Deutschland im Wetter- und Stimmungstief Chronologie des Katastrophensommers 2002

Hamburg (rpo). Deutschland im Wetter- und im Stimmungstief - seit Anfang Juni wüten regelmäßig schwere Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen. Hier eine Chronologie der Wetter-Katastrophen.

Das erste schwere Unwetter wütet am 6. Juni über dem Südwesten Deutschlands. In der Gemeinde Diedorf bei Augsburg kommen bei monsunartigen Regengüssen und Gewittern drei Menschen ums Leben.

Eine knappe Woche später, am 12. Juni, verursacht ein Tornado in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) Schäden von 10 Millionen Euro. Menschen werden mit Kopfverletzungen in Krankenhäuser gebracht, der Tornado hinterlässt eine Schneise der Verwüstung mit abrasierten Bäumen und umgeknickten Laternenmasten.

Einige Schönwettertage lassen die Deutschen schon aufatmen, bis der bis dahin heißeste Tag des Jahres, der 18. Juni, von einem Gewitter mit heftigen Sturmböen und sintflutartigen Regenfällen über Hamburg und Schleswig-Holstein jäh beendet wird. In Kiel werden Autos von Hagelkörnern in Tennisballgröße zerbeult, Windböen von mehr als 100 Stundenkilometern bringen auf Ostsee und Elbe zahlreiche Boote zum Kentern.

Nur einen Tag später, am 19. Juni, beginnt im Süden eine ganze Serie von Unwettern. Drei Schlechtwetterzonen, die über Baden- Württemberg hinwegziehen, hinterlassen Millionenschäden. Wieder das gleiche Bild: umgestürzte Bäume, voll gelaufene Keller, überflutete Hauptverkehrsstraßen und Erdrutsche. Im Ortenaukreis fährt ein Blitz in eine Tanne, unter der sechs Rinder Schutz gesucht haben: Alle Tiere werden getötet. In Sachsen, Rheinland-Pfalz und Hessen stürmt es wie im Spätherbst, der Regen flutet Autobahnen und Häuser.

Der kalendarische Sommerbeginn am 21. Juni sieht in der Region Stuttgart eher winterlich aus: Die Straßen sind kurzzeitig mit einer Zentimeter hohen Eisschicht aus riesigen Hagelkörnern bedeckt.

Schon in der Nacht zum 24. Juni wütet ein neues Unwetter über Baden-Württemberg. Am Bodensee wird ein Teil der Obsternte vernichtet, den Weinbauern zerschlägt es geradezu die Reben. Sturmböen und Hagel hinterlassen ihre Spuren an Hausdächern und Autos. In den Tagen zwischen dem 20. und 24. Juni toben nahezu jeden Tag schwere Gewitter über Deutschland. Die Meteorologen nennen den Ausnahmezustand am Himmel eine "sehr seltene Sache".

Juli

Der Juni klingt mit endlich sommerlichem Wetter aus, und auch die ersten Juli-Tage machen Lust auf Strand oder Freibad, doch fegen schon am 9. Juli wieder Unwetter über das südliche Rheinland und Ostwestfalen hinweg. Wegen Blitzeinschlägen und umgestürzter Bäume muss der Zugverkehr auf zahlreichen Bahnstrecken in Nordrhein- Westfalen unterbrochen werden. Zeitgleich setzen Blitzschläge in Bayern zahlreiche Gebäude in Brand.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht die Unwetterlage in Deutschland am 10. Juli - in vielen Orten herrscht Ausnahmezustand. Am Berliner Wannsee werden zwei Jugendliche auf der Insel Schwanenwerder von umstürzenden Bäumen erschlagen. Binnen kürzester Zeit verwüsten orkanartige Stürme mit schweren Gewittern Teile Berlins und Brandenburgs. Feuerwehr, Polizei und andere Helfer in Berlin arbeiten vier Tage rund um die Uhr und leisten insgesamt 3237 Mal Hilfe. Es ist einer der größten Einsätze der Nachkriegsgeschichte in der Hauptstadt. Der Bahnverkehr ist unterbrochen, Teile der Stadtautobahn können zeitweise nicht befahren werden. Am Airport Tegel muss der Flugverkehr eingestellt werden. Mitten in der Innenstadt wütet laut Augenzeugen eine Windhose. Die Opferbilanz: insgesamt acht Tote.

Auch in Norddeutschland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Hessen und Thüringen sorgen am 10. Juli sintflutartige Regenfälle, Blitz und Donner sowie teils orkanartige Winde für chaotische Zustände. Kinder werden von der Straße geweht, wieder einmal laufen Keller voll, versinken Straßen in den Fluten - Dauerstress auch hier für Polizei und Feuerwehren. Die Kanalisationen können die Wassermassen nicht mehr aufnehmen, Gullydeckel werden wie Korken hochgedrückt. Auf Fehmarn wird ein Mann vom Blitz getroffen und schwer verletzt, auf der Ostsee geraten zahlreiche Boote in Seenot. Im Kreis Celle fallen 41 Liter Regen und Hagel pro Quadratmeter. In manchen Dörfern heißt es "Land unter", nicht mal die Feuerwehr kann ihre Einsatzorte erreichen. In vielen Regionen machen die Unwetter die bis dato optimistischen Ernteerwartungen zunichte.

