20.000 Teilnehmer Corona-Kundgebung in Berlin aufgelöst

Berlin · Am Samstag protestierten Tausende in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Eine anschließende Kundgebung beendete die Polizei dann aber wegen Nichteinhaltung der Hygieneregeln. Am Abend musste die Polizei sogar Uneinsichtige wegtragen.

Berlin: Tausende Menschen demonstrieren in Berlin gegen Corona-Maßnahmen
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15.000 Menschen demonstrieren in Berlin gegen Corona-Maßnahmen

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Foto: AFP/JOHN MACDOUGALL

Trotz steigender Infektionszahlen haben am Samstag Tausende Menschen mit einem Demonstrationszug durch Berlin gegen die Corona-Maßnahmen protestiert. Die Polizei ging von bis zu 17.000 Teilnehmern beim Demonstrationszug und 20.000 bei einer anschließenden Kundgebung aus. Die Demonstranten forderten ein Ende aller Auflagen.

Bereits während der Demonstration waren notwendige Hygienemaßnahmen nicht eingehalten worden. Die anschließende Kundgebung beendete die Polizei dann wegen zu wenig Abstands und fehlender Masken. Die Veranstalter seien nicht in der Lage, die Hygienemaßnahmen einzuhalten, sagte ein Polizeisprecher. Von der Bühne aus verkündete ein Polizist den Teilnehmern das Ende der Veranstaltung. Dabei wurde er mehrfach von lautem Buh-Geschrei unterbrochen. „Bitte gehen Sie nach Hause“, forderte der Polizeisprecher die Teilnehmer auf.

Mehrere Vertreter der Veranstalter wurden unter Protestrufen von Kundgebungsteilnehmern von der Bühne geholt. Als sich eine Person dagegen wehrte, gingen die Beamten mit Körpereinsatz vor.

Am Abend zig sich die Auflösung der Großdemonstration weiter hin. Es harrten immer noch zahlreiche Menschen vor dem Brandenburger Tor aus, die sich weigerten zu gehen, sagte ein Polizeisprecher der Nachrichtenagentur AFP. Er sprach von einer Zahl im unteren vierstelligen Bereich. Der Einsatz werde sicher noch eine Weile dauern. Auf Twitter teilte die Polizei mit, es würden Anzeigen erstellt und teilweise Menschen weggetragen, die sich weigerten, den Ort zu verlassen.

Während der mehrstündigen Demo am Nachmittag gingen Einsatzkräfte zunächst mit Lautsprecherdurchsagen oder Einzelansprachen vor. „Darüber hinaus werden Verstöße dokumentiert, sodass auch im Nachgang die Ahndung von Verstößen möglich ist“, kündigte die Polizei an.

Zudem gab es erste juristische Konsequenzen. „Aufgrund der Nichteinhaltung der Hygieneregeln wurde eine Strafanzeige gegen den Leiter der Versammlung gefertigt“, twitterte die Polizei.Die Veranstalter erklärten die Demonstration anschließend für beendet. Die unabhängig von der Demonstration anschließend angemeldete Kundgebung war davon zunächst nicht betroffen.

Zum Zeitpunkt der Auflösung der Demonstration hatte der Zug sein Ziel nahe des Brandenburger Tores bereits erreicht. Die Polizei ging „in der Spitze“ von etwa 17.000 Teilnehmern aus. „Eine exorbitant höhere Zahl, die laut verschiedener Tweets durch uns genannt worden sein soll, können wir nicht bestätigen.“ Veranstalter hatten zunächst 500.000 Teilnehmer angekündigt und für die Demo 10.000 angemeldet. Am Nachmittag wurde auf der Kundgebungsbühne erst von 800.000, dann von 1,3 Millionen Menschen gesprochen.

In dem Protestzug durch weite Teile von Berlin Mitte waren trotz Hinweisen von Polizei und Veranstaltern kaum Menschen mit Mund-Nasen-Schutz zu sehen. Passanten mit entsprechendem Schutz wurde von den Demonstranten „Masken weg“ entgegengerufen.

