Geld für gefilmte Gesetzesverstöße Südkoreas Hausfrauen auf Prämienjagd

Seoul · Auf den ersten Blick sieht Jennifer Chung nicht aus wie eine Kopfgeldjägerin. Aber jeden Morgen, wenn Söhne und Mann aus dem Haus sind, macht sich die Hausfrau in Seoul auf die Jagd. Mithilfe einer versteckten Kamera dokumentiert sie für Geldprämien die Gesetzesverstöße ihrer Mitbürger.

Dabei filmt sie Nachhilfelehrer, Gastronomen oder Betreiber von Schönheitssalons. Wie Chung gibt es tausende Südkoreaner, die mit solchen Anzeigen ihr Haushaltseinkommen aufbessern. Für eine Undercover-Mission posiert Chung als normale Kundin und nimmt Gespräche oder Szenen in verdächtigen Einrichtungen auf Video auf, das sie dann den Behörden schickt. "Manche berechnen den Eltern mehr als die staatlich festgesetzten Nachhilfesätze, geben auf den Speisekarten nicht an, wo die Nahrungsmittel herkommen, oder machen Hautbehandlungen, die nur Ärzte durchführen dürfen”, sagt die 54-Jährige. "Das verstößt alles gegen das Gesetz.”

Über 1000 Euro Zusatzverdienst in guten Monaten

Sie zeigt ihren hoch auflösenden Camcorder, der durch ein winziges Loch aus ihrer Geldbörse filmt: "Ich brauche Beweismittel, um sie den Behörden zu melden.” Für jede Anzeige erhält sie Geld - in guten Monaten bis zu 1260 Euro. Viele Südkoreaner, vor allem Frauen mittleren Alters, arbeiten als Ermittler dieser Art.

Die Regierung stellt für das Denunziationssystem immer mehr Geld zur Verfügung, so dass auch Detektiv-Schulen florieren. Dort lernen potenzielle Schnüffler, wie sie ihre Opfer verfolgen, sie auf Film bannen, ja sogar, wie sie ihre Unschuld beteuern, wenn sie Verdacht erregt haben. "Das ist eine ziemlich lukrative Industrie geworden”, sagt Moon Seung-Ok, Gründer der Schule Mismiz. "Manche Leute machen dies als Vollzeitjob.”

Besonders in Wirtschaftskrisen erreiche die Schülerzahl einen Höchststand, weil besonders viele Frauen nach Wegen suchten, das Familieneinkommen aufzustocken.
Auch Moon selbst filmt alles, von Geschwindigkeitssündern bis zu Drogenhändlern. Er findet, die Privatdetektive unterstützen chronisch unterbesetzte und überarbeitete Behörden und Polizeistellen. "Manche Leute werfen uns vor, kein Gewissen zu haben oder Ratten zu sein, die die Schwäche anderer ausnutzen”, sagt er vor Schülerinnen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren.

Kein Grund für ein schlechtes Gewissen

Es gebe aber keinen Grund für ein schlechtes Gewissen, betont er immer wieder. "Das sind Kriminelle, die mit Gesetzesverstößen massenhaft Geld machen. Sie verdienen eine Strafe.” Das Melden von Regelverstößen sei da nur "eine Art patriotische Pflicht - mit Belohnung”.

Ein von Moon verfasstes Lehrbuch listet die Vergehen samt entsprechender Prämie auf, vom Wegwerfen von Zigarettenstummeln oder der Entsorgung von Abfällen in den falschen Tüten bis zu Prostitution und Versicherungsbetrug. Am häufigsten nehmen sich die Privatermittler Nachhilfelehrer vor, die im bildungsbesessenen Südkorea überteuert abrechnen oder Kurse spätabends geben. Damit verstoßen sie gegen Gesetze, die die Ausgaben für Privatstunden und den Druck auf die Kinder dämpfen sollen.

Das Bildungsministerium hat seit Beginn des Programms im Juli 2009 umgerechnet zwei Millionen Euro an Prämien ausgezahlt. Ein Bürger reichte allein mehr als 920 Anzeigen ein, für die er umgerechnet 191.000 Euro erhielt.
Der Juraprofessor Oh Chang-Soo betrachtet die Entwicklung mit Sorge. Die Prämienzahlungen seien "zum Goldesel für Kopfgeldjäger” geworden und beschädigten den Gemeinsinn und den Gerechtigkeitssinn der Gesellschaft, weil sie nur die Kleinen attackieren, sagt er. "Diese Schnüffler stellen Fallen und warten eifrig darauf, dass jemand eine Regel verletzt. Eine solche Praxis wird in der Gesellschaft nur Misstrauen schüren.”

(AFP)
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