In der Nacht zum 17. Juli wird wieder der Süden von schweren Regenfällen heimgesucht. In Nordbaden werden stellenweise bis zu 50 Liter Regen pro Quadratmeter gemessen, in Würzburg sind es 55 Liter. Auch in Sachsen-Anhalt verwandelt der Regen Straßen in Flüsse und Flüsse in Seen.

24 Stunden später, in der Nacht zum 18. Juli, toben die Unwetter über Norddeutschland. Es gibt hier sogar noch stärkeren Regen - erstmals mehr als 100 Liter pro Quadratmeter, in Quickborn (Schleswig-Holstein) sind es 110 Liter. Bahnstrecken sind nicht mehr befahrbar, Zeltlager und Campingplätze müssen geräumt werden. Vielerorts sind die Menschen noch damit beschäftigt, die Schäden des letzten Unwetters zu beseitigen, als neue Regenstürme über sie hinwegfegen. Im Harz werden 155 Liter Niederschlag gemessen - der Tagesrekord auf dem höchsten Berg, dem Brocken, lag seit 1997 bei "nur" 115 Litern.

Nach tagelangen Regenfällen bricht am 19. Juli in Horneburg bei Stade (Niedersachsen) der Deich des Flusses Aue auf rund 100 Metern. Weite Teile der Gemeinde stehen ohnehin bereits seit Tagen unter Wasser, Bewohner tiefer liegender Gebiete müssen ihre Häuser räumen.

Das Aufatmen dauert nur zwei Tage: Schon am 21. Juli gibt der Deutsche Wetterdienst erneut eine Unwetterwarnung für weite Teile des Landes aus. In Bayern endet so abrupt ein lang ersehntes Sommerwochenende, in Norddeutschland gibt das Unwetter den Obstbauern im Alten Land den Rest - die Kirschernte sei vernichtet, die Folgen für die Apfelernte bislang noch nicht absehbar, heißt es. In Grönland (Schleswig-Holstein) droht ein Deich seit Tagen zu brechen - am 24. Juli gibt die lecke Stelle den Wassermassen schließlich nach.

Nur knapp eine Woche bleiben die Menschen vor weiteren Sintfluten verschont, bis sich am Abend des 30. Juli abermals schwere Unwetter über Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen austoben. Beim ZDF in Mainz laufen die Satellitenschüsseln voll, es kommt zu Verkehrsbehinderungen, gefluteten Kellern und Straßen. Der folgende Tag beginnt in weiten Teilen Deutschlands zwar freundlich, doch schon am Nachmittag und in der Nacht gibt es erneut Verwüstungen durch Regenstürme in Süddeutschland.

August

Der August beginnt, wie der Juli geendet hatte: Mit einem freundlichen Vormittag und nie da gewesenen Regenmengen am Nachmittag. Besonders nass wird es am 1. August im Norden und Osten Deutschlands. In Hamburg registriert der Wetterdienst den stärksten Regen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im Stadtteil Blankenese fallen binnen nur 45 Minuten 65 Liter Regen auf den Quadratmeter. Auf Straßen und Autobahnen herrscht Chaos, die Feuerwehr erklärt den Ausnahmezustand, so dass die Betroffenen wenigstens nicht für die Einsatzkosten der Helfer aufkommen müssen.

Wieder gibt es nur eine kurze Atempause: In der Nacht zum 6. August hält Regen mit bis zu 75 Liter pro Quadratmeter die Feuerwehren in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern auf Trab. 24 Stunden später trifft es vor allem Bayern schwer. Bei Bischofswiesen im Berchtesgadener Land werden binnen 12 Stunden 131 Liter Niederschlag pro Quadratmeter gemessen, die Pegelstände von Donau und Inn nähern sich unaufhaltsam der Hochwassermarke.

Am 7. August muss in Berlin abermals der Ausnahmezustand ausgerufen werden, 600 Feuerwehrleute werden zusätzlich zum freiwilligen Einsatz gerufen. Die schweren Regenfälle am Abend richten in Berlin und Brandenburg eher geringe Schäden an - lapidar bemerkt die Feuerwehr, im Gegensatz zu den Hochwassergebieten im Süden Europas sei die Lage harmlos. Das wochenlange Wettertief drückt den Bundesbürgern aufs Gemüt, die schlechte Stimmung verfliege aber, sobald sich ein Tief auflöst und die Sonne wieder scheint, sagt der Freiburger Medizin-Meteorologe Klaus Bucher. Für Menschen, die Opfer von Fluten geworden sind, will er psychische Schäden aber nicht ausschließen. "Aber es gibt keine Untersuchung, die nachweist, dass der Regen psychische Folgen für den Menschen hat." Allerdings machen die Wetterdienste auch weiterhin kaum Hoffnung auf Sonne - alles sieht vielmehr nach einem "Indoor- Sommer 2002" aus.

(RPO Archiv)
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