„Sorgen können Konsum befördern“ Deutsche kaufen in der Corona-Krise mehr Alkohol

Düsseldorf · In der Corona-Krise kaufen die Deutschen mehr alkoholhaltige Getränke. Mediziner sehen in der Pandemie ein gesundheitliches Risiko für anfällige Menschen. Beratungsstellen in NRW berichten von den Auswirkungen auf ihre Klienten.

Eine Frau sitzt neben leeren Bierflaschen (Symbolbild).

Eine Frau sitzt neben leeren Bierflaschen (Symbolbild).

Foto: dpa/Alexander Heinl

In der Corona-Krise kaufen die Deutschen deutlich mehr Alkohol. Das geht aus Daten des Marktforschungsinstituts GfK hervor, die der „Spiegel“ ausgewertet hat. Von Ende Februar bis Ende März wurde etwa ein Drittel mehr Wein gekauft als im gleichen Vorjahreszeitraum. Auch bei Spirituosen wie Gin oder Korn beträgt die Steigerung demnach rund 31 Prozent gegenüber 2019. Der Verkauf von Alkoholmischgetränken wuchs sogar um rund 87 Prozent – diese Getränke machen allerdings nur einen geringen Marktanteil aus. Der Bierverkauf wuchs laut GfK um 11,5 Prozent. Die Daten beruhen auf regelmäßigen Einkäufen von 30.000 Haushalten im Einzelhandel.

„Die Corona-Krise ist eine außergewöhnliche Situation für uns alle, bei vulnerablen Menschen kann sie jedoch den Hang zum Konsum von Suchtmitteln befördern“, sagt Petra Franke, Chefärztin der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen am LVR-Klinikum Düsseldorf. Zwar habe sich das Patientenaufkommen in der LVR-Klinik durch die Pandemie nicht verändert. „Doch Patienten, die suizidgefährdet oder psychisch krank sind, müssen wir derzeit besonders im Auge behalten“, sagt sie.

Wer schon vor Corona allein zu Hause getrunken habe, sei derzeit einem höheren Risiko ausgesetzt. Die Ärztin sieht jedoch auch mögliche die Möglichkeit einer positiven Wendung: „Beim Alkoholkonsum fällt der soziale Druck in Gruppen weg, da alle Bars und Kneipen geschlossen sind. Für manche Menschen kann das eine Entlastung sein.“

Diesen Eindruck bestätigt der Caritasverband Düsseldorf: „Vielen unserer Klienten fällt die Aufrechterhaltung der Alkohol-Abstinenz bisher leichter als sonst, da etwa die Arbeit weggefallen ist oder sich reduziert hat“, sagt Sprecherin Stephanie Agethen. Die Caritas-Mitarbeiter beobachteten derzeit keine Zunahme der Konsummengen ihrer Klienten in der Suchtprävention. „Wir gehen davon aus, dass wir wahrscheinlich frühestens in drei Monaten erfassen können, ob und wie sich die Corona-Krise auf das Suchtverhalten der Menschen ausgewirkt hat“, sagt Agethen.

Während manche Klienten vermehrt Gesprächsbedarf hätten, gebe es bei anderen weniger Interesse an einer Beratung. Manche Alkoholabhängige suchten derzeit aber vermehrt Hilfe, weil es „bei einem übermäßigen Konsum häufiger zu Konflikten in Lebensgemeinschaften kommt, da man mehr Zeit miteinander verbringt“, so Caritas-Sprecherin Agethen. „Krisenaffinen Menschen tut der Lockdown nicht gut“, sagt auch Timo Bartkowiak, Sozialarbeiter beim Suchthilfeverbund Duisburg. „Wir sehen darin ein steigendes Risiko, je länger er andauert.“

Die Suchtberatung des Diakonischen Werks Mönchengladbach erreichten in der ersten Woche nach der Kontaktsperre zahlreiche Anfragen. „Sorgen können den Alkoholkonsum befördern“, sagt Suchtberaterin Ulrike Kraus. Dann habe sich der Andrang jedoch wieder normalisiert. „Wir hatten anfangs die Hypothese, dass sich die Menschen zu Hause mehr mit ihrer Sucht auseinandersetzen - das hat sich aber nicht bestätigt. Manche hinterfragen ihren Konsum nach zehn Jahren, manche schon nach sechs Monaten.“

Symptome einer Sucht sind nach Angaben von Medizinerin Petra Franke unter anderem Herzrasen, Schwitzen, Zittern, Vernachlässigung von Pflichten sowie ständiges Verlangen nach Alkohol. „Alkohol reduziert die Immunabwehr, dadurch sind Abhängige oft anfälliger für eine Coronavirus-Infektion sowie für einen schweren Erkrankungsverlauf.“

Auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) äußert sich besorgt. Die derzeitige Lage stelle die Sucht-Selbsthilfe vor große Herausforderungen: Da die regelmäßigen Treffen von Selbsthilfegruppen nicht in gewohnter Weise stattfinden könnten, steige die Gefahr von Suchtmittelmissbrauch. „Angst vor dem Unbekannten, fehlende Unterstützung, Isolation, finanzielle Unsicherheit und Langeweile begünstigen den Griff zum Suchtmittel“, teilte die DHS mit. „Der Griff zur Flasche, der nächste Klick zum Online-Casino oder der Konsum illegaler Drogen scheinen verlockend.“

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