Rebellen bestreiten Abschuss Was passierte am Tag des Absturzes von Flug MH17?

Snischne · Die Führung der Aufständischen in der Ostukraine bestreitet, für den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine verantwortlich zu sein. Doch Berichte von Bewohnern, Beobachtungen von Journalisten und die Aussagen eines Rebellenvertreters widerlegen dies.

 Eltern von einem australischem Opfer haben diese Blumen am Absturzort des Fluges MH17 niedergelegt.

Eltern von einem australischem Opfer haben diese Blumen am Absturzort des Fluges MH17 niedergelegt.

Foto: afp, KLC/MRA

Es war Mittag, als ein Abschussgerät mit vier Boden-Luft-Raketen vom Typ SA-11 in die ostukrainische Stadt Snischne rollte und auf einer Straße parkte. 2400 Kilometer weiter westlich checkten Passagiere in Amsterdam für Flug MH17 ein. Es war ein lauter Tag in Snischne gewesen, erinnerten sich Bewohner. Große Mengen Militärausrüstung zogen durch den Ort. Das als Buk M-1 bekannte Raketenabschusssystem war schwer zu übersehen. Es ließ tiefe Abdrücke im Asphalt zurück, als es in einem kleinen Konvoi vorbeizog.

Die Fahrzeuge der Kolonne machten vor Journalisten der Nachrichtenagentur AP Halt. Ein Mann kam auf sie zu. Er hatte einen russischen Akzent und trug eine sandfarbene Tarnuniform, die sich von der grünen Kleidung unterschied, die prorussische Aufständische normalerweise anhaben. Er wollte sichergehen, dass die Journalisten keine Aufnahmen von dem Raketenwerfer gemacht hatten. Dann zog der Konvoi weiter.

"Menschliche Körper fallen vom Himmel"

Drei Stunden später vernahmen Menschen in einer Gegend zehn Kilometer westlich von Snischne laute Geräusche. Und dann sahen sie Metallteile und menschliche Körper vom Himmel fallen.

Die Führung der prorussischen Aufständischen in Donezk hat wiederholt öffentlich bestritten, für den Abschuss von Flug MH17 verantwortlich zu sein. Ein Sprecher von Rebellenführer Alexander Borodaj bekräftigte am Freitag, dass keine Rebelleneinheiten über Waffen verfügten, die dazu in der Lage wären, so hoch zu schießen. Gegenteilige Aussagen seien Teil eines Informationskriegs, der das Anliegen der Rebellen untergraben solle.

Die Dementis der Aufständischen werden durch die Aussagen von Bewohnern, Beobachtungen von Journalisten und den Erklärungen eines Rebellenvertreters sowie angeblich von der Regierung abgefangene Gespräche in Zweifel gezogen.

Widersprüchliche Angaben

Ein ranghoher Rebell räumte ein, dass die Aufständischen an dem Flugzeugabsturz schuld seien. Eine Rebelleneinheit aus der Heimatstadt des früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch habe in der Nähe von Snischne eine SA-11-Rakete abgefeuert, erklärte er. Der Aufständische wollte nicht beim Namen genannt werden, da er mit seinen Aussagen der offiziellen Linie der Rebellen widersprach.

Die Rebellen hätten geglaubt, auf ein ukrainisches Militärflugzeug zu zielen, sagte der Aufständische, der direkten Zugang zum inneren Kreis der Rebellenführung in Donezk hat. Stattdessen hätten sie die Passagiermaschine auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur getroffen. Alle 298 Menschen an Bord kamen ums Leben.

Abgefangene Telefongespräche, die von der Regierung in Kiew veröffentlicht wurden, scheinen zu belegen, dass die Aufständischen nicht wussten, dass es sich bei dem getroffenen Ziel um ein Passagierflugzeug handelte. In den Aufnahmen ist zu hören, wie die Rebellen, die den Absturzort als erstes erreichten, fluchen, als sie die Leichen und den Schriftzug der Malaysia Airlines sehen.

Ukraine gibt Rebellen Schuld

Kiew machte die Rebellen für den Flugzeugabschuss verantwortlich. In einem Interview der AP schilderte der ukrainische Anti-Terror-Chef Witali Najda die Version der Regierung von den Ereignissen des 17.
Juli. Der Raketenwerfer sei aus Russland gekommen und von Russen betrieben worden. Moskau hat eine Verwicklung in den Flugzeugabschuss bestritten.

"Ein Vogel fliegt zu euch"

Nach Angaben Najdas rollte der Raketenwerfer um ein Uhr morgens (Ortszeit) am 17. Juli an Bord eines Pritschenwagens über die russische Grenze in die Ukraine. Er berief sich bei seinen Aussagen auf abgefangene Gespräche. Bis neun Uhr an dem Donnerstag habe die Buk M-1 die Rebellenhochburg Donezk erreicht. Dort soll sie vom Pritschenwagen genommen worden und anschließend in einer Kolonne weitergefahren sein. Die Buk sei nach Osten zurück Richtung Snischne gefahren, sagte Najda.

Bewohner sagten, dass der Raketenwerfer gegen Mittag in Snischne eingetroffen sei. "An dem Tag bewegte sich viel militärisches Gerät in der Stadt", sagte die 55-jährige Tatjana Germasch. AP-Journalisten sahen die Buk um 13.05 Uhr durch den Ort ziehen.

Gegen 16.18 Uhr erregte ein Bericht über ein Flugzeug die Aufmerksamkeit der Buk-Crew, wie aus einem abgefangenen und von der ukrainischen Regierung freigegebenen Telefongespräch hervorgeht.
Darin spricht ein Aufklärer mit einem Rebell, der von der Ukraine als Igor Besler, ein Rebellenkommandeur und russischer Geheimdienstoffizier, identifiziert wird. "Ein Vogel fliegt zu euch", erklärt der Informant. Daraufhin fragt Besler, ob es sich um ein Aufklärungsflugzeug oder "ein großes" handele. "Ich kann nicht hinter die Wolken sehen", erwidert sein Gesprächspartner.

Codenamen Sapper

Der Rebell, der mit der AP über den Zwischenfall gesprochen hat, sagte, Besler habe einen anderen Kämpfer mit dem Codenamen Sapper kommandiert. Dieser sei der Leiter einer Rebelleneinheit, deren Mitglieder etwa zur Hälfte aus dem Osten Russlands stammten. Sapper selbst sei aus der nahegelegenen Stadt Jenakijewe, dem Heimatort von Ex-Präsident Janukowitsch.

Sapper konnte für einen Kommentar nicht erreicht werden. Seine wahre Identität ist nicht bekannt. Besler, den die AP am Freitag kontaktierte, bestritt eine Verbindung zu dem Angriff auf die Passagiermaschine. "Ich habe das Malaysia-Airlines-Flugzeug nicht abgeschossen. Ich hatte nicht die physischen Fähigkeiten dafür."

Doch nach Angaben des Rebellenvertreters, der anonym bleiben wollte, war Sapper am 17. Juli losgeschickt worden, um drei Kontrollpunkte in den Städten Debalzewo, Tschernuchino und Snischne zu inspizieren.
Alle drei Orte liegen innerhalb eines Radius von 30 Kilometern von der Absturzstelle entfernt. Irgendwann im Laufe des Tages soll er zur Fahrzeugkolonne mit dem Raketenabwerfer gestoßen seien.

Abgehörte Gespräche

Gegen 16.20 Uhr hörten Bewohner in der Stadt Tores, zehn Kilometer westlich von Snischne, laute Geräusche. Einige berichteten, sie hätten zwei Explosionen vernommen, andere sprachen von einer einzigen Detonation. Um 16.40 Uhr berichtet der als Besler identifizierte Mann seinem Vorgesetzten, das die Rebelleneinheit ein Flugzeug abgeschossen habe. Das geht aus einem weiteren abgehörten Gespräch hervor. Darin erklärt Besler, Sappers Gruppe habe eine Maschine vom Himmel geholt.

Die Echtheit des Gesprächs konnte nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Die US-Botschaft in Kiew erklärte jedoch, Geheimdienstspezialisten hielten es für authentisch.

Wie Najda sagte, deuten Geheimdienstinformationen darauf hin, dass sich der Raketenabwerfer kurz nach dem Angriff auf die Passagiermaschine wieder in Bewegung setzte. Noch am selben Abend sei die Buk über die Grenze zurück nach Russland gerollt, sagte er.

(ap)
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