Etwa 15 Millionen Tiere auf der Straße Besseres Leben für Hunde in Kairo

Kairo · Jahrhundertelang waren Straßenhunde in Ägypten verhasst. Jetzt bekommen sie die Chance auf ein besseres Leben. Statt vergiftet werden sie heute geimpft und sterilisiert - und so mancher steigt sogar zum Haustier auf.

 Straßenhunde bekommen die Chance auf ein besseres Leben.

Straßenhunde bekommen die Chance auf ein besseres Leben.

Foto: dpa/Christine-Felice Röhrs

Karim Hegasi behandelt in seiner Tierklinik in Kairo Patienten, die in Ägypten lange als Bedrohung galten. Streunende Hunde bevölkern fast alle Viertel der Hauptstadt: Sie streifen über Baustellen, plündern Mülltonnen und heulen in der Nacht auf den Dächern geparkter Autos. Insgesamt sind es nach Angaben der Regierung etwa 15 Millionen Tiere.

Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge beißen sie jedes Jahr rund 200 000 Menschen und verbreiten Tollwut, eine der tödlichsten Infektionskrankheiten weltweit. Zusätzlich angefacht wird die Abneigung vieler Bewohner gegen Hunde durch ein berühmtes islamisches Sprichwort, das dem Propheten Mohammed zugeschrieben wird: Es besagt, dass Engel kein Haus betreten, in dem sich ein Hund aufhält.

Dennoch stoßen die ägyptischen Straßenhunde nach Jahrhunderten des Stigmas bei der Bevölkerung inzwischen auf Akzeptanz und sogar Unterstützung. Immer mehr Ägypter nehmen Hunde als Haustiere bei sich auf. In den Straßen sind Freiwillige mit großen Netzen und Beruhigungsmitteln unterwegs, die die Tiere einfangen, um sie zu impfen und sterilisieren, bevor sie sie wieder freilassen.

Sie gehen damit auf Konfrontationskurs zur Regierung, die bisher auf eine Vergiftung der Streuner setzt. „Ich sehe einen deutlichen Wandel“, sagt der 32-jährige Hegasi in seiner Tierklinik im Nobelviertel Maadi. Die Zeiten, in denen er nur die Hunde ausländischer Besitzer behandelt habe, seien vorbei. Inzwischen seien viele seiner tierischen Patienten domestizierte sogenannte Baladi-Hunde, einst geschmähte Straßenhunde.

Selbst gläubige Muslime entscheiden sich inzwischen für einen Hund als Haustier. Den Widerspruch zwischen ihrem Glauben und ihrer Zuneigung zu den Tieren lösen sie laut Hegasi auf, indem sie die Vierbeiner im Hinterhof oder auf dem Dach halten.

Vor allem reiche Ägypter und Mitglieder der Mittelschicht übernehmen vermehrt die westlich-geprägte Idee. In größeren Städten des Landes breiten sich Tierpensionen, -cafés und -friseure aus. Hundebesitzer teilen ihre Begeisterung in sozialen Medien.

Eine Facebook-Gruppe für Tierarzt-Empfehlungen wuchs zu einer Community von 13 000 Tierfreunden an, die sich dort über die Rettung von Straßenhunden austauschen. Dutzende neue Tierheime vermitteln auf Instagram herrenlose Vierbeiner.

In wohlhabenderen Viertel von Kairo ziehen Tierschützer los, um gegen die grausamen Methoden der Regierung zur Eindämmung der Hundepopulation vorzugehen. Nach Angaben von Aktivisten und Einwohnern verteilen die Behörden regelmäßig über Nacht Giftköder in der Stadt. Morgens lägen dann Berge von toten Hunden auf der Straße, sterbende Tiere jaulten bitterlich.

„Es ist eine schreckliche Art zu sterben“, sagt Mohammed Schehata, Gründer der Organisation Ägyptische Tierärzte für Tierpflege, kurz EVAC. Die Gruppe mit Sitz in Maadi betreibt das landesweit erste Sterilisierungsprogramm für Straßenhunde.

Die zuständige Regierungsorganisation reagierte nicht auf Fragen zu ihrem Vorgehen. Kürzlich beschrieb sie aber in einem Bericht streunende Hunde als „Zeitbombe, die unsere Kinder bedroht“ und verteidigte unter Berufung auf islamisches Recht die „gnädige Tötung von Hunden, die Menschen schaden“.

Die Tötung hat eine lange Tradition. Schon Napoleons Truppen hatten nach der französischen Invasion in Ägypten im Jahr 1797 wegen des lauten Gebells in zwei Nächten sämtliche Straßenhunde in Kairo erschossen. Nach Angaben des US-Historikers Juan Cole hatten die Tiere vermutlich als informelle Wachhunde in den verwinkelten Gassen der Stadt gedient. Auch in den frühen 1800er Jahren wurden angesichts eines rasanten Wachstums der Stadt massenhaft Hunde erschossen und vergiftet, wie der Professor für osmanische Geschichte, Alan Mikhail, von der Universität Yale sagt.

Heute setzt sich nach Angaben von Tierarzt Schehata aber die Überzeugung durch, dass „Gift keine echte Lösung gegen Tollwut oder tierische Überbevölkerung“ ist. Bei der Vergiftung der Hunde wird die Substanz Citrinin verwendet. Ein Großteil davon versickert aber im Boden und vergiftet Gärtner, Müllmänner und Kinder, die auf der Straße spielen. Das Sterilisierungprogramm seiner Organisation sei „ein menschlicherer, wissenschaftlicher und effektiver Weg“, um die Population zu regulieren, sagt Schehata.

Die Gruppe begann in diesem Monat mit der ersten Massen-Impfung gegen Tollwut in Ägypten. Hintergrund ist das Ziel der WHO, Todesfälle bei Menschen durch von Hunden übertragene Tollwut bis 2030 auszurotten. Die Sterilisation von Tieren in mindestens sechs Bezirken der Hauptstadt zeigt bereits erste Erfolge. Nach Angaben örtlicher Gruppen stabilisierte sich die Population oder ging sogar zurück, und das Tollwut-Risiko nahm ab. Schehatas Teams haben nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren rund 10 000 Streuner behandelt.

Hundehasser vergiften zwar noch immer Futter und fordern Hundefänger der Regierung an, wie Rascha Musseini aus Maadi erzählt, die ein Ausbildungszentrum für Tierärzte leitet. Die Bemühungen von Gruppen wie EVAC förderten aber das Mitgefühl mit den Tieren. Anwohner kümmern sich inzwischen um die Fütterung und tierärztliche Untersuchung von Straßenhunden. Noch vor fünf Jahren waren EVAC-Freiwillige aus dem Viertel vertrieben worden.

Dennoch bleibt die Zukunft der ägyptischen Straßenhunde nach Ansicht leitender Veterinäre ungewiss. Denn noch fehlten eine rechtliche Grundlage und staatliche Mittel für den Schutz der Tiere, erklärt Hegasi. „Wir werden unser Bestes tun, um unsere Ziele zu erreichen“, sagt er, während er seinen nächsten bellenden und schnüffelnden Patienten ins Untersuchungszimmer trägt. „Aber es wird viel länger dauern.“

(ala/dpa)
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