Geldern Ballett ist was für starke Männer

Geldern · Jayden ist sieben Jahre alt und tanzt Ballett. Deswegen wurde er gemobbt. Aus Augsburg kam ein ganzes Ensemble in seine Ballettschule in Geldern, um dem Nachwuchstänzer Mut zu machen.

 Sören Niewelt aus Augsburg unterstützt Jayden in seiner Liebe zum Ballett.

Sören Niewelt aus Augsburg unterstützt Jayden in seiner Liebe zum Ballett.

Foto: Markus van Offern

Der Typ sieht aus, als käme er gerade aus dem Boxstudio: Tattoos, Ohrlöcher, schwarze Jogginghose und Kapuzenjacke. Neben ihm läuft eine französische Bulldogge. Auf den ersten Blick scheint er nicht in die Ballettschule zu passen. Doch Sören Niewelt ist Tänzer, Balletttänzer, verheiratet und hat zwei Kinder.

Warum man das betonen muss? Weil der Sport noch immer mit einer Menge Vorurteilen verbunden ist. Der siebenjährige Jayden, der auf einer Bank zwischen einer Reihe Mädchen sitzt, hat unter den falschen Vorstellungen zu leiden. Seinetwegen ist Sören Niewelt mit seinem Ensemble 600 Kilometer von Augsburg nach Geldern an den Niederrhein gereist: Für eine Privatvorstellung in der Tanzschule, in der Jayden lernt. "Solidaritätsaktion für Jungs", flüstert eine der Mütter im Zuschauerrang.

Im Publikum sitzen auch Jaydens Eltern, Sven und Jasmin Eckert. Sie erzählen, dass ihr Sohn gemobbt wird, weil er zwar Breakdance, aber eben auch Ballett lernt. Zwei seiner Breakdance-Mittänzer haben ihn deshalb geärgert, erzählt Jayden. Was sie ihm an den Kopf geworfen haben, sagt er nicht, dafür spricht seine Mutter Klartext. "Ich musste mir schon anhören, ob ich nicht Angst hätte, dass mein Sohn schwul wird", sagt sie und schüttelt den Kopf. "Mein Sohn ist doch nicht schwul, weil er Ballett macht."

Tänzer Sören Niewelt, Leiter der JSLN Dance Company in Augsburg, ist empört. "Es ist 2017 aber noch so viel verkehrt in der Welt. Alle haben ein Smartphone, aber die Vorurteile sind die gleichen wie vor 100 Jahren", sagt er. "Jeder Balletttänzer ist schwul? Das wäre so, als ob man sagen würde, jeder Deutsche trage Lederhose und trinke eine Maß Bier."

Dass Jungen und Männer aber nur sehr selten Ballett tanzen, bestätigt auch das Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Bei den Kursen für Erwachsene kämen beim Ballett auf 20 Teilnehmer nur zwei männliche Tänzer. Im Jugendbereich ab zwölf Jahren sei derzeit gar kein Junge im Tanzhaus angemeldet. Und auch bei den kleineren Kindern unter zwölf seien Jungen nur selten dabei. "Im vergangenen Jahr war ein Junge angemeldet, momentan aber kein Einziger", heißt es aus dem Tanzhaus. In anderen Gruppen, etwa beim Hip-Hop, seien die männlichen Tänzer dagegen in der Überzahl.

Aber nur weil man einer der wenigen ist, die sich für eine Sache begeistern, ist es nicht falsch. Jaydens Eltern müssen sich gleichwohl immer wieder rechtfertigen, warum ihr Sohn ausgerechnet diesem Hobby nachgehe. Sein Vater bleibt cool. "Weil er das möchte", lautet seine simple Antwort. "Ich bin meinem Mann dankbar, dass er so denkt. Und dafür, dass Jayden nicht Fußball spielen muss, nur weil sein Vater Gladbach-Fan ist", sagt Jasmin Eckert. Jayden liebe das Ballett, aber durch Reaktionen anderer käme er mitunter ins Zweifeln. Zum Beispiel in der Schule. "Einmal im Monat gehen die Schüler zur Bücherei", sagt die Mutter. "Jayden wollte sich ein Ballettbuch ausleihen. Zwei Mädchen haben ihn ausgelacht, weil er ein Junge ist, und sie meinten, so ein Buch wäre nichts für Jungs." Das Buch hat er zurückgelegt.

Die Diskussionen um typische Jungs- oder Mädchenhobbys sind für die Familie anstrengend. "Aber mir ist es wichtig, dass unser Kind glücklich ist", sagt Jaydens Mutter. Eine Aussage, die wohl alle Eltern unterschreiben würden. "Er soll sich entfalten und nicht das machen, was Freunde oder andere Leute ihm vorgeben", sagt auch der Vater des Siebenjährigen.

Weil Jaydens Tanzlehrerin Janine Ingenpass das Problem kennt, hatte sie im Internet zu einer Videoaktion aufgerufen. Tänzer sollten Jayden Mut machen, dranzubleiben. "Viele denken beim Ballett an Tutu, Strumpfhose und Spagat. Dabei ist Ballett Schwerstarbeit", erklärt sie. Und die Strumpfhose, die habe ihre Berechtigung. Ballett sei Zentimeterarbeit. Um sehen zu können, ob die Beine durchgestreckt sind, müssten sie zu sehen sein. Weite Kleidung ist da fehl am Platz.

Sören Niewelt erzählt seine eigene Geschichte. Damals hatte ihn sein Fußballtrainer vor die Wahl gestellt, Fußball oder Ballett. "Ich habe überlegt", sagt der Augsburger. "Beim Fußball laufen 22 Jungs hinter einem Ball her, beim Ballett bin ich der einzige Junge unter 20 Mädchen. Ich bin beim Ballett geblieben." Die Geschichte von Jayden habe ihn berührt. Deswegen hat er das Ensemble kurzerhand eingepackt und ist nach Geldern gekommen. An die Zuschauer appelliert er, Missstände nicht stehen zu lassen, Diskriminierung schon gar nicht. "Wenn jeder ein bisschen rausgeht, würde sich die Welt verändern", sagt Sören Niewelt.

Zum Abschied gibt der Mutmacher dem kleinen Tänzer die Ghettofaust. "Ich werde seinen Weg weiter beobachten", verspricht er den Eltern. Und zu Jayden sagt er: "Wenn dich mal alle nerven, schreib' mir eine E-Mail. Manchmal reden die Leute ganz schön viel Müll." Sein Rat: "Im Englischen heißt das ,Selective Listening', also: die blöden Sachen rausfiltern."

Jayden hat für sich einen Grund gefunden, warum Männer zum Ballett gehören: "Wer soll denn die Ballerinas heben, wenn es keine Balletttänzer gibt?", fragt er.

(RP)
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