Terroranschlag in Wien IS-Terrormiliz reklamiert Anschlag von Wien für sich

Wien · Ein Terroranschlag hat Österreichs Hauptstadt erschüttert. Die Polizei bestätigte mindestens vier getötete Passanten, mehrere Menschen wurden verletzt, viele schweben in Lebensgefahr. Es gab erste Festnahmen. Unter den Todesopfern ist eine Frau aus Deutschland. Der IS hat sich zu dem Anschlag bekannt.

Fotos: Schüsse in Wien nahe Synagoge - Großeinsatz der Polizei und Verletzte - mutmaßlicher Terror
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Schüsse in Wien nahe Synagoge - Großeinsatz der Polizei und Verletzte

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Foto: dpa/Georg Hochmuth

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat Details zu den Todesopfern der Terrorattacke von Wien bekannt gegeben. Es kamen ein älterer Mann und eine ältere Frau, ein junger Passant und eine Kellnerin ums Leben, wie Kurz am Dienstag in Wien sagte. Ein Polizist, der sich dem Täter entgegengestellt habe, sei niedergeschossen und verletzt worden.

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat den Anschlag in Wien mit vier Todesopfern und 22 teils schwer Verletzten für sich reklamiert. Ein „Soldat des Kalifats“ habe die Attacke mit Schusswaffen und einem Messer verübt und in der österreichischen Hauptstadt rund 30 Menschen getötet oder verletzt, darunter auch Polizisten, teilte der IS am Dienstag auf seiner Plattform Naschir News mit.

Kurz hat nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag in Wien vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt. „Es muss uns stets bewusst sein, dass dies keine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen oder zwischen Österreichern und Migranten ist“, sagte Kurz in einer Fernsehansprache an die Nation am Dienstag. Es sei vielmehr ein Kampf zwischen den vielen Menschen, die an den Frieden glaubten, und jenen wenigen, die sich den Krieg wünschten. Religion und Herkunft dürften nie Hass begründen.

„Wir werden die Opfer des gestrigen Abends niemals vergessen und gemeinsam unsere Grundwerte verteidigen“, sagte Kurz an die Adresse der in Österreich lebenden Menschen.

Nach dem Anschlag in Wien hat die Polizei in St. Pölten zwei Menschen festgenommen. Wie die Nachrichtenagentur APA am Dienstag unter Berufung auf einen Polizeisprecher berichtete, gab es in der niederösterreichischen Landeshauptstadt zudem zwei Hausdurchsuchungen. Der „Kurier“ berichtete am Dienstag auf seiner Website, es handele sich um Kontaktadressen des mutmaßlichen Attentäters. Widerstand geleistet habe niemand.

Der mutmaßliche Attentäter, der nach dem Anschlag in der Wiener Innenstadt von der Polizei erschossen worden ist, war 20 Jahre alt und einschlägig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischer Vereinigung vorbestraft. Er habe zudem nach Syrien reisen wollen, um sich dem IS anzuschließen, sagte Innenminister Karl Nehammer am Dienstag der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Deshalb wurde der junge Mann im April 2019 zu 22 Monaten Gefängnis verurteilt. Anfang Dezember sei er vorzeitig entlassen worden. Das teilte Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) der Nachrichtenagentur APA am Dienstag mit. Der mutmaßliche Attentäter besaß nach Angaben von Nehammer neben der österreichischen auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft.

Nach nach Angaben des Gesundheitsverbunds schweben noch viele Opfer in Lebensgefahr, vier Passanten sind verstorben. Mindestens sieben Menschen seien „in kritischem, lebensbedrohlichem Zustand“, sagte eine Sprecherin des Klinikverbandes am Dienstagmorgen der Nachrichtenagentur APA. Zur Identität der Verletzten machte sie keine Angaben. Insgesamt würden 17 Opfer des Angriffs vom Montagabend in mehreren Spitälern behandelt, sagte die Sprecherin weiter. Ein beim Anschlag verletzter Polizist befinde sich in „kritisch-stabilem“ Zustand.

Nach offiziellen Angaben bei der Attacke sind mindestens vier Passanten getötet worden. Es handele sich um zwei Männer und zwei Frauen, bestätigte der österreichische Innenminister Karl Nehammer der Nachrichtenagentur APA. Zudem wurde ein Täter mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund von der Polizei erschossen. Ob er einen oder mehrere Komplizen hatte, ist aus Sicht der Behörden weiter unklar. „Wir können derzeit nicht ausschließen, dass es noch andere Täter gibt“, sagte Nehammer am frühen Morgen. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren.

Bei dem Terroranschlag in Wien ist auch eine Deutsche getötet worden. „Wir haben jetzt die traurige Gewissheit, dass auch eine deutsche Staatsangehörige unter den Opfern des Angriffs in Wien ist“, teilte Außenminister Heiko Maas am Dienstag in Berlin mit.

Die Attacke geht nach den Worten von Nehammer auf das Konto mindestens eines islamistischen Terroristen. Der Attentäter sei ein Sympathisant der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewesen, sagte Nehammer am Dienstagmorgen. Er sei mit einem Sturmgewehr bewaffnet gewesen und habe zudem eine Sprengstoffgürtel-Attrappe getragen. Er habe offenbar Panik verbreiten wollen. Im Umfeld des Täters wurden mehrere Objekte durchsucht. Es seien mehrere Personen festgenommen worden, hieß es aus dem Innenministerium ohne weitere Details.

Die Bevölkerung habe der Polizei inzwischen Tausende von Videoaufnahmen für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt. Die Wohnung des Verdächtigen sei auf der Suche nach belastendem Material durchsucht worden, hieß es. 1000 Beamte seien in Wien im Einsatz.