Zu größeren Zwischenfällen kam es nicht. An mehreren Stellen wurden Protestzug und Gegendemonstranten von Polizeieinheiten abgeschirmt, an einer Stelle demonstrierten mehrere hundert Menschen gegen den Protestmarsch. Gegendemonstranten unter dem Motto „Omas gegen rechts“ riefen dem Zug „Nazis raus“ entgegen, der Spruch schallte als Echo zurück.

Bei den Demonstranten waren Ortsschilder und Fahnen verschiedener Bundesländer zu sehen. Ihrem Unmut über die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus machten die Menschen mit Trillerpfeifen und Rufen nach „Freiheit“ oder „Widerstand“ Luft. Auch Parolen wie „Die größte Verschwörungstheorie ist die Corona-Pandemie“ waren zu hören.

Eine ebenfalls für Samstag angemeldete Veranstaltung des Verschwörungstheoretikers Attila Hildmann war im Vorfeld unter anderem wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung untersagt worden. Es war das zweite Verbot einer Hildmann-Kundgebung in Folge.

Das Motto der Demonstration lautete „Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit“. Den Titel „Tag der Freiheit“ trägt auch ein Propagandafilm der Nazi-Ikone Leni Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935.

In Stuttgart hat die Initiative „Querdenken 711“ bereits wiederholt demonstriert. Michael Ballweg, Gründer der Stuttgarter Initiative, sagte zum Auftakt der später abgebrochenen Kundgebung unter dem Jubel der Teilnehmer in der Hauptstadt: „Das Freiheitsvirus hat Berlin erreicht.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat das Demonstrationsrecht unterstrichen, zugleich aber harsche Kritik am Berliner Protestzug gegen staatliche Corona-Beschränkungen geäußert. „Ja, Demonstrationen müssen auch in Corona-Zeiten möglich sein. Aber nicht so“, schrieb der CDU-Politiker am späten Samstagnachmittag auf Twitter. Abstand, Hygieneregeln und Alltagsmasken dienten dem Schutz aller. Die Pandemie sei nur „mit Vernunft, Ausdauer und Teamgeist“ zu meistern. „Je verantwortlicher wir alle im Alltag miteinander umgehen, desto mehr Normalität ist trotz Corona möglich“, betonte Spahn.

Unverständnis für die Demo gab es von politischer Seite. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken schrieb auf Twitter: „Tausende #Covidioten feiern sich in #Berlin als "die zweite Welle", ohne Abstand, ohne Maske. Sie gefährden damit nicht nur unsere Gesundheit, sie gefährden unsere Erfolge gegen die Pandemie und für die Belebung von Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft. Unverantwortlich!“ Brandenburgs CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann schrieb auf Twitter: „Wieder 1000 Neuinfektionen/Tag und in Berlin wird gegen Coronaauflagen demonstriert? Diesen gefährlichen Blödsinn können wir uns nicht mehr leisten.“

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) übte heftige Kritik. Es ärgere ihn maßlos, dass Menschen aus anderen Teilen Deutschlands nach Berlin kämen, um hier ein Demonstrationsrecht auf Grundlage von Hygieneregeln wahrzunehmen, dass sie dann missachteten, sagte Müller in der rbb-"Abendschau". Die Demonstranten würden die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen und riskierten damit die Gesundheit anderer Menschen. Er habe dafür kein Verständnis.

Anmerkung der Redaktion: Auf Grundlage einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa enthielt dieser Text zunächst Informationen zu verletzten Polizisten bei der Auflösung der Kundgebung. Später korrigierte die dpa die Meldung jedoch, die Zahl habe sich auf das Demonstrationsgeschehen insgesamt bezogen. Wir haben zwei Sätze entfernt und die Überschrift daher angepasst.

(felt/mja/hebu/AFP/dpa)
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