Monatelange Attacken Hass und Morddrohungen treiben österreichische Ärztin in den Tod

Vöcklabruck/Wien · Eine engagierte Medizinerin in Österreich nahm sich offenbar das Leben, weil sie Opfer von Hass und Drohungen im Netz wurde. Politik, Polizei und Standesvertretung zeigen sich entsetzt, es gibt aber auch Kritik an den Behörden.

 Blumen und Kerzen liegen für Lisa-Maria K. vor dem Gesundheitsministerium in Wien.

Blumen und Kerzen liegen für Lisa-Maria K. vor dem Gesundheitsministerium in Wien.

Foto: ALEX HALADA / imago

Die 36-jährige Ärztin Lisa-Maria Kellermayr scheute die Öffentlichkeit nicht. Auf Veranstaltungen, in Medien und in sozialen Netzwerken kämpfte sie unermüdlich gegen Corona-Leugner, Impfgegner, Wissenschaftsfeinde und Verschwörungsfanatiker an, obwohl sie immer monströseren Hassattacken im Netz ausgesetzt war. Sie kritisierte öffentlich die österreichische Regierung und die Gesundheitsbehörden.

Nach sieben Monaten ständiger Morddrohungen war Kellermayr psychisch am Ende. Im Juni schloss sie ihre Praxis – sie habe ihre Arbeit nicht mehr professionell erledigen können, sagte sie. Letzten Freitag wurde die Ärztin in ihrer Praxis im oberösterreichischen Seewalchen am Attersee tot aufgefunden. Die zuständige Staatsanwaltschaft Wels geht von Suizid aus, denn man habe mehrere Abschiedsbriefe gefunden. Weitere Details würden nicht bekannt gegeben.

Kellermayr hatte sich mehrmals beklagt, dass Politiker auf ihre Kritik nicht reagiert und Behörden ihre Anzeigen nicht ernst genommen hätten. Als sie technische Sicherheitseinrichtungen in ihrer Praxis und ihren privaten Sicherheitsservice nicht mehr finanzieren konnte, forderte sie Polizeischutz an. Die Medizinerin hatte über längere Zeit auch Schutz von Beamten erhalten, nach eigenen Angaben aber auch selbst rund 100.000 Euro dafür ausgegeben.

In Österreich hatten sich letzten Herbst Meldungen über Attacken von rabiaten „Patienten“ auf Ärzte in Kliniken und Praxen gehäuft. Auch Kellermayrs Sicherheitsmann soll immer wieder bei angeblichen Patienten Messer und andere Kleinwaffen konfisziert haben.

Kellermayr kommentierte Mitte November auf Twitter eine Demonstration von Impfgegnern und Rechtsextremisten vor dem Krankenhaus im oberösterreichischen Wels. Sie zitierte Medienberichte über eine Blockade der Zufahrt für Rettungsfahrzeuge. Stunden später kam die entwarnende Meldung, dass eine zweite Zufahrt stets offen gewesen sei. Doch in einer Reaktion der Polizei auf den Tweet von Kellermayr soll von einer „Falschmeldung“ die Rede gewesen sein.

Die Hasswelle in der rechten Szene und bei den Impfgegnern explodierte, sie sahen ihr Reizwort „Fake News“ einmal mehr bestätigt. Viele sollen sich von der FPÖ in ihrem Handeln bestätigt gefühlt haben. In Österreich kritisiert als einzige Parlamentspartei die rechte FPÖ seit Langem praktisch jede Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie scharf als unsinnig. Die Regierung aus ÖVP und Grünen hat inzwischen die Corona-Maßnahmen extrem gelockert. So wurde die Impfpflicht abgeschafft, und seit dem 1. August muss auch kein Corona-Infizierter mehr in Isolation.

Kellermayr lebte keinen Tag mehr ohne Angst. Eine IT-Spezialistin hatte der Ärztin Hilfe angeboten und soll in kurzer Zeit zwei Männer in Deutschland ausfindig gemacht haben, die mit einem „Massaker“ in ihrer Praxis sowie mit „Hinrichtung“ drohten. Die Polizei ermittelt wegen der Drohschreiben weiter gegen unbekannt. An diesen Ermittlungen ändere auch der Tod der Frau nichts, man warte nach wie vor auf den Abschlussbericht der Polizei, so die Staatsanwaltschaft.

Nach dem Suizid Lisa-Maria Kellermayrs sind die Behörden entsetzt über die Folgen von Hass im Netz. „Zutiefst schockiert“ zeigte sich der oberösterreichische Ärztekammerpräsident Peter Niedermoser. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sagte, er sei „zutiefst bestürzt“, auch wenn er Berichten zufolge Kellermayrs Engagement nie gewürdigt haben soll. Nur die sozialdemokratische Oppositionschefin Pamela Rendi-Wagner, eine Berufskollegin, sagte, was viele so deutlich nicht hören wollen: „Sie vertrat einfach ihren ärztlichen Standpunkt und wurde Opfer von Hass.“

In Wien sowie in mehreren Städten Österreichs waren am Montagabend Gedenkmärsche und Mahnwachen für die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr geplant. Es scheint, als sei der Fall nicht abgeschlossen. (mit dpa)

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