ergebe. Zu Beschreibung seines Mandanten führt Peters unter anderem dessen quasi selbstloses Engagement für den Fußballclub Wattenscheid 09 an. „Er versuchte den Traditionsclub zu retten und brachte dort rund 1,2 Millionen Euro ein“, sagt Peters. Zeugen würden im Prozess bestätigen, dass Oguzhan C. eine „sehr penible Person sei, die nichts falsch machen wollte“.

Für den Prozess sind  13 weitere Termine bis Mitte Februar angesetzt.

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