11.000 Menschen sind betroffen Brandenburg startet Evakuierung in der Prignitz

Wittenberge/Potsdam (rpo). Zwar gehen die Verantwortlichen davon aus, dass die Deiche nicht überspült werden - dennoch ist am Abend die Evakuierung in der brandenburgischen Prignitz angelaufen.

Es handele sich um eine Teilevakuierung in drei Stufen, erläuterte Landesinnenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Dienstag nach einer Sitzung des Kabinetts in Wittenberge. Davon seien zunächst 3000 und dann weitere 8000 Menschen betroffen. Erst nach einem Deichbruch müssten noch einmal 9000 Menschen ihre Wohnungen verlassen.

Gespenstische Stille in Wittenberge

Gespenstische Stille herrschte am Dienstagabend in weiten Teilen der größten Stadt der Prignitz, Wittenberge. Abgesehen von Rettungswagen, Einsatzfahrzeugen der Polizei, des Bundesgrenzschutzes und des Technischen Hilfswerkes waren kaum Menschen in der vom Hochwasser bedrohten Stadt unterwegs. Der Wasserpegel der Elbe näherte sich immer mehr dem historischen Höchststand von 7,44 Meter, der in den nächsten Stunden erreicht werden sollte.

Die Kellerluken der Häuser waren mit Sandsäcken und Folien abgedichtet; zum Teil waren Toreinfahrten zugemauert. Das Grundwasser drückte bereits durch einige Sandsack-Barrieren. Die meisten Schulen sind geschlossen. Viele Firmen, darunter auch Hotels, schickten ihre Mitarbeiter nach Hause. Die Mehrzahl der Geschäfte hat geschlossen; nur noch große Supermärkte sind geöffnet. Geschäftliches Treiben herrscht dagegen seit Tagen bis in die Nacht an den Deichen. Dorthin sind viele geeilt, um zu helfen. Sie füllen Sandsäcke, beladen Transporter und helfen so, die Dämme zu verstärken.

Im südbrandenburgischen Mühlberg gab es dagegen am Dienstag das große Aufatmen: Nach tagelangem Ringen um die Erhaltung des Deichs sank das Wasser so weit, dass die Einwohner zurück in die evakuierte Stadt durften. Auch für die Prignitz geht die Landesregierung nach den Worten von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) davon aus, dass der Deich nicht überflutet wird. Man müsse damit rechnen, dass der historische Höchststand von 7,44 Meter in den nächsten Stunden erreicht werde, sagte Platzeck am Nachmittag. Die Sicherung der Stadt Wittenberge und der wichtigen Objekte sei aber abgeschlossen.

7000 Kräfte, darunter 1500 Soldaten, sind laut Platzeck derzeit in der Prignitz im Einsatz. Zwei Millionen Sandsäcke wurden verbaut, inzwischen wurde schon eine Reserve von 750 000 Säcken angelegt. Die Bundeswehr nehme prophylaktisch Sicherungsmaßnahmen an besonders gefährdeten Stellen vor. "Wir müssen damit rechnen, dass das Wasser lange auf den Deich drückt", betonte Platzeck. Von Entspannung könne erst gesprochen werden, wenn das Wasser mindestens einen Meter gesunken sei. Die Hydrologen rechnen nunmehr mit dem Hochwasserscheitel für Mittwochnachmittag mit 7,75 bis 7,80 Meter am Pegel Wittenberge. Normal sind dort knapp 2 Meter.

Die Landesregierung beschloss zur Entlastung der Region, das Wehr Quitzöbel an der Mündung der Havel in die Elbe zu öffnen. Damit solle der Wasserstand der Elbe in der Region dauerhaft um 15 bis 17 Zentimeter sinken, hieß es. Bis zu 240 Millionen Kubikmeter Elbe-Wasser können nach Expertenangaben in die Polder und die Havelniederung bis Rathenow auf einer Fläche von fast 25 000 Hektar laufen. In der Prignitz wurde an der Stabilisierung einer noch 4,6 Kilometer langen Deichstelle zwischen Wustrow und Lenzen gearbeitet. Dort waren mehr als 2800 Einsatzkräfte eingesetzt.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sicherte dem Land im Kampf gegen das Hochwasser Unterstützung zu. Bei einem Besuch in Wittenberge zusammen mit Platzeck erklärte er, angeforderte Hilfe werde zur Verfügung gestellt.

Nach Angaben des Landkreises Havelland wird es eventuell notwendig, Havel-Deiche zu sprengen, um die Stadt Rathenow vor dem Hochwasser zu schützen. Zugleich wird seit Dienstag durch ein stufenweises Anstauen der Havel zwischen Berlin und Rathenow das Nachdrängen von Wasser in deren Mündungsgebiet gebremst, um dieses für Elb-Wasser freizuhalten. Dadurch kann der Wasserstand der Havel um etwa einen halben Meter steigen. Dann wäre Potsdam indirekt vom Elbe-Hochwasser betroffen; allerdings würden wohl nur einige Ufergrundstücke überschwemmt.

In der Prignitz schwoll völlig überraschend innerhalb weniger Stunden das oberhalb von Wittenberge in die Elbe mündende Flüsschen Stepenitz an und überflutete eine Zufahrtstraße zu dem 3000-Einwohner-Ort Breesen. Nach Angaben von Agrarminister Wolfgang Birthler (SPD) wurden im Landkreis rund 22 000 große Haustiere vor dem Hochwasser in Sicherheit gebracht.

(RPO Archiv)
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