Russland Was aus den Kindern von Perm geworden ist

Anfang der 90er Jahre spendeten Leser der "Rheinischen Post" für eine Krebsklinik in Russland – sie rettet heute viele Leben.

Anfang der 90er Jahre spendeten Leser der "Rheinischen Post" für eine Krebsklinik in Russland — sie rettet heute viele Leben.

Es waren Bilder, die ans Herz gingen: Krebskranke Kinder, bei denen sich die Einstichstellen der Infusionen immer wieder entzündeten. Das Krankenhaus, in dem sie behandelt wurden, glich einer Baracke, von Hygiene konnte keine Rede sein. Reporter Fritz Pleitgen, damals noch nicht Intendant, sondern Chefredakteur des Westdeutschen Rundfunks (WDR), bat um Hilfe, wenigstens um Spielzeug.

Was Pleitgen damals, wenige Tage, bevor sich die Sowjetunion im Dezember 1991 auflöste, aus der russischen Stadt Perm berichtete, löste eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Die verebbte nicht rasch, sondern mündete in ein Projekt deutsch-russischer Zusammenarbeit, das seine segensreichen Wirkungen immer noch ausweitet.

In Perm entstand mit Geld, das Fernsehzuschauer des WDR und Leser der "Rheinischen Post" spendeten, eine neue Kinderkrebsklinik, in der die modernsten Methoden der Krebsdiagnostik und -behandlung erprobt werden. Einer der wichtigsten Beteiligten ist Professor Ulrich Göbel, der ehemalige Leiter der Kinderkrebsklinik der Düsseldorfer "Heinrich Heine Universität"..

Göbel hatte schon Kontakte nach Perm, ehe der WDR Pleitgens Reportage aus der Stadt am Ural sendete. 1989 hatte ein Außendienstmitarbeiter der Firma Klöckner-Humboldt-Deutz Göbel gefragt, ob zwei Ärztinnen aus der Stadt am Ural in die Düsseldorfer Kinderkrebsklinik kommen könnten, um deren Behandlungsmethoden kennenzulernen.

Die Ärztinnen brachten aus Düsseldorf Medikamente und Infusionspumpen für die sichere Verabreichung von Medikamenten zurück nach Russland. So kam es, dass Pleitgen in der Permer Klinik eine kleine grüne Pumpe mit der Aufschrift der Medizintechnik-Firma "Braun Melsungen" sah und die Auskunft erhielt, die käme aus Düsseldorf. Pleitgen kontaktierte Göbel, um über Hilfe für Perm zu sprechen..

Es entstand die Aktion "Die Kinder von Perm". Beteiligt waren die Universitäts-Kinderklinik Düsseldorf, der WDR, dessen Zuschauer mehr als drei Millionen Mark spendeten, die "Rheinische Post", deren Leser 1,2 Millionen Mark gaben, "Care Deutschland", erfahren in der Nothilfe im Ausland, und ein Förderverein aus Bocholt, wo die Hausfrau Gerlinde Uth eine Hilfsaktion gestartet hatte, die in zehn Jahren 250 Tonnen Hilfsgüter nach Perm schickte. In Gesprächen mit den Ärzten in Perm und russischen Behörden entstand der Plan, eine neue Klinik in Perm zu bauen. Die wurde, nachdem sich führende Politiker aus der Region Perm für sie eingesetzt hatten, im Jahr 1996 fertig.

Der erste Eindruck, den Joachim Sobotta, der damalige Chefredakteur der "Rheinischen Post" bei der Einweihung der Klinik gewann, war "klein, aber fein". Die Klinik hatte 35 Betten zur stationären Behandlung, eine Ambulanz, einen Labortrakt und eine Einheit für Intensivbehandlung. Heute sind einige Betten dazugekommen, weil für die Mütter, die ihre kranken Kinder begleiten, neue Wohnungen neben der Klinik angemietet wurden.

Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich enorm erweitert. Starben zunächst noch acht von zehn Kindern, die in die Klinik eingeliefert wurden, so waren es bei Sobottas zweitem Besuch 2001 nur noch fünf. Heute überleben bereits acht von zehn Erkrankten den Krebs. Das ist dieselbe Quote wie in Düsseldorf. Allerdings können in Perm noch nicht alle Krebsarten geheilt werden, besonders schwere Fälle — wenn etwa Knochenmarkübertragungen nötig werden — müssen weiterhin in Moskau oder Sankt Petersburg therapiert werden.

