Viele Tote in Florida Opferzahl durch Hurrikan „Ian“ steigt auf 54

Miami/Fort Myers · Die Zahl der Toten durch Hurrikan „Ian“ ist auf mindestens 54 gestiegen. Die meisten Toten gab es nach Angaben der Behörden im US-Staat Florida, wo Gerichtsmediziner bis zum späten Samstagabend 47 Tote zählten.

 Die Brücke, die von Fort Myers nach Pine Island, führt, ist nach Hurrikan «Ian» stark beschädigt.

Die Brücke, die von Fort Myers nach Pine Island, führt, ist nach Hurrikan «Ian» stark beschädigt.

Foto: dpa/Gerald Herbert

Die meisten von ihnen ertranken. Im US-Staat North Carolina wurden zunächst vier Tote gezählt und auf Kuba drei.

Wenige Tage nachdem Hurrikan „Ian“ über den Südwesten Floridas hinweggefegt ist, herrscht auf den Straßen der US-Küstenstädte Naples, Cape Coral und Fort Myers vor allem eines: Chaos. Weil der Strom noch immer weg ist, funktionieren die Ampeln nicht. An den Kreuzungen, wo oft mehrspurige Schnellstraßen aufeinandertreffen, gilt: Der Stärkere fährt zuerst. Mit Schutt beladene Pick-ups drängeln sich durch den dichten Verkehr. Am Straßenrand türmen sich Trümmerteile, umgestürzte Bäume, Strommasten. Handy- und Internetempfang gibt es kaum.

In den Bezirken Collier County und Lee County war „Ian“ am Mittwoch als Hurrikan der Stufe vier auf Land getroffen. In der Küstenstadt Naples sorgten heftige Winde mit rund 240 Kilometern pro Stunde und starker Regen für die Überflutung ganzer Stadtteile. Auf seinem Weg gen Nordosten richtete der Hurrikan auch in den Küstenstädten Cape Coral und Fort Myers massive Zerstörungen an. Meteorologen zufolge bewegte sich das Zentrum des Sturms vergleichsweise langsam vorwärts und brachte auch deshalb besonders großen Schaden.

Die Region ist wegen ihrer Palmen-Idylle, schicker Jacht-Häfen und Golfplätze beliebt, auch bei Deutschen. Anke Kondek ist vor 20 Jahren aus Deutschland nach Cape Coral gekommen, hat hier ein Zuhause für sich und ihre Familie gefunden. Nun hat Hurrikan „Ian“ es in großen Teilen zerstört. „Ich habe gedacht, ich habe mein Herz, meine Seele, ich habe alles verloren“, erzählt die 54-Jährige über den Moment, als sie nach dem Sturm in ihre Straße zurückkehrte. Viele, die sich vorübergehend in Sicherheit brachten, kehren jetzt zurück.

Kondeks Haus steht zwar noch, doch die Wassermassen haben nahezu alles an Inventar und Möbeln kaputt gemacht - genau wie die beiden Autos der Familie. Gemeinsam mit Helfern räumt Kondek das Haus aus. „Ich schätze, dass der Schaden bei um die 150.000 bis 200.000 Dollar liegt“, sagt Kondek. Im Haus müsse vieles wegen der giftigen Stoffe im Hochwasser renoviert werden. Eine riesige Palme, die im Sturm umgekippt ist, liegt auf dem Dach des Hauses, das auf einer Seite unter der Last nachzugeben droht.

Nach Angaben der Behörden in Florida wird der Wiederaufbau der Region Monate und zum Teil auch Jahre dauern. Noch aber sind die Einsatzkräfte damit beschäftigt, die akute Gefahr für die Menschen in den betroffenen Gebieten zu verringern. Einsturzgefährdete Gebäude sowie Stromleitungen und Bäume, die umzukippen drohen, müssen gesichert werden. In den Abendstunden gilt in manchen Gegenden eine Ausgangssperre.

