Waffen in den USA Zwei Stunden auf der Gun Range
Fort Myers · Amerikas Liebe zu Schusswaffen löst bei Europäern seit Jahrzehnten Kopfschütteln aus – besonders nach Amokläufen wie in Oregon. Unser Reporter verbrachte zwei Stunden auf einer Gun Range. Erst am Ende wurde ihm mulmig.
Amerikas Liebe zu Schusswaffen löst bei Europäern seit Jahrzehnten Kopfschütteln aus — besonders nach Amokläufen wie in Oregon. Unser Reporter verbrachte zwei Stunden auf einer Gun Range. Erst am Ende wurde ihm mulmig.
Fünf Minuten. Länger dauerte es nicht.
Zögerlich betrete ich das Waffengeschäft in Fort Myers. Hinter der Theke steht Tom. Grüne Cargo-Hose, Military-T-Shirt, getönte Sonnenbrille. Seine Arme verraten, dass er mit Hanteln trainiert. Sein Bauchansatz verrät, dass er gerne Burger isst. Am Gürtel trägt er eine Pistole im Holster und zwei Ersatzmagazine. Tom lächelt mich freundlich an.
Ich trage mein Anliegen vor. Ich sei ein Tourist aus Deutschland, wollte immer mal wissen, wie es auf einer Gun Range so zugeht, und vielleicht auch mal schießen. Ob das wohl ginge. Tom lächelt immer noch. "Kein Problem! Brauche nur den Ausweis oder Führerschein. Irgendwas mit Bild."
Tom kopiert meinen Führerschein und gibt mir zwei doppelseitig bedruckte Blätter. "Bitte lesen und abzeichnen", sagt er. Mache ich, klar. In Juristen-Englisch werde ich vor allem über eine Tatsache belehrt. Der Betreiber des Schießstandes ist nicht verantwortlich. Nicht verantwortlich, wenn ich meinen Ohrschutz vergesse und mir das Trommelfell platzt. Nicht verantwortlich, wenn ich mir in den Fuß schieße. Verantwortlich ist die Person, die auf der Rückseite unterschreibt. Das wäre dann also ich. Ich nehme mir vor, mich gut zu konzentrieren.
"Schon mal geschossen, Christian?", fragt mich Tom. Er sagt ständig meinen Vornamen und ist überhaupt sehr freundlich. Ich verneine die Frage. Vielleicht könnte ich ja mit einem Kleinkaliber anfangen, schlage ich vor. Tom mustert mich, lacht und sagt: "Neeee, besser nicht. Neun Millimeter macht dir gar nichts, Christian". Tom ruft einen Kollegen und sagt: "Das ist Christian! Christian braucht eine Einführung."
Fünf Minuten nach meiner Ankunft im Laden stehe ich am Schießstand. Mit Ohrenschutz und Schutzbrille. Es riecht seltsam verbrannt. Toms Kollege gibt mir eine Einführung. Zeigt mir, wie man ein Magazin lädt, es einschiebt und wieder rausholt. Zeigt mir, wie man den Schlitten spannt und natürlich, wie man zielt und abdrückt. Er zeigt mir alles genau einmal. "Alles okay, alles verstanden?", fragt er mich. Mit Rückfragen scheint er nicht zu rechnen.
"Das war es eigentlich schon. Eine Sache noch: Wenn du fertig bist, nicht mit der Waffe in der Hand zurück in den Laden kommen. Die Waffe in den Plastikkorb legen und mir den Korb geben." Plötzlich guckt er sehr ernst. Er wiederholt den letzten Teil noch einmal: "Nicht mit der Waffe in der Hand zurück in den Laden kommen. Die Waffe in den Korb legen." Ich glaube, ich verstehe, warum er mir das zweimal sagt. Ich nehme mir noch einmal vor, mich gut zu konzentrieren.
Fünf Minuten Vorstellung, zwei Minuten Einführung und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich bewaffnet. Schwer bewaffnet sogar. Nacheinander gibt mir Tom eine tschechische Armeepistole in neun Millimeter, einen großen Ruger-Revolver (.357 Magnum) und dann noch eine Glock-Pistole, wie sie die Polizisten im US-Fernsehen immer haben. Für jedes Gerät reicht er eine Packung Munition. 50 Schuss. Jede Pistole mit Munition kommt in einen separaten Korb. "Viel Spaß, Christian", sagt er. Immer wieder dieses Wort. Fun. Hier ist alles Spaß. Alle sind gut drauf. Tom lächelt.