Dafür werden in Perm neue Formen der Diagnostik erprobt. So gibt es jetzt eine Mikroskop-Konferenz. Gewebeproben werden so aufbereitet, dass die Mikroskop-Bilder über den Internetdienst Skype in andere russische Krebszentren in Moskau, Petersburg und Jekaterinenburg wie auch nach Deutschland gesendet werden können. Hier beurteilen Professor Göbel und der Kieler Pathologe Professor Dieter Harms die Bilder und besprechen sie mit ihren russischen Kollegen. Vorteil dieser Bildschirm-Konferenz: Die Proben müssen nicht mehr über Tausende von Kilometern verschickt werden und werden sofort beurteilt.

Die zweite Neuerung, die in Perm erprobt wird, ist ein Krebsregister. Ein Drittel der russischen Krebskliniken macht, so sagt Göbel, bei der Erstellung eines klinischen Registers für Keimzeellentumore mit. Daran lässt sich ablesen, welche Behandlungsmethoden Erfolg versprechen. Etwas zögerlicher sind die russischen Behörden, wenn es um die Einführung sogenannter epidemologischer Register geht. Dabei wird verglichen, welche Krebsarten in welcher Region auftreten. Das scheint der russischen Obrigkeit offenbar zu heikel, denn daraus lassen sich Schlüsse auf die Umweltverschmutzung in bestimmten Gebieten ableiten. Perm war Jahrzehnte lang für Ausländer gesperrt, weil es hier viele Rüstungsbetriebe gab. Die Stadt mit einer Million Einwohner ist bis heute von der Petrochemie geprägt.

Ein drittes Projekt betrifft die Fortbildung von Ärzten. Die Region Perm ist von Süd nach Nord 1000 Kilometer lang, von West nach Ost 600 Kilometer breit, also so groß, sagt Göbel, wie zwei Drittel von Deutschland. Die Region ist nur dünn besiedelt. Harald Brand, ehemaliger Chefredakteur des WDR, spricht von sechs Millionen Einwohnern. Sie leben in einem Klima, in dem es im Sommer sehr heiß, im mehr als sechs Monate dauernden Winter sehr kalt ist. Landärzte sind selten, zumal Ärzte in Russland generell sehr schlecht bezahlt werden. Die Permer Klinik hat deswegen Programme entwickelt, mit denen die Landärzte für die Erkennung von Krebs bei Kindern, der sich oft rasend schnell entwickelt, geschult werden.

Die Klinik, sagt Brand, sieht immer noch so aus wie neu. Das ist nicht zuletzt das Verdienst eines Vereins, in dem Brand und andere Mitarbeiter des WDR die Hilfe für Perm organisieren. 2005 wurde diese Hilfe aus dem WDR ausgegliedert und einem Verein "Die Kinder von Perm" übergeben. Vorsitzender des Vereins ist Fritz Pleitgen, der nach dem Ende seiner Zeit als Intendant jetzt auch Präsident der Deutschen Krebshilfe e.V. ist. Die praktische Arbeit übernahmen Brand und Karl-Heinz Loose, der das Finanzielle, aber auch die Organisation der Mikroskop-Konferenzen regelt. Brand pflegt die politischen Kontakte, ohne die in Russland nichts geht.

Er hat dafür gesorgt, dass in Perm ein Hausmeister eingestellt wurde und von dem deutschen Verein bezahlt wird. Dieser Hausmeister verantwortet den guten Zustand der "Friedrich-Joseph-Haass-Klinik", so heißt die Klinik nach einem deutschen Arzt, der im 19. Jahrhundert in Moskau praktizierte.

Die sieben in Perm tätigen Ärzte werden vom staatlichen russischen Gesundheitsdienst bezahlt, der Verein gibt einen finanziellen Bonus dazu und sorgt für Fortbildungsreisen. Das zahlt sich aus, in Perm wechseln die Ärzte nur selten. Zwischen Düsseldorf und Perm gibt es eine rege Reisetätigkeit. Düsseldorfer Studenten arbeiten regelmäßig in Perm, die Ärzte der Klinik kommen gern an den Rhein. Auch Göbel fährt regelmäßig in der Ural: "Mindestens zwei Mal pro Jahr."

Der Verein: "Die Kinder von Perm — Spendenaktion des WDR e.V." Appellhofplatz 1 D, 50667 Köln Kto. 5555, BLZ 300 500 00 Helaba (Landesbank Hessen-Thüringen)

(csi)
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