Spanische Regierung bricht Kampagne ab Body-Positivity-Models erkennen sich auf Plakat wieder – Fotos ungefragt verwendet

Düsseldorf · Menschen sollten sich im Sommer wohl in ihrem Körper fühlen. Dafür hatte die spanische Regierung in der vergangenen Woche eine Kampagne angekündigt. Nun kommt heraus: Die abgebildeten, gezeichneten Frauen gibt es wirklich – und einige ihrer vermeintlichen Makel wurden wegretuschiert.

 Im Sommer nackte Haut – zum Beispiel durch Badeklamotten – und seine Makel zu zeigen ist für viele Menschen schwer (Symbolbild).

Im Sommer nackte Haut – zum Beispiel durch Badeklamotten – und seine Makel zu zeigen ist für viele Menschen schwer (Symbolbild).

Foto: CC/Antoni Shkraba

Wer sich in seinem Körper nicht immer wohlfühlt, kennt das vielleicht: Der Sommer kann schwieriger als andere Monate sein. Denn in kurzen Klamotten lassen sich warme Temperaturen besser aushalten. Aber weniger Kleidung am Körper heißt auch immer, dass weniger von dem verdeckt wird, was viele vielleicht lieber verstecken würden, weil sie es nicht mögen. Vor allem Frauen und Menschen, die nicht der geltenden „Schönheitsnorm“ entsprechen, fühlen sich häufig unter Druck gesetzt, gut auszusehen. Sie trauen sich deshalb oft nicht, so rauszugehen, wie sie sind. Ohne sich zu rasieren, ohne Pickel abzudecken, oder die Monate davor auf die Gewichtsanzeige der Waage zu achten. Ohne sich keine Gedanken über den eigenen vermeintlich nicht makellosen Körper zu machen.

Deshalb kam die Kampagne der spanischen Regierung, die am vergangenen Mittwoch, 27. Juli, angekündigt wurde, eigentlich genau im richtigen Moment. Das spanische Gleichstellungsministerium veröffentlichte das passende Plakat zur Kampagne am Mittwochmorgen auf Twitter. Darauf zu sehen sind fünf gezeichnete Frauen am Strand, die alle vermeintliche Makel haben: Haare am Körper, Dehnungsstreifen oder eine Narbe und eine entfernte Brust nach einer Krebserkrankung. Vier von fünf Frauen sind auch mehrgewichtig.

 Der Tweet-Beitrag ist mittlerweile gelöscht. Wir haben ihn mit der Waybackmachine – einem Online-Archiv, in dem Privatmenschen Momentaufnahmen einer Seite speichern können – zurückverfolgt.

Der Tweet-Beitrag ist mittlerweile gelöscht. Wir haben ihn mit der Waybackmachine – einem Online-Archiv, in dem Privatmenschen Momentaufnahmen einer Seite speichern können – zurückverfolgt.

Foto: Julia Marie Braun

„Mehrgewichtig“ ist dabei eine Bezeichnung, die verwendet wird, weil sich Menschen in der deutschen Body-Positivity-Bewegung auch selbst so nennen. Sie argumentieren, dass „übergewichtig“ diskriminierend wirke und mit der Körperform keine Aussage über die Gesundheit und den Wert eines Menschen getroffen werden könne. Zusätzlich ist auf dem Plakat des Ministeriums das Statement zur Kampagne „El verano también es nuestro“ zu sehen, das zu Deutsch bedeutet: „Der Sommer gehört auch uns“.

Ein guter Gedanke, deshalb hat auch unsere Redaktion darüber berichtet. Doch die Kampagne des spanischen Gleichstellungsministeriums ging nach hinten los, weil die fünf Frauen echt waren. Die Person, die das Plakat illustriert hatte – ArteMapache, wie sie auf Twitter heißt – hatte die Models ohne Erlaubnis von Fotos abgezeichnet und auf dem Bild zusammen an den Strand gestellt. Auf Twitter bestätigte sie das und äußerte sich am Donnerstag 28. Juli, um 19.07 Uhr deutscher Zeit, nachdem Vorwürfe von Betroffenen bekannt wurden: „Zunächst möchte ich mich öffentlich bei den Models dafür entschuldigen, dass ich mich von ihren Fotos für die Kampagne [...] inspirieren ließ.“

Um den Schaden, der durch ihr Verhalten entstanden sei zu mindern, wolle sie mit den Betroffenen Kontakt aufnehmen, sich aus den sozialen Netzwerken fernhalten und den Gewinn aus ihrem Werk in gleichen Teilen unter den Frauen des Plakats aufteilen, sagte „ArteMapache“. 4.490 Euro habe sie für ihre Arbeit vom Ministerium erhalten, das bestätigt auch die Regierung selbst auf Twitter. Außerdem sagte sie, sie habe eine Schrift verwendet, für die sie eine Lizenz hätte erwerben müssen. Das würde sie nun nachholen.

Zu den Kritikern gehört das britische Plus-Size-Model Nyome Nicholas-Williams. Sie meldete sich am Mittwochabend, 27. Juli, um 23.40 Uhr auf Instagram zu Wort. Sie ist eine der Betroffenen, dargestellt als die vierte Frau von links im Bild mit einem gelben Bikini. Sie schaut mit dem Kopf nach hinten und lächelt. Nicholas-Williams sagte über das Plakat: „Es wurde mir gerade erst geschickt... Mein Bild wird von der spanischen Regierung in einer Kampagne benutzt [...] Tolle Idee, aber schlechte Ausführung!“ Auf Instagram verfolgen mehr als 80.000 Menschen ihre Fotos und ihr Leben. Bekannt ist das Model vor allem, weil sie sich starkmacht gegen Rassismus, Diskriminierung, Body Shaming und für Selbstakzeptanz.

Sie würde nie „Nein“ sagen, „wenn es für den guten Zweck ist“, teilte Nicholas-Williams mit, aber sie würde gerne um Erlaubnis gebeten werden, wenn jemand ihre Bilder oder ihr „Konterfei“ verwenden möchte. In einem späteren Statement mutmaßt sie: „Aber ich vermute, weil ich eine mehrgewichtige schwarze Frau bin, muss ich nicht gefragt werden.“ Außerdem schrieb sie: „Nur weil ich es gut verkrafte, heißt das nicht, dass es nicht schwer ist! Habe ich es nicht verdient, gefragt zu werden [...]? Habe ich es nicht verdient, für die Verwendung dieses Bildes bezahlt zu werden?“ Die Betroffene betont: „Ich bin wirklich erschöpft und ausgelaugt! Es ist einfach zu viel.“ Vor zwei Jahren war schon einmal ein Bild von ihr ungefragt verwendet und veröffentlicht worden, sagte sie. Seitdem sie von der Kampagne erfahren hat, hat sie ihrem Ärger in mehreren Instagram-Posts Luft gemacht.

Empört reagierten auf Instagram auch zwei andere der insgesamt fünf gezeichneten Frauen, die sich auf dem Plakat wiedererkannten. Denn ihr Körper wurde in der Zeichnung deutlich verändert. Eine davon ist Sîan Green-Lord, die als 23-Jährige 2013 bei einem Unfall in New York von einem Taxi angefahren wurde und ihr linkes Bein in der Folge verloren hatte. Sie trägt heute eine Prothese. Doch die wurde auf dem Plakat durch ein gesundes Bein ersetzt, sie ist die erste Frau von links auf einem Handtuch. Die Pose auf der Illustration ist ansonsten fast gleich, sie hält ein Cocktailglas in der Hand und formt mit ihren Händen das „Peace“-Zeichen in der Luft.

Auf dem Plakat ist ansonsten Körperbehaarung hinzugefügt worden, die im Originalfoto nicht erkennbar ist, doch um die geht es dem Model nicht. Sie schreibt in einem Instagram-Beitrag vom 2. August, 9.29 Uhr deutscher Zeit: „Dieses Bild stellt nicht mehr dar, wie ich eine schöne Zeit mit meinen Freunden habe“. Es war aufgenommen worden in einem Urlaub der Betroffenen. „Jetzt macht mich dieses Bild einfach nur extrem traurig!“, betont sie. Ihr Selbstvertrauen sei auf einem „absoluten Tiefpunkt angelangt“ und viele Gefühle aus ihrer Vergangenheit seien hochgekommen.

