"Vergessene" Themen Was wurde aus ... Fukushima?

Düsseldorf · Immer wieder geraten selbst aufsehenerregende Ereignisse oder Personen nach einiger Zeit aus dem Fokus der Medien. Wir der Frage nach, welche Folgen die japanische Atomkatastrophe hatte.

Düsseldorf gedenkt der Fukushima-Katastrophe
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So etwas hätte es früher nicht gegeben: Mehrere Zehntausend Japaner gingen am Montag in Tokio auf die Straße. Ihr Zorn richtete sich gegen Premierminister Yoshihiko Noda. Aus Furcht vor Stromausfällen in der Industrieregion Osaka hatte Noda erst kürzlich durchgesetzt, dass ein Reaktor im Atomkraftwerk Oi wieder in Betrieb genommen werden darf. Er war nach der Atomkatastrophe von Fukushima abgeschaltet worden.

Über Atomkraft hat sich in Japan früher kaum ein Mensch aufgeregt. Das hat sich geändert — am 11. März 2011. Das schwerste Erdbeben in der Geschichte Japans (Stärke 9,0) vor der Hauptinsel Honshu dauerte 150 Sekunden. Der dadurch ausgelöste Tsunami raste mit bis zu 800 Kilometer pro Stunde auf die Küste zu. Meterhohe Wellen verwüsteten den Osten des Landes.

Rekordwerte an Radioaktivität gemessen

Nach offiziellen Angaben gab es 15 844 Tote und 5891 Verletzte, mehr als 3000 Menschen werden bis heute vermisst. 41 Minuten nach dem Erdbeben erreichten die Fluten das Kraftwerk Fukushima. Das eindringende Wasser löste einen Stromausfall aus, in dessen Folge das Kühlsystem versagte — die Reaktoren überhitzten. Mitarbeiter des Betreibers Tepco brachten die Situation nicht unter Kontrolle. In den Blöcken 1 bis 4 kam es zu Explosionen, Feuer brach aus. Am 28. März bestätigte die Regierung teilweise Kernschmelzen.

Folge: Erhebliche Mengen radioaktive Stoffe (vor allem Jod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137) gelangten in die Atmosphäre. Rund 80 000 Menschen mussten im Umkreis von 20 Kilometern evakuiert werden, zunächst waren zum Teil die falschen Gebiete geräumt worden. Das Areal gilt als unbewohnbar. Und auch auf dem Reaktorgelände ist ein Ende der Aufräumarbeiten nicht in Sicht. Mindestens 40 Jahre soll es dauern, bis die Blöcke 1 bis 4 abgebrochen sind. Und die Arbeiter stoßen immer wieder auf Hindernisse: Unlängst teilte Tepco mit, dass erneut Rekordwerte an Radioaktivität gemessen worden seien.

Bewunderte die Welt die Japaner unmittelbar nach der Katastrophe noch für ihre scheinbare Gelassenheit, sind seither Bilder wütender Demonstranten zu sehen, die den endgültigen Abschied von der Kernenergie fordern. Prominente wie der Nobelpreisträger Kenza-buro Oe unterstützen den Protest. "Anfangs waren es junge Leute und Eltern, die sich engagierten. Ende 2011 haben sich auch Gewerkschaften und Landwirtschaftsverbände aus zahlreichen Regionen angeschlossen. In ganz Japan sind neue Anti-Kernkraft-Gruppen entstanden", berichtet der Vorsitzende der Bewegung Nazen, Yosuke Oda.

Krebserkrankunken treten auf

Viele Japaner, die früher ein fast blindes Vertrauen in die Sicherheit der atomaren Anlagen hatten, fürchten ein zweites Fukushima. Und auch das Vertrauen in die Regierung ist schwer erschüttert, nachdem sich herausgestellt hat, dass das missratene Krisenmanagement die Auswirkungen der Katastrophe noch verschlimmert hat. Der damals regierende Premierminister Naoto Kan musste im September 2011 abtreten.

Bis heute fühlen sich viele Japaner schlecht informiert, einige sogar belogen. Während es zu den Opfern des Tsunami offizielle Zahlen gibt, bliebt umstritten, wie viele Menschen durch den atomaren GAU zu Schaden gekommen sind. Über Krebsfälle, die angeblich in Zusammenhang mit der Katastrophe stehen, wird wild spekuliert: So soll ein Tepco-Manager wegen Erkrankung an Speiseröhrenkrebs zurückgetreten sein; ein TV-Moderator, der kurz nach dem GAU vor der Kamera Lebensmittel aus der Region aß, erkrankte an Leukämie.

Vor Kurzem veröffentlichte das japanische Strahlenschutzinstitut einen beruhigenden Bericht, wonach die Schilddrüsenbelastung von Kindern durch den Unfall nicht signifikant erhöht worden sei. Dies, so kritisiert die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000, sei aber "schlicht falsch". Sie verwies auf flächendeckende Untersuchungen in der Präfektur Fukushima, wonach von 38 114 untersuchten Kindern und Jugendlichen 13 384 (35 Prozent) bereits Knoten in der Schilddrüse hätten.

Die Sehnsucht nach der Normalität

Der Bericht einer parlamentarischen Untersuchungskommission hat die Regierung nun weiter in Bedrängnis gebracht. Das Unglück sei "von Menschenhand gemacht", weil es vorhersehbar und vermeidbar gewesen sei, heißt es darin. Premierminister Noda sitzt jedoch in der Zwickmühle: Er weiß um den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung gegen die Kernkraft. Aber er kennt auch die Warnungen der Industrie. Nach dem Unfall von Fukushima hatte der Energiemangel zu erheblichen Produktionsausfällen geführt.

Nur durch drastisches Stromsparen und massive Öl- und Gasimporte konnte Japan bisher den Ausfall seiner insgesamt 50 seit Fukushima zur Überprüfung abgeschalteten Atommeiler auffangen, die früher ein Drittel des Stroms produzierten. Doch die Gefahr eines Blackouts bleibt groß.

Überall spürbar ist die Sehnsucht der Japaner nach einer Rückkehr zur Normalität — auch wenn sie manchmal mit einer Mischung aus Erleichterung und Sorge begleitet wird. So haben die Behörden in der Katastrophen-Region Fukushima gestern den ersten Strand für Badegäste wiedereröffnet. Familien und Gruppen von Jugendlichen genossen in Iwaki, 65 Kilometer südlich des verwüsteten Atomkraftwerks, ein Bad im Pazifik. Nach Angaben der örtlichen Behörden liegt die Konzentration der radioaktiven Strahlung im Meerwasser unter einem Becquerel pro Liter.

(RP)
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