Ich blicke auf mein Arsenal im Korb und plötzlich kommt mir das Geschehen absurd vor. Tom kennt mich nicht. Er kennt die Nummer meines Führerscheins. Tom hat mich zwei Blätter unterschreiben lassen, von denen ich nur die Hälfte begriffen habe. Eines habe ich aber verstanden. Ich bin verantwortlich für alles, was jetzt passiert. Und Tom hat anscheinend keinen Grund, mir zu misstrauen. Ich glaube, diese Gedanken sind sehr amerikanisch. Dennoch. Wer verhält sich hier gerade seltsam? Tom? Oder ich? Weil ich mir die Frage stelle, ob Tom seltsam ist, weil er mir vertraut.
Ich fange an zu schießen. Nach ein paar Versuchen treffe ich sogar die Zielscheiben. Erst auf sieben Meter, dann auf 15 Meter. Es ist erstaunlich einfach. Wenn man in Ruhe zielt. Besonders mit dem schweren Revolver. Schwere Waffen sind gut für Anfänger, erklärt mir Tom hinterher. Die schlucken den Rückstoß.
Links und rechts von mir wird jetzt auch geballert. Kurz nach mir kommt eine Familie aus Deutschland. Vater, Mutter, zwei kleine Mädchen. Vater und Mutter schießen, die Mädchen sitzen auf der Bank und schauen gelangweilt zu. Rechts von mir steht ein Amerikaner, vielleicht 65 Jahre alt. Er zittert leicht. Er hat rot-blaue Äderchen im Gesicht. Seine Pistole ist laut, bei jedem Schuss scheinen die Wände zu wackeln. Seine leeren Hülsen rollen in meine Kabine. Sie sind nicht viel kleiner als die Shampooflaschen in meinem Hotel. Ich bekomme Kopfschmerzen. So langsam will ich wieder nach Hause. Noch 30 Schuss.
Schließlich bin ich fertig. Pflichtbewusst lege ich die Pistole in den Korb. Ich spanne den Schlitten und nehme das Magazin raus. Tom lächelt immer noch. "Hattest du Spaß, Christian?", fragt er mich. Fun? Als er in Korb blickt, strahlt er. Gut, dass das Magazin daneben liegt, sagt er. "Good for you!", sagt er. Zwei Mal. Dann ruft er seinen Kollegen. Der soll auch mal in den Korb gucken. "Vorbildlich", sagt Tom noch mal. Er wisse das wirklich zu schätzen und sein Kollege auch. Der Kollege nickt und sagt, dass er das zu schätzen wisse.
Ich bezahle die Rechnung. 15 Dollar für die Ausleihe, 70 Dollar für die Munition. Die Miete für die Range schenkt Tom mir. Er sei einfach froh, dass ich zum ersten Mal im Laden war und dabei Spaß hatte. Das meint er ehrlich, glaube ich. Ob ich in Deutschland nicht doch schon mal geschossen hätte, fragt er. Nein, wirklich nicht, das ginge da auch gar nicht so einfach, erkläre ich. Tom nickt, jetzt sieht er traurig aus. Das habe er schon oft gehört. Schade finde er das. Sehr schade.
Beim Herausgehen sehe ich ein Plakat. Es wirbt für einen Abendkurs für Amerikaner, die täglich eine Waffe zur Selbstverteidigung tragen. "Concealed Carry Classes" heißen diese Schulungen. Verpflichtend ist die Teilnahme nicht. Der nächste Kurs findet heute Abend statt. Um 18 Uhr geht es los.
Es gibt drei Tagesordnungspunkte. 1) Rechtliche Grundlagen 2) Schießtraining 3) Psychologische Probleme nach Abgabe eines tödlichen Schusses. Soft Drinks und Snacks werden gereicht. Es gibt eine schriftliche Teilnahmebescheinigung. Dauer des Kurses: zwei Stunden.
Ich lese das Plakat noch einmal. Zwei Stunden steht da. Ein Fußballspiel mit Elfmeterschießen dauert länger. Zum ersten Mal fühle ich mich unwohl. Dieses Plakat ist nicht seltsam. Es ist absurd. Wie dieser ganze Nachmittag, um ehrlich zu sein.
Ich fahre zurück ins Hotel, um mir die Schmauchspuren von den Händen zu waschen.