Radikale Islamisten Wenn Mädchen als Ehefrauen in den Dschihad ziehen

Lézignan-Corbières · Frankreich sorgt sich um junge Mädchen: Die 17-jährige Sarah und die 15-jährige Nora gehören zu etwa 100 französischen Mädchen und jungen Frauen, die in den letzten eineinhalb Jahren von Islamisten angeworben wurden.

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Foto: dapd, Mohammad Hannon

Die Überwachungskamera des Bahnhofs zeigt ein Mädchen mit zwei unförmigen Schultaschen über der Schulter.
Während sie auf dem Gleis wartet, steckt die 17-jährige Französin ihre Haare unter ein Kopftuch. Es ist der 11. März 2014 - der Tag, an dem Sahra ihrem bisherigen Leben den Rücken kehrt und sich auf den Weg nach Syrien macht.

Knapp zwei Monate früher hat die 15-jährige Nora aus Avignon eine ähnliche Reise angetreten. Sahra und Nora sind zwei von schätzungsweise 100 Mädchen und jungen Frauen aus Frankreich, die sich in den vergangenen eineinhalb Jahren radikalen Islamisten in Syrien angeschlossen haben. Nicht nur Muslima - Töchter oder Enkelinnen von Einwanderern aus arabischen Ländern - sind darunter, sondern auch Französinnen ohne Migrationshintergrund und sogar ein jüdisches Mädchen, wie aus Ermittlerkreisen verlautet.

Diese Reisen ins Ungewisse sind keine spontane Laune unreifer Jugendlicher, sondern Ergebnis der Arbeit gut organisierter Netzwerke. Deren Zielgruppe: junge Menschen auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Mädchen werden als Ehefrauen, Babysitter und Haushälterinnen für Dschihadisten rekrutiert. In Frankreich ist dieses Rekrutierungsnetzwerk besonders ausgeprägt.

Sahras Familie lebt in der südfranzösischen Kleinstadt Lézignan-Corbières. Vater Kamel stammt aus Algerien, Mutter Severine ist eine Französin mit europäischen Wurzeln. Eines Tages äußert das Mädchen den Wunsch, einen islamischen Ganzkörperschleier zu tragen. Die Eltern lehnen das ab. Sahra geht sechs Monate nicht zur Schule, schließt sich in ihrem Zimmer ein und verbringt viel Zeit vor dem Computer.

Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens schien diese schwierige Phase vorüber zu sein. Sahra besuchte zwischenzeitlich eine andere Schule. Am Morgen des 11. März sagte sie ihrem Vater beiläufig, sie nehme ein paar Klamotten mit zur Schule, weil sie ihren Freundinnen zeigen wolle, wie man einen Schleier trage. Kamel unterdrückte sein ungutes Gefühl und fuhr sie zum Bahnhof. Dort wollte er sie wie jeden Tag vor dem Abendessen wieder abholen. Um die Mittagszeit rief Sahra ihre Mutter an. Sie esse bei Freunden, sagte sie.

Bei Einbruch der Dunkelheit war sie immer noch nicht zu Hause. Ihre besorgten Eltern verständigten die Polizei. Am nächsten Tag bemerkten sie, dass Sahras Reisepass weg war. Später kam heraus, dass die 17-Jährige noch am selben Tag einen Flug von Marseille nach Istanbul genommen hatte.

"Alles war geplant"

"Alles war bis ins kleinste Detail geplant", sagt ihre Mutter. Nie habe sie ihre Tochter über Syrien reden hören. "Wir sind aus allen Wolken gefallen." Während eines kurzen Telefonats sagte Sahra ihrem Bruder, sie habe in Syrien einen 25-jährigen Tunesier geheiratet. Ihr Vater habe ihr nichts zu sagen, er sei kein wahrer Muslim. Sie werde nicht nach Frankreich zurückkehren.

Zwei Mal hat ihre Familie seitdem mit ihr gesprochen und ein paar Nachrichten über Facebook ausgetauscht. Aber ihre Eltern zweifeln mittlerweile daran, dass Sahra diese selbst verfasst.

Nur zwei Autostunden entfernt, in Avignon, bangt eine andere Familie um das Schicksal ihrer Tochter. Die El-Bahtys sind marokkanische Einwanderer, praktizierende Muslims, aber nach eigenen Worten nicht streng religiös. Nora ist das dritte von sechs Kindern. Am 23. Januar ging die 15-Jährige wie jeden Tag zur Schule - und kam niemals zurück.

Ihr älterer Bruder Foad erfuhr tags darauf, dass Nora, die meist Jeans und Pullover trug, sich auf dem Schulweg verschleierte, dass sie eine zweite Handy-Nummer und einen zweiten Facebook-Account hatte, über den sie offenbar von den Islamisten angeworben wurde. Als er diesen entdeckte, habe er sofort gewusst, dass seine Schwester in Syrien sei, sagt Foad.

Die Ermittlungen ergaben, dass Nora zunächst mit dem Zug nach Paris fuhr. Dort übernachtete sie bei einer jungen Mutter - sie war es auch, die die gesamten Reisekosten bezahlte. Von Paris aus flog das Mädchen zunächst nach Istanbul und dann weiter in eine Stadt an der türkischen Grenze. Ihr endgültiges Ziel, sagt Foad, sei eine "Ausländer-Brigade" der radikalislamischen Al-Nusra-Front gewesen.

Ursprünglich hätten die Dschihadisten seine Schwester verheiraten wollen. Aber sie habe sich geweigert. Nun arbeite sie als Kindermädchen. Nora würde gerne wieder nach Hause kommen, sagt Foad.
Er ist sogar schon nach Syrien gereist, aber ohne Erfolg: Er durfte seine Schwester nicht mitnehmen.

"Sobald sie ein Mädchen haben, tun sie alles, um es zu behalten", sagt Foad. "Die Mädchen sind dort nicht, um zu kämpfen, nur zum Heiraten und Kinderkriegen."

(ap)
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