Die Wiener Innenstadt war zeitweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr erreichbar. Weder Busse noch Bahnen steuerten Ziele im historischen Kern der Zwei-Millionen-Metropole an.

Angesichts des Anschlags will sich Kanzler Sebastian Kurz um 11.30 Uhr in einer Rede an die Bevölkerung wenden. Um 12 Uhr empfangen Kurz und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sowie die Fraktionschefs der Parlamentsparteien im Bundeskanzleramt zu einem Gespräch. Danach folgt eine gemeinsame Kranzniederlegung am Tatort, um der Opfer zu gedenken. Aufgrund der weiteren polizeilichen Ermittlungen wurden die Bürger dazu aufgerufen, die Innenstadt zu meiden.

Der Terrorangriff ereignete sich wenige Stunden vor Beginn des teilweisen Lockdowns in Österreich. Seit Mitternacht sind alle Gaststätten im Kampf gegen die Corona-Pandemie geschlossen. Die ersten Schüsse fielen am Montagabend gegen 20 Uhr nahe der Hauptsynagoge in einem Ausgehviertel Wiens. Nach Augenzeugenberichten feuerte der Täter wahllos in die Lokale. Ein Mann brach tödlich getroffen auf einem Bürgersteig zusammen. Viele Passanten rannten in Panik davon. Einige erhoben die Hände, um der Polizei zu zeigen, dass sie nicht bewaffnet sind.

„Wer einen von uns angreift, greift uns alle an“, sagte Nehammer. Kurz verurteilte den Angriff als „widerwärtigen Terroranschlag“.

Der Polizei zufolge gab es sechs verschiedene Tatorte. Einer davon liegt direkt neben der Synagoge. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, schrieb auf Twitter, es könne nicht gesagt werden, ob sie eines der Ziele war. „Fest steht allerdings, dass sowohl die Synagoge (...) als auch das Bürogebäude an derselben Adresse zum Zeitpunkt der ersten Schüsse nicht mehr in Betrieb und geschlossen waren.“

Österreich hält nach Angaben aus dem Kanzleramt für drei Tage Staatstrauer. Das sei in einer Sondersitzung des Kabinetts am Dienstagmorgen beschlossen worden. Um 12.00 Uhr soll eine landesweite Gedenkminute abgehalten werden. Auf bundeseigenen Gebäuden wurde zudem Trauerbeflaggung veranlasst. Die Bundesregierung wird gemeinsam mit dem Bundespräsidenten sowie den Nationalratspräsidenten, Klubobleuten der im Parlament vertretenen Parteien und in der Wiener Innenstadt einen Kranz niederlegen. Derzeit werde mit allen verfügbaren Kräften mit Hochdruck an der weiteren Aufklärung der Situation gearbeitet, die Hintergründe der Tat erkundet sowie die Lage weiter gesichert, teilte das Kanzleramt weiters mit.

Spitzenpolitiker in aller Welt zeigten sich betroffen. „Nach einem weiteren abscheulichen Terrorakt in Europa sind unsere Gebete bei den Menschen in Wien“, schrieb US-Präsident Donald Trump am späten Montagabend (Ortszeit) auf Twitter. Die USA stünden an der Seite Österreichs, Frankreichs und ganz Europas im Kampf gegen Terroristen, einschließlich radikal-islamische Terroristen.

Sein demokratischer Herausforderer Joe Biden twitterte, er und seine Frau Jill beteten nach dem schrecklichen Terrorangriff in Wien für die Opfer und deren Familien. „Wir müssen alle vereint gegen Hass und Gewalt eintreten“, ergänzte er. In den USA wird am Dienstag ein neuer Präsident gewählt.

Der russische Präsident Wladimir Putin verurteilte den Terroranschlag als ein „brutales und zynisches Verbrechen“. Israels Staats- und Regierungsspitze verurteilte die Attacke ebenfalls. „Unsere Gedanken und Gebete sind mit den Österreichern, während wir die verabscheuungswürdige Terrorattacke aus der vergangenen Nacht in Wien mit Sorge verfolgen“, schrieb der israelische Präsident Reuven Rivlin am Dienstag bei Twitter. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte Österreich volle Solidarität zu.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf Deutsch auf Twitter: „Nach Frankreich ist es ein befreundetes Land, das angegriffen wird. Dies ist unser Europa. Unsere Feinde müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wir werden nichts nachgeben.“ In Frankreich hatte es in den vergangenen Wochen drei Anschläge gegeben, die Ermittler gehen jeweils von einem islamistischen Hintergrund aus.

Grüne verlangen Untersuchung der Deutschland-Bezüge der Attentate von Nizza und Wien

Einsatzkräfte am Schwedenplatz in Wien.

Einsatzkräfte am Schwedenplatz in Wien.

Foto: dpa/Georg Hochmuth

Der Innenausschuss des Bundestages soll sich auf Verlangen der Grünen an diesem Mittwoch mit den Deutschland-Bezügen der islamistischen Anschläge von Nizza und Wien befassen. „Wir müssen deutlich besser werden bei der Beobachtung und richtigen Einordnung von islamistischen Gefährdern“, sagte Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Mittwoch). Die islamistische Gefahr für Deutschland sei gegenwärtig sehr hoch. Sie erwarte vom Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrum (GTAZ), die aktuellen Gefährder noch einmal genau anzusehen, eine Priorisierung vorzunehmen und vorhandene Kenntnisse zu Planungen und Strategien erneut eingehend auszuwerten. „Vor allem müssen wir genau erfahren, inwiefern diese Gefährder über Waffen verfügen und woher sie diese beziehen“, unterstrich Mihalic.

(lha/peng/may/rls/Reuters/dpa/AFP)
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