Von wegen milde Droge „Cannabis sollte vor dem 25. Lebensjahr nicht freigegeben werden“

Interview · Neurologe Alfred Sudau warnt davor, Cannabis als milde Droge abzustempeln. Er erklärt, warum der Konsum schleichend in die Abhängigkeit führen und vor allem bei jungen Menschen nachhaltige Schäden verursachen kann.

 Cannabis wird meist als Joint geraucht.

Cannabis wird meist als Joint geraucht.

Foto: dpa/Daniel Karmann

Cannabis gilt gemeinhin als milde Droge. Teilen Sie diese Einschätzung?

Sudau Ich halte Cannabis für eine gefährliche Droge, die aber eher milde daherkommt.

Was meinen Sie damit?

Sudau Cannabiskonsumenten fallen im Alltag nicht unbedingt auf, wie andere Drogenkonsumenten dies tun – etwa Alkoholiker durch ihren Atem oder andere Verhaltensauffälligkeiten. Im Gegenteil: Cannabis macht eher gelassener und dämpft Eindrücke und das Verhalten.

Psychosen können ja in vielfältiger Weise auftreten. Welche Arten gibt es überhaupt?

Sudau Es gibt zum einen Psychosen bei akutem Konsum: Hier gibt es diverse Ausprägungen, zum einen das typische High werden, aber auch Müdigkeit oder Farbensehen. Cannabis macht eine Art Egal-Stimmung. Konsumenten können aber auch einen akuten Horrortrip erfahren mit Trugwahrnehmungen oder Angstzuständen.

Die drogeninduzierte Psychose zieht sich länger hin und kann über Tage oder Wochen andauern. Der Betroffene kommt dann von den beschriebenen Symptomen erstmal nicht mehr weg. Das kann eine einmalige Episode sein, die dann nach einer gewissen Zeit vorbei ist. Aber es gibt auch Menschen, die dauerhaft behandelt werden müssen.

Sind die psychotischen Effekte vorhersehbar?

Sudau Nein, jeder Mensch reagiert anders auf Drogen. Es können sämtliche Arten von psychischen Ausnahmezuständen auftreten, von heftigen Angst- und Wahnvorstellungen bis hin zu totalem Rückzug.

Aber es kommt auch auf die Dosis an, oder?

Sudau Ja, es kommt auf den Gehalt an THC an. THC ist Tetrahydrocannabinol, also die psychogene Substanz in Cannabis und anderen Rauschmitteln. Vor allem bei illegal gekauftem Cannabis weiß man nie, was drinnen ist: wieviel THC enthalten ist und wie stark der Stoff verunreinigt oder womit er gestreckt wurde.

Wird man nach einmaligem THC- bzw. Cannabiskonsum abhängig?

Sudau Cannabis macht wenig körperlich abhängig, sondern eher psychisch. Dieses Gefühl der Stressreduktion, der Gelassenheit, das möchten die Konsumenten immer wieder spüren. Es ist eine Art Belohnungseffekt, den sie immer wieder erfahren wollen. Das Problem ist, dass Cannabis eine Halbwertzeit von sieben bis 14 Tagen haben kann. Das bedeutet, auch wenn jemand nur an Wochenenden Cannabis konsumiert, kumuliert sich mit der Zeit der Wirkstoff im Körper. Das kann dann auf Dauer unbemerkt in die Abhängigkeit führen.

Wie macht sich eine solche Abhängigkeit bemerkbar.

Sudau Es ist ein schleichender Prozess. Der Betroffene wird lethargisch, das Interesse an Antrieb und Kommunikation lässt nach, die Leistungen werden schlechter, gegebenenfalls wird die Ausbildung abgebrochen. Betroffene mit akuten Problemen sehen wir im ambulanten Praxisalltag seltener. Eine Therapie findet eher auf geschlossenen Stationen in der Psychiatrie statt. Das Problem ist, dass es viele Angebote für junge Menschen ab 18 Jahre nicht mehr gibt. Denn dann erfolgt die Behandlung in der Erwachsenen-Psychotherapie. Außerdem sind die meisten Suchthilfen für Alkoholkranke oder Konsumenten harter Drogen eingerichtet. Cannabis-Suchthilfen gibt es nur sehr wenige.

Was für Verläufe sehen Sie?

SUDAU Während meiner Tätigkeit sehe ich leider oft schicksalhafte Verläufe junger Menschen, die durch die Psychose schwer eingeschränkt, geschädigt sind und bleiben, ohne Perspektive einer persönlichen Entwicklung.

Was kann man als Arzt tun?

Sudau Psychosen sind In den meisten Fällen gut behandelbar, und man kann die Betroffenen mit Medikamenten (Psychopharmaka, Neuroleptika) in der Regel gut einstellen. Allerdings erleben wir auch sehr oft den klassischen Drehtüreffekt. Das heißt, die Patienten kommen nicht vom Cannabis runter und landen immer wieder bei uns. Denn oftmals fehlt die Einsicht, dass sie dauerhaft Medikamente einnehmen müssen. Dies sollte mindestens fünf Jahre nach einem psychotischen Ereignis geschehen. Wenn es ihnen damit besser geht, sehen manche die weitere Einnahme nicht mehr ein, setzen die Medikamente ab und verfallen mit der Zeit wieder in psychotisches Verhalten.

Die Bundesregierung will den Verkauf von Cannabis legalisieren. Was sagen Sie als Facharzt für Neurologie dazu?

Sudau Ich bin kein Befürworter davon. Natürlich verstehe ich die Argumente, mit der Legalisierung Kriminalität vorzubeugen und auch den Anreiz durch Verbote zu mildern. Aber letztlich ist es auch ein Riesenmarkt, an dem viele verdienen. Sicher ist: Gerade junge Menschen sind eine vulnerable Gruppe. Bei ihnen ist die Hirnreifung noch nicht abgeschlossen. Daher sollte Cannabis nicht vor dem 25. Lebensjahr freigegeben werden.

In Deutschland sind etwa 800.000 Menschen an einer chronischen Psychose erkrankt. Rechnen Sie mit steigenden Zahlen und befürchten Sie eine Zunahme des Cannabis-Konsums?

Sudau Eine Studie der Universität Ulm hat Daten im Zeitraum 2000 bis 2018 analysiert. Die Zahl der cannabisassoziierten Krankenhausbehandlungen hat sich in diesem Zeitraum fast verfünffacht. Der über Jahre gestiegene Konsum könnte ein Grund dafür sein. Die weitere Enttabuisierung des Themas könnte aber auch dazu führen, dass sich junge Menschen mit Problemen in Zusammenhang mit Cannabis häufiger ärztliche Hilfe suchen. Bei den gefürchteten Psychosen sind Aufklärung und Prävention wichtige Maßnahmen.

Das Thema Cannabis ist in der Vergangenheit ein Stück mehr in die Öffentlichkeit gerückt. Eine gute Entwicklung, oder?

Sudau Ja. Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema hilft beim bewusstem Umgang mit Substanzen wie Cannabis. Das Thema psychische Erkrankungen hat dies in den letzten Jahren gezeigt. Bei meiner Praxisübernahme 2005 war das Wartezimmer zur Straße hin mit Lamellen verschlossen. Die Patienten wollten nicht gesehen werden. Heute besteht kaum noch Scham. Der Praxisbesuch ist fast so selbstverständlich wie der Gang zum Hausarzt.

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