Krieg in der Ukraine Der Geisterflieger von Kiew

Düsseldorf · Ein unbekannter ukrainischer Pilot wird im Internet als Held gefeiert. Insgesamt zehn russische Jets, Transportflugzeuge und Helikopter soll der „Geist von Kiew“ bereits abgeschossen haben. Aber gibt es den Soldaten wirklich?

Eine ukrainische MiG-29, wie sie der „Geist von Kiew“ angeblich fliegt (Archivbild).

Eine ukrainische MiG-29, wie sie der „Geist von Kiew“ angeblich fliegt (Archivbild).

Foto: Shutterstock/Vladymyr Vorobiov

Der „Ghost of Kyiv“ ist der Star im Internet. Der unbekannte Fliegerheld, der zahlreiche russische Jets im Luftkampf bezwungen haben soll, sammelt zurzeit über Soziale Medien wie YouTube oder Twitter Millionen Klicks und ungezählte begeisterte Kommentare: In einem Video zu sehen ist eine ukrainische Maschine, die gerade einen russischen Jagdbomber vom Himmel holt.

„David besiegt Goliath“, das ermutigt die Zuschauer in der Ukraine und im Westen angesichts der krassen Luftüberlegenheit der Streitkräfte Moskaus. Weniger als 70 ältere ukrainische Kampfflugzeuge sollen 1500 neueren russischen Jets gegenüberstehen.  Es sieht alles sehr realistisch aus: Eine MiG-29 verfolgt einen Jagdbomber vom Typ Sukhoi Su-35, der getroffen wird und mit einer Rauchfahne zu Boden stürzt. Das Video ist als Hochformat von schlechter Qualität, die Bilder sind verwackelt, deutlich hört man das typische Donnergrollen der Flugzeug-Triebwerke, und aufgeregt kommentiert eine Frau im Hintergrund die Szene – ganz so, als habe den Abschuss jemand eher zufällig und zunehmend nervös mit seinem Handy aufgenommen.

Mindestens sechs russische Jagdbomber, Transporter und Hubschrauber soll dieser Pilot vom Himmel geholt haben, schwärmen die Sozialen Medien. Sogar von zehn Luftfahrzeugen berichtete der ukrainische Inlandsgeheimdienst – ein Hoffnungsschimmer nicht nur für die belagerten Kiewer.   Der frühere ukrainische Präsident Petro Poroschenko veröffentlichte ein Foto des kühnen MiG-Piloten, angeblich eines Reservisten, der mit Helm, Brille und Atemmaske allerdings nicht ansatzweise zu identifizieren ist. Nachts kurve er, Superman ähnlich, am Himmel über der Hauptstadt und jage die Schurken, ist im Internet zu lesen. Auch dazu gibt es ein Beweisvideo mit zwei Hochhäusern im Vordergrund. „Das ist genau das, was die Kiewer zurzeit zur Aufmunterung brauchen“, kommentierte ein britisches Nachrichtenmagazin.     

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Foto: AFP/STR

Doch der „Geist von Kiew“ ist nur ein Phantom. Die kurzen Filme sind ein Beispiel für eine Propaganda-Schlacht, die offenkundig auch im Ukraine-Krieg geführt wird. Denn die Szene, so wiesen Experten inzwischen nach, stammt aus einem Computerspiel namens „Digital Combat Simulator World“. Viele dieser Spiele bieten inzwischen so perfekte Darstellungen, dass man zweimal hinschauen muss, um zu erkennen, dass das gezeigte Flugzeug oder der Panzer virtuell am Bildschirm entstanden sind. Was Wahrheit, was Fake ist, können selbst Experten schwer unterscheiden.

Das betrifft auch das Luftkampf-Video: Die Computertechnik macht solche Manipulationen nicht nur bei Fotos, sondern auch bei Bewegtbildern immer einfacher und perfekter. Beide Streitkräfte nutzen ehemalige sowjetische Waffen, was die Unterscheidung auch in der Realität schwierig macht. Die MiG-29 (die Abkürzung steht für das Konstruktionsbüro Mikoyan-Gurewich) stammt ebenfalls aus der Sowjetzeit; eine solche Szene wie im zweiten Video kann vielerorts und zu jeder Zeit entstanden sein. Selbst die deutsche Luftwaffe nutzte nach dem Mauerfall eine Zeitlang 24 MiG-29 aus DDR-Beständen.  

Inzwischen haben die meisten Sozialen Netzwerke das Abschuss-Video allerdings mit Warnhinweisen versehen. Doch der Geisterflieger hat sogar zeitnah Eingang in das Internet-Lexikon Wikipedia gefunden: Es handle sich um die „moderne Sage um ein angebliches ukrainisches Flieger-As“. Vielleicht lebt der tapfere „Geist von Kiew“ aber anderswo doch: in den Köpfen der um ihre Freiheit kämpfenden Ukrainer.

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