Brüssel Belgien zahlt lieber Sterbehilfe als Therapie

Brüssel · Ein Brüsseler Gericht billigte den Antrag des Häftlings auf Sterbehilfe endgültig. Der 50 Jahre alte Frank Van Den Bleeken sitzt seit fast 30 Jahren im Gefängnis.

Brüssel: Belgien zahlt lieber Sterbehilfe als Therapie
Foto: dpa, bsc

Wann Frank Van Den Bleeken sterben wird, ist geheim. Aber es dürfte bald sein. Der belgische Sexualstraftäter und Mörder (50) hält es im Gefängnis nicht mehr aus und darf auf eigenen Wunsch hin Sterbehilfe erhalten. So hat es sein Anwalt mit der Justiz ausgehandelt. Gestern hat das Brüsseler Berufungsgericht die Entscheidung bestätigt. Dabei ist Van Den Bleeken weder todkrank noch uralt - sondern leidet unter sexuellen Wahnvorstellungen und gilt als unzurechnungsfähig. Die belgische Öffentlichkeit diskutiert eine heikle Frage: Darf ein psychisch kranker Häftling per Todesspritze seiner Haft entkommen?

Die Hinterbliebenen des Mordopfers haben dafür kein Verständnis. "Er soll in seiner Zelle sterben", sagte die Schwester des Opfers dem Blatt "Het Laatste Nieuws". Sein Anwalt verteidigt das Vorgehen. "Mein Mandant leidet unendlich", sagte Jos Vander Velpen in Antwerpen. Seit fast 30 Jahren sitze der zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder hinter Gittern. Er wurde "interniert", was ungefähr der deutschen Sicherungsverwahrung entspricht. Sinn dieser Maßnahme war, den Sexualstraftäter zu therapieren. Bis auf eine kurze Ausnahme sei dies in all den Jahren nicht geschehen, klagt sein Anwalt.

Van Den Bleeken selbst bat im vergangenen Jahr im belgischen Fernsehen um Verständnis: "Ich bin ein Mensch. Und was immer ich auch getan habe, ich bleibe ein Mensch. Und deswegen sage ich: Gewährt mir Sterbehilfe." Mit 20 Jahren hatte er eine Frau vergewaltigt und ermordet. Die Richter ordneten seine Zwangseinweisung an. Weil es zu wenige Behandlungsangebote gab, landete der Mann in einer herkömmlichen Zelle.

Seine Versuche, zur Behandlung in ein niederländisches Gefängnis mit Therapieplatz verlegt zu werden, blieben in all den Jahren erfolglos. Als Ausweg sah er nur, sich das Recht auf Sterbehilfe zu erstreiten. "Dies ist sein absoluter Wille, er hat keinerlei Zweifel", betont sein Anwalt. Alles sei rechtens, drei Ärzte hätten ihr Einverständnis gegeben.

In Deutschland wäre all dies nicht möglich. Aktive Sterbehilfe ist strafbar; Ärzte dürfen bei Schwerkranken nur lebenserhaltende Maßnahmen abbrechen. Die Politik bereitet ein Gesetz vor, um die organisierte Sterbehilfe zu verbieten.

In Belgien ist das anders: Das Land hat eines der liberalsten Gesetze in Europa, das seit 2002 das Töten auf Verlangen erlaubt - wenn Patienten unerträglich an einer Krankheit leiden. Auch psychische Gründe sind zulässig. So wurde im vergangenen Jahr einem 44-Jährigen nach einer missglückten Geschlechtsumwandlung Sterbehilfe gewährt. Seit diesem Februar können auch todkranke Kinder und Jugendliche ihre Tötung verlangen. Seit Jahren steigen die Zahlen: 2013 nutzten 1807 Belgier Sterbehilfe - ein neuer Rekord.

Frank Van Den Bleekens Fall könnte Signalwirkung haben. Laut der belgischen Ärztekommission für Sterbehilfe haben 15 Langzeit-Häftlinge ähnliche Anträge gestellt. Kritiker sprechen von einer "freiwilligen Todesstrafe". Der Rektor der katholischen Universität Löwen, Rik Torfs, stellte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter die Frage: "Sicherungsverwahrung gleich indirekte Todesstrafe?"

Denn der Fall wirft ein Licht auf die schlechten Bedingungen in den Haftanstalten. Das Land hat mit der Betreuung psychisch kranker Straftäter offenkundig ein Problem. Wegen fehlender Therapien hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Belgien zuletzt zwei Mal verurteilt. Die Beobachtungsgruppe für Gefängnisse (Observatoire International des Prisons) klagt: "Die belgischen Gefängnisse explodieren und sind in ganz Europa am stärksten überbelegt."

Auch wenn niemand weiß, wann Van Den Bleeken sterben wird, ist der Ablauf schon bekannt. Er wird dann für 24 Stunden aus dem Gefängnis entlassen werden, um sich in einem Krankenhaus im Kreis der Familie vom Leben zu verabschieden. Sein Anwalt sagt: "Er kann dann in Würde sterben."

(dpa)
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