Urteil in London gefallen Julian Assange darf an die USA ausgeliefert werden

London · Der Wikileaks-Gründer unterliegt vor dem Londoner High Court: Das Gericht entschied, dass er doch an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden kann. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.

 Wikileaks-Gründer Julian Assange war beim Urteilsspruch selbst nicht anwesend. Er sitzt weiter in Haft im Londoner Belmarsh Prison.

Wikileaks-Gründer Julian Assange war beim Urteilsspruch selbst nicht anwesend. Er sitzt weiter in Haft im Londoner Belmarsh Prison.

Foto: dpa/Dominic Lipinski

Für die Freunde von Julian Assange musste die Auswahl des Freitags für den Urteilsspruch wie blanker Hohn wirken. Ausgerechnet am Internationalen Tag der Menschenrechte kippte der Londoner High Court das Auslieferungsverbot für den australischen Wikileaks-Gründer. Das Gericht, so die Lordrichter Burnett und Lordrichter Holyrode, sei überzeugt, dass die Versicherungen der amerikanischen Behörden über die Zumutbarkeit der Haftbedingungen in den USA glaubhaft seien und ein Selbstmordrisiko ausgeschlossen werden kann. Somit sei eine Überstellung möglich. Julian Assange war bei der Verkündung nicht anwesend. Seine Verlobte Stella Moris bezeichnete die Entscheidung als „gefährlich und unsinnig“, sie sei „ein krasses Fehlurteil“.

Assange wird vom amerikanischen Justizministerium der „unbefugten Enthüllung von Verteidigungsinformationen“ beschuldigt. Im Falle einer Auslieferung drohen dem 50-Jährigen bis zu 175 Jahre Haft. Der Spruch im Berufungsverfahren hebt eine erstinstanzliche Entscheidung vom Januar auf, nach der eine Überstellung von Assange wegen dessen fragilen psychischem Gesundheitszustand nicht statthaft sei. Noch ist der Spruch nicht endgültig: Jetzt steht es den Anwälten von Julian Assange frei, Berufung beim höchsten britischen Gericht, dem Supreme Court einzulegen.

Julian Assange hatte auf der Enthüllungsplattform Wikileaks 2010 und 2011 rund eine Viertelmillion geheime diplomatische Depeschen des US-Außenministeriums veröffentlicht. Berühmt geworden ist ein Video aus dem Cockpit eines Apache-Helikopters, das dokumentiert, wie die Piloten das Feuer auf einen Minibus eröffnen. In dem Video, das Assange „Collateral Murder“ nannte, ist zu sehen, wie rund ein Dutzend unbewaffnete Zivilpersonen und Journalisten niedergeschossen und somit zu Opfern eines offensichtlichen Kriegsverbrechens werden. Die aus den Wikileaks-Veröffentlichungen resultierende Flut an kompromittierenden Enthüllungen machte Assange zu einer Hassfigur in den USA. Amerikanische Politiker verlangten die Todestrafe für den gebürtigen Australier. In der übrigen Welt brachte ihm die Dokumentation von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen durch US-Streikräfte einen Journalismus-Preis nach dem anderen ein.

Im Juni 2012 flüchtete Assange in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragte Asyl, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo man ihm Sexualdelikte vorwarf. Assange fürchtete, dass er aus Schweden an die USA ausgeliefert würde. Sieben Jahre lang verblieb Assange im selbstgewählten Hausarrest, bevor ihm Ecuador 2019 das Asyl entzog und der britischen Polizei erlaubte, ihn in der Botschaft festzunehmen. Seitdem sitzt Assange im Londoner Belmarsh Prison ein, die von seiner früheren Anwältin, jetzigen Verlobten und Mutter seiner zwei Söhne Stella Moris als „britisches Guantanamo“ bezeichnet wurde.

Im Berufungsverfahren, das im letzten Oktober begann, argumentierten die Anwälte des US-Behörden, dass die Sorgen über Assanges psychologischen Gesundheitszustand übertrieben und er nicht suizidgefährdet sei. Man legte ein Bündel an Versicherungen vor, darunter das Versprechen, dass ihm in den USA keine Isolationshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis drohen werde, und offerierte die Aussicht, dass er seine Strafe möglicher Weise in Australien absitzen könne. Team Assange dagegen verwies vor Gericht auf eine Veröffentlichung der Nachrichten-Webseite „Yahoo News“. Sie hatte im September berichtet, dass der US-Geheimdienst CIA unter seinem damaligen Direktor Mike Pompeo geplant habe, Assange zu entführen oder zu ermorden. Stella Moris hatte die Brisanz dieser Enthüllung vor dem Brufungsverfahren unterstrichen: „Die Frage hier ist doch: Kann Großbritannien jemanden in ein Land ausliefern, das ihn umbringen wollte?“ Doch genau dies scheint nun zu geschehen.

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