Corona-Pandemie Künstler demonstrieren in Berlin und fordern Hilfe vom Staat

Berlin · Kaum Konzerte, kaum Messen: Schon seit Monaten sind Großveranstaltungen aufgrund der Corona-Krise tabu. Veranstalter und Künstler fürchten um ihre Existenz - und gehen in Berlin deshalb zu Tausenden erneut auf die Straße.

 Zahlreiche Musik- und Comedystars, darunter Campino (Foto) bei der Demonstration in Berlin, fordern Hilfe vom Staat.

Zahlreiche Musik- und Comedystars, darunter Campino (Foto) bei der Demonstration in Berlin, fordern Hilfe vom Staat.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

In Berlin haben erneut Tausende Menschen aus der Veranstaltungsbranche für umfassendere staatliche Hilfen in der Corona-Krise demonstriert. Mit einem Lastwagen-Korso mit Hunderten Fahrzeugen und einem Fußmarsch wollte das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot am Mittwoch in der Hauptstadt auf die prekäre Lage der Branche aufmerksam zu machen. Seit Monaten sind große Veranstaltungen wie Messen und Konzerte aufgrund der Pandemie so gut wie tabu. Darunter leidet auch der Tourismus und das Hotel- und Gaststättengewerbe, deren Branchenverbände ebenfalls zu der Großdemonstration aufgerufen hatten.

Sie fordern gemeinsam Hilfsprogramme, „die sich gezielter an den Bedürfnissen der Unternehmen orientieren als die bisher von der Regierung aufgelegten Förderprogramme“, heißt es in einem Aufruf.

Die Lastwagen-Kolonne setzte sich gegen Mittag vom Olympiaplatz in Richtung Brandenburger Tor in Bewegung. Gleichzeitig startete ein Fußmarsch, zu dem rund 6000 Teilnehmer angemeldet waren, vom Roten Rathaus am Alexanderplatz. Unter dem Motto #OnFire machten die Demonstrierenden auf die prekäre wirtschaftliche Lage in der Veranstaltungs- und Unterhaltungsindustrie aufmerksam. „Die Kultur stirbt“ oder „Kultur ist systemrelevant“ stand unter anderem auf Plakaten.

Zahlreiche Künstler und Popstars solidarisierten sich mit dem Umzug. So sollten am Nachmittag Schlagersänger Roland Kaiser oder Frank Zander bei der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor auftreten. Campino meldete sich eindringlich zu Wort: „Eine Lockdownstrategie in Schwarz-Weiß, das ist einfach zu wenig“, sagte der Sänger der Toten Hosen. „Nach acht Monaten im Umgang mit der Pandemie können wir erwarten, dass die Verantwortlichen des Krisenmanagements differenzierter auf die Probleme schauen, als es im März, April möglich war. Offensichtlich hat die Politik den Sommer verschlafen.“ Es gehe hier „nicht um Weihnachten. Es geht um ein ganzes Jahr und Tausende Existenzen.“

Auch aus der Politik kamen unterstützende Äußerungen. „Die Veranstaltungsbranche ist der sechstgrößte Wirtschaftszweig Deutschlands, mit über einer Million Beschäftigten“, teilte der stellvertretende FDP-Fraktionschef im Bundestag, Michael Theurer, am Mittwoch mit. „Die Branche war eine der ersten die von der Corona-Krise mit voller Wucht getroffen wurde und ist nach wie vor akut gefährdet. Es muss jetzt schnell etwas passieren, damit die Arbeitsplätze und Unternehmen nicht dauerhaft von der Bildfläche verschwinden.“

Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Nicole Ludwig, bezeichnete es als „verständlich und auch richtig“, dass die Branche auf die Straße gehe. „Denn voraussichtlich müssen sie zum Schutz der Gesellschaft erneut ihre Pforten schließen.“ Die Betroffenen bräuchten „endlich konkrete und effektive Wirtschaftshilfen von der Bundesregierung“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) traf sich am Mittwoch mit den Länderchefs, um angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen über erneute Einschränkungen für das öffentliche Leben zu beraten. Dabei schwebt der Bundesregierung auch die neuerliche Schließung von Gastronomie und Hotels vor. Großveranstaltungen bleiben demnach weiterhin verboten. „Um einen allgemeinen Lockdown zu vermeiden, droht somit endgültig ein faktischer Branchenlockdown und ein neuerliches Berufsverbot für Hunderttausende Unternehmen mit 3 Millionen Arbeitsplätzen“, teilte der Generalsekretär des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), Michael Rabe, am Mittwoch mit. „Der Schaden für die Tourismuswirtschaft wäre immens“.

Mit einem offenen Brief richtete sich am Mittwoch auch die Interessengemeinschaft der Berlin-Brandenburgischen Schausteller an Berlins Regierenden Bürgermeister, Michael Müller (SPD). „Mit der Absage von Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkten oder Volksfesten beziehungsweise mit der Beschränkung auf Besucherzahlen, die eine wirtschaftliche Durchführung nicht rechtfertigen, ist auch die letzte Chance vertan, dass die Schausteller vor der Winterpause noch einmal aus eigener Kraft Geld verdienen“, heißt es darin.

Ein weiterer offener Brief richtet sich unter anderem an Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Carolin Kebekus, Luke Mockridge, die Band Die Ärzte, Peter Maffay und andere Comedy- und Musikstars fordern ein Hilfsprogramm für die Veranstaltungsbranche. Kaum eine Branche habe seit Beginn der Pandemie härter an Hygienekonzepten gearbeitet als der Kultursektor, schreiben die Künstler. Zu ihnen gehören unter anderem Michael Mittermeier, Bülent Ceylan, Paul Panzer, Eckart von Hirschhausen, Dieter Nuhr, Niedeckens BAP, Atze Schröder, Bastian Pastewka, Gaby Köster, Gerburg Jahnke, Max Giermann und Micky Beisenherz. Der politische Dank für diese konstruktive Haltung sei jedoch ausgeblieben.

Mittlerweile sei die Situation so ernst, dass sich manche Selbstständige aus purer Verzweiflung das Leben genommen hätten. Kulturveranstaltungen seien mit so weitgehenden Verboten belegt worden, dass dies „faktisch einem Berufsverbot“ gleichkomme. „In den letzten Monaten gaben Sie uns das Gefühl, weniger wert zu sein als Autos, Flugzeuge und Fußballspieler“, halten die Unterzeichner den Politikern vor.

Kulturschaffende fielen in den meisten Fällen durch das Raster der Hilfsmaßnahmen, argumentieren sie. Es nütze Künstlern zum Beispiel nichts, wenn der Staat Büromiete erstatte - denn diese falle bei ihnen meist gar nicht an. Was ihre Existenz bedrohe, seien private Ausgaben wie Wohnungsmieten und Krankenversicherungsbeiträge.

(june/dpa)
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