Mutter schildert Suche nach Maddie "Unsere Familie wird nie vollständig sein"

(RP). Vier Jahre nach dem Verschwinden ihrer Tochter hat Kate McCann ein Buch über die Suche nach ihrem Kind geschrieben: "Madeleine". Das Werk ist ein erschütterndes Dokument eines lebensverändernden Verlustes. Tiefere Erkenntnisse über das, was dem Kind zugestoßen ist, bietet es nicht.

Der Ort an der portugiesischen Algarve, an dem die dreijährige Madeleine McCann im Mai 2007 verschwindet, trägt einen magischen Namen: Praia da Luz, Strand des Lichts. Doch bis heute liegt das Schicksal des Mädchens im Dunkeln. Daran ändert auch das gerade erschienene, 450 Seiten starke Buch von Maddies Mutter Kate McCann nichts. "Ich will die Wahrheit erzählen", gibt die 43-Jährige als Hauptgrund für das Werk an — aber es bleibt natürlich ihre Version der Wahrheit.

"Madeleine" (Lübbe-Verlag) liest sich über große Strecken anrührend, bewegend, aufwühlend; es ist das erschütternde Dokument eines Verlustes, der das Leben der Familie McCann nachhaltig veränderte.

Bis heute ist unklar, was in der Ferienanlage "Ocean Club" am 3. Mai 2007 geschehen ist. Während die Eltern mit Freunden 50 Meter vom Apartment entfernt in einem Restaurant zu Abend essen, verschwindet Maddie. Die Eltern sehen in regelmäßigen Abständen nach ihren Kindern, bei einem Kontrollbesuch liegt die älteste Tochter — sie hat zwei jüngere Geschwister — nicht mehr in ihrem Bett. Eine erste Suche bringt keinen Erfolg, auch die Tage danach verstreichen ergebnislos.

Beispiellose Medienkampagne

Die verzweifelten Eltern stellen eine bis dahin beispiellose Medienkampagne auf die Beine, "Findet Madeleine", bekommen Hilfe von Prominenten wie David Beckham und Cherie Blair. Nichts fruchtet. Die McCanns glauben, Maddie wurde entführt, geraten aber selbst unter Verdacht, ihr Kind getötet zu haben. Doch die Vorwürfe lassen sich nicht erhärten, gefundene DNA-Spuren sind zu vage. Die Ermittlungen werden offiziell eingestellt — genauso wie die Suche.

Genau da setzen die McCanns mit dem Buch an. Sie seien die Einzigen, die noch nach Maddie suchen, und sie brauchten dafür jeden Penny. Rund zweieinhalb Millionen Pfund hat ihre Kampagne bislang etwa für das Honorar von privaten Ermittlern verschlungen, das Werk soll neues Geld generieren. Wie bei allem, was sie in den vergangenen vier Jahren getan hätten, ginge es "letztlich auch bei diesem Buch darum, ob es uns dabei helfen kann, Madeleine zu finden". In England wurden bereits 200 000 Exemplare verkauft — und selbst Scotland Yard ermittelt mittlerweile, hat erstmals ein Team von Top-Leuten nach Portugal geschickt.

Kate McCann liefert nicht nur anhand ihres Tagebuchs eine minutiöse Darstellung der Ereignisse an der Algarve, sondern versucht, ein differenziertes Bild ihrer Familie zu zeichnen. Sie schildert sich selbst als tief im katholischen Glauben verwurzelt und beschreibt ihren Mann Gerry als ehrlichen und offenen Menschen. Gemeinsame Kinder sind ihr Herzenswunsch, der Weg zu Madeleine führt nur über künstliche Befruchtung. Umso enger ist die Bindung. Sie habe Gott gedankt, dass er sie "in unser Leben geschickt hatte". Das alles soll die spätere Reaktion der McCanns erklären, ihr nie ermüdendes Engagement für die Suche nach ihrer Tochter, die weltweit ausgeklügelt geschürte Aufmerksamkeit, an der sich Kritiker der Familie stoßen.

Erinnerung an die letzten gemeinsamen Momente

Immer wieder hadert die Autorin mit ihren damals getroffenen Entscheidungen, würde viele davon gerne rückgängig machen. Und anderes ewig festhalten. Die Erinnerungen an ihre Tochter am letzten Abend, Maddie im "I-Ah-Schlafanzug", ihre letzte gemeinsam gelesene Geschichte "Wenn du glücklich bist und du weißt es!" Der Moment, in dem sie den Verlust realisiert, ist ein Schock: "Übelkeit, Entsetzen, Unglauben, Angst. Eiskalte Angst. Lieber Gott, nein! Bitte nicht!"

Später versuchen die McCanns zu begreifen, was geschehen ist; so war die Restaurant-Reservierung mit dem Vermerk, dass die Eltern nach ihren Kindern sehen, in einer Hotel-Kladde notiert, die am Pool auslag. Eine Einladung für potentielle Entführer. Ihre Freundin will in der Nacht einen Mann gesehen haben, der ein Kind wegtrug — für Kate McCann ein sicheres Indiz, dass ihre Tochter entführt wurde.

Die Mutter spart in ihrem Buch weder die eigenen, selbstzerstörerischen Emotionen aus ("Ich fühlte mich wie ein eingesperrtes, wahnsinniges Tier. Dies war ohne jeden Zweifel die schlimmstmögliche Folter") noch die Vorwürfe ihr gegenüber, der "Frau mit dem Pokerface". Als die Stimmung umschlägt und die Eltern als Hauptverdächtige in den Fokus der Ermittlungen rücken, versteht sie die Welt nicht mehr.

"Unsere Familie wird nie vollständig sein"

"Ich bin mir nicht sicher, ob es irgendetwas auf der Welt gab, das für uns kränkender hätte sein können." Dennoch beweist sie auch Verständnis für die Anschuldigungen ihr gegenüber, sieht sie als Preis, den sie dafür bezahlt, dass sie den Fall in den Medien hält. "Inzwischen haben wir begriffen, dass Madeleines Entführung für alle Eltern schwer zu ertragen ist. Dieses Verbrechen hat bei uns allen die Wahrnehmung dafür geschärft, wie verletzlich unsere Kinder sind und wie zerbrechlich unser Leben ist", schreibt Kate McCann.

Ihr Buch ist das Signal, niemals aufgeben zu wollen. Es klärt weder die Umstände von Maddies Verschwinden noch liefert es Aufschlüsse über eine etwaige Tatbeteiligung der Eltern. Es schildert, wie Menschen — wahrscheinlich lebenslang — Fehler korrigieren wollen. Sie seien stärker geworden, hätten sich an das neue Leben angepasst, schreibt McCann. "Aber unsere Tochter wird immer noch vermisst, und unsere Familie wird ohne sie nicht vollständig sein."

(RP)
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