Neue App entdeckt Melanome Besonders schwere Hautkrebs-Fälle in der Pandemie

Viele Hautärzte sind besorgt über den Zuwachs an gefährlichen Melanomen. Ein neues Google-Tool soll bei der Diagnose helfen. Die Corona-Pandemie fördert aber auch die Forschung zur Hautkrebs-Therapie – etwa durch mRNA-Impfstoffe.

 Die korrekte Diagnose kann nur ein erfahrener Hautarzt stellen.

Die korrekte Diagnose kann nur ein erfahrener Hautarzt stellen.

Foto: dpa

Google Maps, Google Scholar, Google Street View: Der Internet-Gigant beschränkt sich schon lange nicht mehr auf seine klassische Suchmaschine. Bald soll ein weiteres Tool hinzukommen: der „Dermatology Assist“. Er will seinen Nutzern beim Erkennen von Hauterkrankungen helfen, und die EU hat ihn bereits als Medizinprodukt der geringsten Risikoklasse zugelassen.

Das Bedienen der neuen App wird relativ einfach sein. Der Nutzer nimmt aus verschiedenen Blickwinkeln drei Fotos von der Hautstelle auf, die ihm problematisch vorkommt, und lädt sie dann hoch. Die Bilder werden von der künstlichen Intelligenz des dermatologischen Assistenten begutachtet, und womöglich stellt sie noch die eine oder andere Frage dazu, dann schreitet sie auch schon zur Diagnose. Dabei kann sie aus einem Topf von fast 300 programmierten Hauterkrankungen schöpfen, vom Nagelpilz über die Akne bis zum Melanom. Und ihre Trefferquote ist beachtlich.

In einer klinischen Studie lag sie bei der Diagnose von knapp 1000 dermatologischen Fällen genauso so oft richtig wie sechs Hautärzte, die man um ein Gutachten gebeten hatte. Im Vergleich zu sechs befragten Allgemeinmedizinern schnitt die App sogar deutlich besser ab. Sie könnte daher, so das Resümee von Studienleiter Yuan Liu vom Google Health Zentrum in Palo Alto, „den Hausärzten eine wertvolle Hilfe bei der Diagnose von Hautkrankheiten sein“.

Sein Arbeitgeber dürfte allerdings andere, weitaus größere Zielgruppen im Visier haben. So verzeichnet die Google-Suchmaschine jährlich mehr als 10 Milliarden Anfragen zu Hauterkrankungen, und die stammen meistens von Laien, die sich – aus welchen Gründen auch immer – um ihre Haut sorgen. Dort, jenseits der Arztpraxen, lassen sich weitaus mehr Clicks für die neue App realisieren.

Nichtsdestoweniger müssen Ärzte sie nicht als Konkurrenten fürchten, der ihnen Patienten wegschnappt, sondern vielmehr als das Gegenteil davon. Präventionsforscher Ray Moynihan von der Bond University im australischen Queensland warnt vor einem „Tsunami an Überdiagnosen“, den Internet-Diagnose-Tools wie der „Dermatology Assist“ auslösten. Denn sie seien besonders für Hautkrebs sensibilisiert und könnten dadurch viele Menschen unnötig in Aufruhr bringen, wenn sie bei einer eigentlich harmlosen Hautveränderung anschlagen, die ohne Untersuchung wohl kaum irgendwelche Probleme bereitet hätte. Die neuen Diagnose-Tools könnten also übersensibilisierte oder sogar hypochondrische Patienten in die Hautarzt-Praxen spülen.

Andererseits sorgen jedoch die aktuellen Corona-Lockdowns in punkto Hautkrebs für eine Praxis- und Präventionsmüdigkeit, die durchaus einen Wachmacher bräuchte. Das Zentralinstitut für Kassenärztliche Versorgung hat ausgerechnet, dass bereits der erste Lockdown im März letzten Jahres hierzulande das Hautkrebs-Screening um 55 bis 65 Prozent einbrechen ließ. Und seitdem hat sich nur unwesentlich erholt.

Laut einer aktuellen Studie aus Italien ging während des ersten Corona-Lockdowns die Zahl der diagnostizierten Melanome um etwa drei Viertel zurück, weil sich Patienten nur noch selten und sehr zögerlich untersuchen ließen. Die Folgen dieser Hinhaltetaktik zeigten sich dann nach dem Lockdown. In Gestalt von Melanomen, die mehr als doppelt so groß waren wie sonst, mit einer Tumordicke von 1,96 statt 0,88 Millimetern. Und mit diesem Größenzuwachs erhöht sich, wie Axel Hauschild vom Dermatologikum in Kiel erläutert, das Risiko für einen schwerwiegenden bis tödlichen Ausgang der Erkrankung.

Bleibt die Frage, warum das Hautkrebs-Screening so dramatisch zurückgegangen ist. Eine naheliegende Erklärung wäre: Die Patienten haben Angst, sich dabei mit Covid-19 anzustecken. Hauschild vermutet als weitere Ursache aber auch die „Zurückhaltung von Dermatologen“, Früherkennungsuntersuchungen während der Pandemie anzubieten. Für den Kieler Hautkrebs-Experten ist das ein klares Versäumnis, denn gerade das Hautkrebsscreening sollte auch während der Pandemie in vollem Umfang angeboten werden. Als wesentliches Argument mit hoher Überzeugungskraft könne man seiner Meinung nach angeben: „Hautkrebs ist gefährlicher als Covid-19.“

Tatsächlich gehört gerade das Melanom mehr denn je zu den gefährlichsten Krebsarten. Anfangs ist es noch gut operierbar, doch sobald es seine Metastasen in den Körper ausschickt, entfaltet es eine Zerstörungskraft, an der hierzulande jährlich rund 3000 Menschen sterben. Darunter sind auch immer mehr jüngeren Alters.

Andererseits hat ausgerechnet die Corona-Pandemie neue Perspektiven für die Therapie von schwarzem Hautkrebs eröffnet. Denn man kann ihn zum Ziel von mRNA-Impfstoffen machen, die derzeit eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Covid-19 spielen. Die Idee dazu – also die mRNA-getriggerte Aktivierung des Immunsystems auf bestimmte Antigene des Hauttumors – besteht zwar schon länger, doch bislang fehlte den Entwicklern das Geld, um sie mit Forschung zu unterfüttern. Dieses Problem hat sich aufgrund der aktuellen Erfolge der mRNA-Vakzine erledigt. Ganz zu schweigen davon, dass man durch ihre flächendeckende Anwendung während der Pandemie schon einmal fleißig Daten zu ihrer Verträglichkeit sammeln konnte.

Ein Forscherteam um den Biontech-Gründer Ugur Sahin hat kürzlich eine Studie publiziert, in der man einen mRNA-Impfstoff an 89 Patienten mit einem fortgeschrittenen und zumeist metastasierenden Melanom testete. Insgesamt konnte man bei rund einem Viertel der Patienten einen teilweisen oder kompletten Rückgang des Tumorgeschehens beobachten. Wobei die Erfolge schon am größten waren, wenn das Vakzin mit einem so genannten Checkpoint-Hemmer kombiniert wurde, der im Immunsystem die Bremsen, eben die „Checkpoints“, lockert, so dass es sich nicht mehr mit seinen Antworten auf den Krebs zurückhält.

Schwere unerwünschte Wirkungen mit Bezug zur mRNA-Impfung wurden nicht beobachtet. Die Behandelten entwickelten höchstens ein vorübergehendes Fieber. Aber das kennt man ja schon von den derzeit laufenden Impfungen – und es ist ja auch ein Hinweis darauf, dass die Immunabwehr angesprungen ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort