Drogenberatung Wesel „Wir sind für eine Cannabis-Legalisierung“

Wesel · Barbara Lübbehusen berät Jugendliche in Wesel, die illegale Suchtmittel zu sich nehmen. Ein Gespräch über die Szene in Wesel, den Sinn von Legalisierung und das seltene Glück als Drogenberaterin.

Barbara Lübbehusen, stellvertrende Leiterin und Beraterin der Drogenberatung Wesel, mit „Alfred, dem grünen Koffer“ – ein Instrument zur Cannabis-Prävention an Schulen mit mehreren Bausteinen.

Barbara Lübbehusen, stellvertrende Leiterin und Beraterin der Drogenberatung Wesel, mit „Alfred, dem grünen Koffer“ – ein Instrument zur Cannabis-Prävention an Schulen mit mehreren Bausteinen.

Foto: Viktor Marinov

Barbara Lübbehusen, die stellvertretende Leiterin der Drogenberatung in Wesel, trifft täglich auf Jugendliche, die Drogen nehmen. Warum sie trotzdem für die Legalisierung von Cannabis ist und wie sich der Drogenkonsum in der Stadt entwickelt, erklärt sie im Interview.

Gibt es in Wesel eine besonders starke Drogen-Szene?

Lübbehusen Nein, wir haben keine spezielle Lage. Es ist so, wie es überall in NRW ist. Wo sich Jugendliche aufhalten, wird auch gekifft. Sie finden aber auch immer Alkoholiker, Raucher, Ecstasy-Schmeißer. Jugendliche probieren sich in allem aus. Es ist hier nicht einfacher oder schwerer, Cannabis zu bekommen. Bundesweit gibt bei den 18 bis 25-Jährigen jeder Vierte an, dass er in den letzten zwölf Monaten gekifft hat. Aber das heißt ja nur, dass jemand gekifft hat. Das ist eine Verfälschung der Zahl. Jemand, der das mal bei einer Party ausprobiert hat, fällt genauso drunter wie jemand, der richtig süchtig ist.

Wie problematisch ist der Cannabis-Konsum in Wesel?

Lübbehusen Bei uns landen manchmal 15-Jährige, die sagen, Kiffen sei in der Klasse „in“. Manche sagen mir: „Frau Lübbehusen, was wollen Sie denn, ganz Wesel kifft doch.“ Dem ist nicht so. Viele Jugendliche denken, dass Kiffen nicht so schlimm sei. Weil Cannabis jetzt als Medikament verordnet wird, kann es nicht schlimm sein, so der Irrglaube. Aber Morphium ist auch ein Medikament und macht trotzdem süchtig.

Gibt es beim Drogenkonsum eine Tendenz?

Lübbehusen Der Konsum steigt. Die Jugendlichen sind für Cannabis und chemische Drogen, wie Amphetamine, immer anfälliger. Wir hatten aktuell ein oder zwei Jugendliche unter 18, die Heroin nehmen. Da gibt’s Wellen – wir hatten eine ganze Zeit gar keine jüngeren Leute mit Heroin. Die Zahlen, die ich Ihnen sagen kann, sind allerdings immer nur die, die hier ankommen: Das sind nur diejenigen, die sich Hilfe suchen oder denen gesagt wurde, dass sie sich Hilfe suchen sollen.

Glauben Sie, dass die Dunkelziffer derjenigen, die nicht bei Ihnen ankommen, groß ist?

Lübbehusen Ja. Es sind ja auch viele, die nicht auffallen. Die Schüler, die sich durchlavieren, den Abschluss machen, der vielleicht nicht mehr so gut ist wie er hätte sein können. Da schaut manchmal keiner hin. Wenn Eltern erfahren, dass ihre Kinder kiffen oder die erwischen, kiffen die meistens schon ein halbes Jahr. Eltern kriegen manchmal ganz viel nicht mit.

Es gibt auch Eltern, die sagen: „Einmal probieren ist doch gar nicht so schlimm.“ Was sagen Sie dazu?

Lübbehusen Wenn das wirklich so ist, dass sie es nur einmal probieren, sehen wir das auch so. Im jungen Alter wird ganz viel ausprobiert, das haben wir auch damals auf unsere Art gemacht. Das gehört zur Jugendphase dazu. Nur ist es schwer herauszufinden, ob es nur ein Probierkonsum ist oder einer, der zu schlechteren Noten und Abgrenzung führt. Manche Eltern, deren Kind richtig viel kifft, verharmlosen es auch, aber weil sie es nicht wirklich wissen.

Was halten Sie von Vorschlägen, Cannabis zu legalisieren? In vielen Ländern ist das ja schon Realität, seit neuestem etwa in Kanada und in einigen US-Staaten.

Lübbehusen Ich und das gesamte Team wären für eine Legalisierung im Rahmen einer kontrollierten Abgabe. Weil es dann keinen gestreckten Stoff gäbe. Dann wäre es für die unter 18-Jährigen nicht so interessant. Was verboten ist, ist spannend. Für eine Legalisierung spricht auch, dass dadurch der Schwarzmarkt schrumpfen würde.

Zieht sich das Kiffen durch alle Gesellschaftsschichten hindurch? Kiffen Reiche so oft wie Arme?

Lübbehusen Es zieht sich durch alle Schichten. Das Schlimme ist ja, dass manche denken, dass Wohlhabende weniger kiffen. Es gibt sie aber auch, wir nennen sie die Wohlstandsverwahrlosten. Es gibt als Beispiel Jugendliche, deren Eltern hochdotierte Jobs haben. Alles ist materiell da – eine Putzfrau, eine Kochfrau. Aber seelisch sind sie alleine.

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Foto: shutterstock.com / Miss Nuchwara Tongrit

Einmal abgesehen von Cannabis, wie stark ist in Wesel der Konsum von „härteren“ Drogen?

Lübbehusen Wir hatten lange keine Jugendlichen, die Heroin genommen haben. Heute haben wir wie gesagt ein paar. Das ist aber kein landesweiter Trend, sondern eine Ausnahme. Es gibt aber auch welche, die behaupten, sie hätten Koks genommen. Bei Jugendlichen, die sich das gar nicht leisten könnten, ist immer die Frage, ob das stimmt.

Werden hier auch andere, unkonventionellere Mittel genommen, um sich zu berauschen?

Lübbehusen Im Moment experimentieren Konsumenten viel mit legalen Sachen herum. Die mache ich auch bei jedem Elternabend öffentlich, ich würde sie aber in der Zeitung nicht im Detail erzählen wollen. Es handelt sich dabei um Mischungen aus bestimmten Medikamenten, die „knallen“. Es geht bis hin zum Verzehr von bestimmten Pflanzen, dem Missbrauch von Hygieneartikeln oder Präparaten aus der Reinigungsabteilung. Da wissen die Jugendlichen immer mehr als wir.

Wie oft schaffen Sie es wirklich, Jugendliche vom Drogenkonsum abzubringen?

Lübbehusen Das kann ich nicht genau sagen, es kommt aber öfter vor. Es kommt darauf an, ob die Eltern und die Schule mitmachen oder nicht. Ist das nicht der Fall, haben wir keine Chance. Es gibt auch die Fälle, in denen wir gegen eine Wand reden. Jemand mit Selbstwertproblemen, der keine anderen Freunde als seine Kifferkollegen hat, ist schwer. Er hat keine Alternative, das ist dann frustrierend.

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Foto: content diller / shutterstock.com

Und was sind die tollen Momente in Ihrem Job?

Lübbehusen Eine Schülerin war neulich bei mir nach der Beratung und hat erzählt, dass sie seit drei Wochen nicht mehr kifft. Ich habe sie gefragt, ob sie eine Veränderung merkt. Sie sagte, jetzt würde sie in der Schule viel mehr verstehen. Allein weil sie wach war und nicht zugedröhnt – also sie hat nicht extra was gelesen, aber sie hat plötzlich mehr verstanden. Bei einem 16-Jährigen erlebte ich einen kompletten Wandel. Am Anfang war er sehr verschlossen, am Ende saß er als selbstbewusster Mensch mir gegenüber, mit einer ganz anderen Körperhaltung. Auch die Eltern haben mir eine Karte geschrieben und sich bedankt. Diese Momente sind sehr toll, aber leider selten.

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