Stand-Up Comedy in Kiew Wie Ukrainer ihren Humor gegen Kriegsschrecken einsetzen

Kiew · Es ist kein Ende des Krieges in der Ukraine in Sicht. Wie werden die Bewohner des Landes mit dem Erlebten fertig - und mit der Angst vor dem, was wahrscheinlich noch kommt? Manche haben ein besonderes Rezept.

 Der Ukrainer Serhij Lipko bei einem Stand-Up-Comedy-Auftritt am Tag seiner Hochzeit in Kiew.

Der Ukrainer Serhij Lipko bei einem Stand-Up-Comedy-Auftritt am Tag seiner Hochzeit in Kiew.

Foto: AP/Natacha Pisarenko

Serhij Lipko weiß, dass er bald in den Kampf gegen die Russen geschickt wird. Deshalb haben er und seine Verlobte Anastasia Suchwala entschieden, vorher zu heiraten - wie eine wachsende Zahl von anderen Paaren in der Ukraine, die durch den Krieg auseinander gerissen werden. Ihre Hochzeit geschieht in aller Eile und ist kleiner, als sie in Friedenszeiten gewesen wäre, mit ein paar Dutzend Freunden und Familienangehörigen. Die Braut trägt einen schlichten Kranz mit blauen Blumen im Haar.

Und dann, weil Lachen therapeutisch sein kann und Lipko vor seiner Einberufung zum Militärdienst an einer Karriere als Komiker arbeitete, gehen sie in einen Stand-Up-Comedy-Klub in der Hauptstadt Kiew.

Dort tritt Lipko in olivegrünem Kampfanzug auf die Bühne und bringt das Publikum rasch zum Lachen - mit rauem Humor über das Militär- und Eheleben. Er witzelt, dass das Training mit Nato-Ausbildern eine großartige Gelegenheit gewesen sei, seine Englisch-Kenntisse zu verbessern, und darüber, wie nervös er beim Umgang mit teurer Militärausrüstung gewesen sei, voller Angst, sie kaputt zu machen.

Der Krieg ist nicht im Entferntesten lustig, aber Ukrainer lernen, über die Schrecklichkeit des Ganzen zu lachen. Nicht unbedingt, weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen - um geistig gesund zu bleiben in all der Brutalität, die schon Zehntausende Menschenleben gekostet und Teile des Landes verwüstet hat.

Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Soldaten - sogar die toten und verwundeten, sind bevorzugte Ziele des schwarzen ukrainischen Kriegszeit-Humors. Aber es gibt klare Grenzen: Die ukrainischen Todesopfer sind tabu für Witze, ebenso wie die schlimmsten Kämpfe wie die um die südliche Hafenstadt Mariupol und die russischen Gräueltaten in Butscha und anderswo.

So etwas könne und werde niemals ein Gegenstand von Humor sein, sagt Suchwala, ebenfalls eine Stand-Up-Komödiantin, während sie und Lipko nach der Show im Klub jede Menge Blumensträuße aus dem Publikum auflesen. Aber andere Themen in Sachen Krieg sind es. „Dies ist eine absolut verrückte Zeit, jenseits normaler Erfahrung“, sagt Suchwala dazu. „Unser Leben besteht jetzt aus lauter Paradoxen, und es kann sogar komisch sein.“

Der berühmteste Komiker der Ukraine ist inzwischen Präsident des Landes. Wolodymyr Selenskyj verkörperte in der Polit-Comedy-Serie „Diener des Volkes“ in seinem damaligen Beruf als Stand-Up-Komödiant und Schauspieler einen liebenswerten Lehrer, der versehentlich Präsident wird - bevor er es 2019 dann tatsächlich wurde. Allerdings hat Selenskyj seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar kaum Anlass zur Komik gehabt, wenn auch seine Schlagfertigkeit manchmal aufblitzt.

Aber während er daran arbeitet, internationale Unterstützung zu mobilisieren und die eigenen Soldaten mit Panzern, Artillerie und anderem gegen die Russen kämpfen, setzen Ukrainer jenseits der Front Witze und Humor als Waffen ein - gegen Angst und Niedergeschlagenheit, gegen Russland und für ein Gemeinschaftsgefühl. Und um zusammen zu lachen und zu weinen, in all der Trauer und all dem Zorn.

So fühlte sich denn auch Julija Schytko nach eigenen Angaben viel besser, nachdem sie mit dem Rest der Zuschauermenge im Comedy-Klub laut über Lipkos Auslassungen und die Witze anderer Komiker gegluckst hatte - wobei sich die meisten Blödeleien um den Krieg rankten. Lachen, „das ist es, wie man zurechtkommt“, sagt die 29-Jährige.

In der Welt der Komödie ist Lipko einst auch Selenskyj über den Weg gelaufen. Selenskyj, damals noch ein Entertainer, war 2016 ein Juror in einer Gameshow, in der es darum ging, einen Komiker zum Lachen zu bringen. Lipko war ein Wettbewerbsteilnehmer, trat im Tarnanzug auf, weil er damals mitten im Militärdienst steckte, und witzelte über seine dortigen Erfahrungen. Selenskyj konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als Lipko scherzte, dass er sich eine PlayStation kaufen werde, wenn er den Toppreis gewinne - was er denn auch später tat.

Lipko wird nun in Kürze seine junge Frau zurücklassen und in den Krieg ziehen müssen. Das Militär hat ihm einen Tag freigegeben, um zu heiraten - eine kurze Zeremonie in einem Standesamt mit befreundeten Komikern als Zuschauer, die es natürlich nicht lassen konnten, auch dort ihre Späße zu machen. „Wir haben viel gelacht“, sagt Stand-Up-Comedian Anton Tymoschenko.

Lipkos Spitzname im Militär lautet „der Komödiant“. Er glaubt, dass seine humoristischen Neigungen ihm helfen könnten, die bevorstehenden Kämpfe auszuhalten. „Ich bin ein Komiker, der vorübergehend ein Soldat geworden ist“, beschreibt er sich. „Ich habe Pläne und kreative Projekte für die Zeit nach dem Krieg. Es gibt Dinge, für die es sich zu leben lohnt.“

Suchwala sagt sich derweil selbst, „dass wir gewinnen werden und alles gut werden wird“. Und sie möchte eine große Hochzeitsfeier haben, wenn wieder Frieden herrscht, erzählt sie weiter. Tymoschenko hat versprochen, dass er und andere Freunde sich um sie kümmern werden, wenn Lipko an der Front ist.

Aber der junge Ehemann hat noch andere Sorgen. Seine Eltern leben in einem Dorf im Süden des Landes, da, wo die Russen derzeit vorstoßen. Er will, dass sie woanders hingehen, wo es sicherer ist, aber bislang stößt er auf taube Ohren. Seine Mutter scherzte sogar, sollten russische Raketen ihr Kartoffelbeet aufwühlen, würde ihr das die Arbeit mit dem Spaten ersparen. „Vor dem Krieg hat sie niemals gewitzelt“, sagt Lipko. „Sie benutzen meine Waffen gegen mich - und das ist unfair.“

(peng/dpa)
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