Corona und die Folgen Die neue Schlacht um die Schulden

Analyse · Finanzminister Olaf Scholz will die Schuldenbremse auch 2021 aussetzen – die Union kritisiert den SPD-Kanzlerkandidaten dafür scharf. Schon jetzt ist klar: Der Streit um Kredite wird zu einem Hauptthema im Wahlkampf.

 Finanzminister Olaf Scholz im Bundestag. (Archiv)

Finanzminister Olaf Scholz im Bundestag. (Archiv)

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Haushaltsplanung für das jeweils kommende Jahr nimmt üblicherweise fast zwölf Monate in Anspruch, und der nächste Bundeshaushalt wird immer erst am Jahresende vom Parlament beschlossen. Doch diesmal hat der Finanzminister sehr früh die Katze aus dem Sack gelassen: Die im Grundgesetz vorgeschriebene Schuldenbremse müsse wegen der außergewöhnlichen Umstände der Corona-Krise auch 2021 wieder ausgesetzt werden, sagte Olaf Scholz am Mittwochabend.

In der Union hat das sofort massiven Widerspruch ausgelöst. Hinter der Ankündigung von Scholz stehe wohl „der langgepflegte Traum der SPD von einer Rückkehr in den Schuldenstaat“, wetterte der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach. Von einem Finanzminister müssten die Bürger erwarten können, dass er sich um einen verfassungskonformen Haushaltsentwurf wenigstens bemühe.

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Damit ist der Bundestagswahlkampf 2021 fast schon eröffnet. Der Schlagabtausch gibt einen Vorgeschmack auf eines der wichtigsten Themen im Parteienstreit der kommenden zwölf Monate: Wie halten es SPD und Union mit der Verschuldung, wenn die Krise überstanden ist? Sollen die staatlichen Ausgaben dauerhaft stark erhöht oder doch wieder begrenzt werden, um ausgeglichene Haushalte wie vor der Krise zu erreichen? Wird es Scholz und der SPD, möglicherweise gemeinsam mit Grünen und Linken, gelingen, die Mehrheit der Bürger vom Unsinn der „schwarzen Null“ oder sogar der Schuldenbremse zu überzeugen?

Das sind im Prinzip wiederkehrende Fragen, doch hat die Corona-Krise die Ausgangslage grundlegend verändert. Nach der Finanzkrise 2009 genoss Deutschland zehn gute Konjunkturjahre, seit 2014 gelang jedes Jahr der Haushaltsausgleich. Deutschland wurde dafür international bewundert. Mit dem Corona-Ausbruch im März musste die Regierung in kürzester Zeit den Hebel umlegen. Sie entschied sich zu Recht, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Sie trieb die Neuverschuldung auf die Rekordhöhe von 218 Milliarden Euro und den Schuldenstand auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Plötzlich hatte der Bund Geld für alles: für die um ihre Existenz kämpfenden Unternehmen, für Kurzarbeiter, Kommunen, Kliniken, Kitas und vieles mehr. Möglich machte das die Ausnahmeregel der Schuldenbremse, wonach sich der Bund in besonderen Notlagen wie der Corona-Krise vorübergehend unbegrenzt verschulden darf.

 Die Frage ist nun, ob der Ausstieg aus der Verschuldungspolitik so einfach gelingen wird wie der Einstieg. Denn die neuen Finanzierungsmöglichkeiten haben Begehrlichkeiten geweckt. In den bereits laufenden Gesprächen über den Etat 2021 haben alle Ressorts, auch die unionsgeführten, erhebliche neue Ausgabewünsche angemeldet, ohne woanders kürzen zu wollen. „Mit dem Aussetzen der Schuldenbremse sind alle Dämme gebrochen“, stellt Eckhardt Rehberg fest, der führende Haushaltspolitiker der Union.

 Dass Scholz nun frühzeitig erklärt, die Schuldenbremse werde auch 2021 nicht gelten, gibt vielen in seiner Partei und bei Grünen und Linken die Hoffnung, dass die Krise eine Art Paradigmenwechsel ausgelöst habe und die Politik der ausgeglichenen Haushalte endgültig begraben sei. Der Druck der linksgerichteten SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken dürfte entsprechend groß werden, Projekte wie etwa die Einführung der teuren Kindergrundsicherung im SPD-Wahlprogramm nicht nur über höhere Steuern, sondern teilweise auch mit noch mehr Schulden zu finanzieren.

Olaf Scholz ist allerdings als Freund der Schuldenbremse bekannt. Er wird sich im Wahlkampf nicht als Schuldenmeister der Nation präsentieren wollen. Die Aussetzung der Schuldenregel auch 2021 gibt ihm andererseits die Chance, sich auch im Wahljahr als Ober-Retter in der Corona-Krise zu inszenieren. Gleichzeitig wird er aber als Finanzminister die Marschroute für 2022 und die Folgejahre vorgeben müssen.

Der Ökonom Sebastian Dullien, einer der SPD-Vordenker, dringt auf mehr Gelassenheit in puncto Schulden. „Es gibt bei negativer Verzinsung keinen Grund, Schulden schneller zurückzuzahlen. Gegen steigende Zinsen kann man sich durch langjährige Anleihen, manche Länder haben 100-jährige Anleihen, völlig absichern“, sagt Dullien. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider warnt allerdings: „Irgendwann ist auch bei uns das Verschuldungslimit erreicht.“

Die Union wird Scholz in jedem Fall Pläne für weitere Verschuldungsorgien auch in künftigen Jahren unterstellen. Sie wird an ihr eigenes Markenzeichen der soliden Haushaltspolitik erinnern. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus forderte unlängst die schnelle Rückkehr zu ausgeglichenen Haushalten. CDU und CSU setzen auf die traditionell große Sorge der Bürger vor überbordenden Schulden, die kommende Generationen abtragen müssten. Haushälter Rehberg will angesichts einer mit 48 Milliarden Euro gut gefüllten Haushaltsrücklage, einer Menge nicht abgerufener Corona-Hilfen und der Möglichkeit der begrenzten regulären Verschuldung auch nicht einsehen, warum nicht schon 2021 ein Haushalt ohne die Aussetzung der Schuldenbremse möglich wäre.

 Die Union wird zwar am Ende bei der Aussetzung der Schuldenbremse auch für 2021 mitmachen, schließlich will sie die zarte Pflanze des erhofften Aufschwungs nicht im Keim ersticken. Doch im Wahlkampf werden mit Blick auf die Zeit nach 2021 die Konturen der neuen Schuldenschlacht deutlicher werden: Die einen sehen in der Corona-Krise den Ausgangspunkt für einen dauerhaft viel größeren Staatssektor, der sich mehr Geld durch mehr Schulden und höhere Steuern verschafft. Die anderen setzen auf Bewährtes und wollen nur zur Vorkrisenzeit zurück.

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