Noch immer werden Tote in den Trümmern geborgen. Allein im Bezirk Lee County sollen im Zusammenhang mit dem Hurrikan 35 Menschen gestorben sein, wie Sheriff Carmine Marceno am Samstag sagte. Zur Gesamtzahl der Todesfälle in dem Bundesstaat gab es noch keine offiziellen Angaben. US-Präsident Joe Biden hatte am Donnerstag düstere Befürchtungen geäußert und gesagt: „Dies könnte der tödlichste Hurrikan in der Geschichte Floridas sein.“

Auch Sheri Naegele in Naples kämpft mit den Verwüstungen, die ihr Hurrikan „Ian“ und das Hochwasser beschert haben. „Als wir sahen, wie das Wasser durch die Tür kam, wussten wir, dass wir in Schwierigkeiten waren“, erinnert Naegele an die Ankunft des Sturms. Mit Schweißperlen auf der Stirn steht die 59-Jährige wenige Tage später vor ihrem Ferienhaus am noblen Gulf Shore Boulevard, in unmittelbarer Nähe zum Strand. Neben ihr liegen vom Dreckwasser zerstörte Lampen, Sessel, Matratzen, Tische.

Zuerst habe sie noch mit Handtüchern versucht, das Wasser abzuhalten, dann aber sei es von allen Seiten in ihr Haus eingedrungen, erzählt Naegele. Sie habe die Sachen, die sie retten wollte, und sich selbst im oberen Stockwerk vor den Fluten in Sicherheit gebracht. „Wir hatten nicht gedacht, dass es so schlimm werden würde. Wir dachten, unser Haus liegt hoch genug und wird nicht überflutet“, sagt sie. Abends, wenn es dunkel wird, fürchtet sich Naegele am meisten vor Plünderern, die auf ihr Grundstück kommen könnten.

Das Wasser ist im Gulf Shore Boulevard mittlerweile wieder abgeflossen, geblieben aber ist ein beißender Gestank nach Fisch und Müll. Die heiße Sonne Floridas scheint auf den teils schon getrockneten vermüllten Schlamm. Autos, die in den Fluten einfach weggespült wurden, liegen kaputt und deplatziert in Gärten herum.

Besonders verwüstete Gebiete hat die Polizei aus Sicherheitsgründen abgesperrt - so zum Beispiel den durch den Sturm stark beschädigten Landungssteg von Naples, das Wahrzeichen der Stadt. Die Schulen sind zu, vor allem weil es keinen Strom gibt; auch Supermärkte, Apotheken, Restaurants haben geschlossen. Vor den wenigen Geschäften und Tankstellen, die notfallmäßig geöffnet haben, gibt es lange Warteschlangen.

Strom hat auch Sujith Nagaragi nicht. Der 32-Jährige ist Chef eines indischen Restaurants an einer vielbefahrenen Kreuzung. Seinen Stammkunden und allen anderen, die an seinem Restaurant vorbeikommen, bietet Nagaragi seit Freitag ein warmes Essen an. Es gibt eine Portion Reis mit Hühnchen oder Gemüse-Curry - gratis. „Wir können derzeit keine Bestellungen entgegennehmen und um dennoch für unsere Kunden da zu sein, geben wir das Essen gratis aus“, sagt er.

Er und seine Kollegen kochen im Restaurant mit Gas und Stirnlampe, die Ausgabe findet bei Helligkeit vor dem Restaurant statt. Vielen, die sich bei Nagaragi etwas zu Essen holen, sieht man die Müdigkeit und Erschöpfung der vergangenen Tage an. Manche kommen direkt von den Aufräumarbeiten, haben Schlamm an den Schuhen. Ein ältere Frau, die sich als Patty vorstellt, sagt: „Ich habe seit Dienstagabend nichts Warmes mehr gegessen.“ Die Aktion sei „einfach wunderbar“ und zeige, dass die Gesellschaft in dieser schweren Zeit zusammenhalte.

(felt/dpa)
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