Die Dokumentation “No Fare: The Sian Green Story“, die den tragischen Unfall von Green-Lord und die psychischen sowie körperlichen Folgen ihres Schicksals beleuchtet, zeigt, wie der Moment des Unfalls ihr Leben verändert hat. Mitte Juli gab es dafür die Weltpremiere, wie das Filmlabel „Spoon Jar Film“ bekannt gibt. Die Betroffene macht im Beitrag deutlich: „Mein Bein ist nichts, wofür man sich schämen muss! Es ist ein Produkt von Stärke, Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit.“ Nun brauche sie Zeit, die aufwühlenden Gedanken wieder loszulassen, die durch die Art und Weise wie die Kampagnen-Ankündigung ausgesehen hatte, ausgelöst wurden.

Die spanische Regierung reagierte auf die Kritik der beiden Betroffenen am Samstag, 30. Juli um 11.46 Uhr deutscher Zeit. Das Gleichstellungsministerium äußerte sich erneut auf Twitter: „In Bezug auf das Plakat ,Der Sommer gehört auch uns‘ möchten wir klarstellen, dass wir zu keinem Zeitpunkt wussten, dass es sich um echte Modelle handelte.“ Sie würden das mit „ArteMapache“ und den betroffenen Personen aufarbeiten und sich für den entstandenen Schaden entschuldigen.

Die Leiterin des Gleichstellungsministeriums, Antonia Morillas, teilte das Statement des „Instituto de las Mujeres“ auf ihrem Twitterprofil. Zuvor hatte sie – als die Vorwürfe schon bekannt gewesen waren – in mehreren Tweets auf die Kampagne hingewiesen, aber war nicht auf die Kritik eingegangen. So zum Beispiel am 28. Juli, um 21.38 Uhr deutscher Zeit: „Jedes Mal, wenn sie auf unseren Körper hinweisen, wenn sie uns zensieren, weil wir dick sind, Haare, Dehnungsstreifen, Cellulite oder Narben haben, greifen sie unser Selbstwertgefühl und damit unsere Gesundheit an. Unsere Körper und unser Leben sind gültig.“ Das würden die Betroffenen sicher auch unterschreiben, weil sie sich selbst in den sozialen Netzwerken für Body Positivity stark machen. Doch nicht auf die Kritik zu reagieren, stieß bei den Betroffenen auf.

Die dritte Betroffene, die sich öffentlich geäußert hatte, ist Juliet FitzPatrick – eine Autorin, die sich nach einer Krebserkrankung beide Brüste hatte entfernen lassen müssen. Das wird häufig getan, wenn die Personen bereit dazu sind, um das erneute Krebsrisiko zu vermindern. Auf dem Bild ist FitzPatricks Gesicht zu erkennen bei der zweiten Frau von links, die allerdings nur die linke Brust entfernt hat. Laut einer Recherche des stern-Magazins könnte es sich bei der Zeichnung um eine Kombination zweier Frauen handeln, die von der gleichen Fotografin in Szene gesetzt worden sein könnten. Auf Instagram meldete sich FitzPatrick am Mittwoch, 3. August in einer Instagram-Story zu Wort – einem Format, das nach 24 Stunden auf dem Profil erlischt und nicht mehr zu sehen ist. Dort schreibt sie: „Ich habe eine Entschuldigung erhalten und @curvynyome [Nyome Nicolas-Williams] und @sianlord_ [Sîan Green-Lord] nicht. Warum?“

Bisher gab es dazu keine weitere Stellungnahme seitens des Gleichstellungsministeriums (Stand: 3. August, 17 Uhr). Allerdings hat das „Instituto de las Mujeres“ den Tweet-Post mit der Ankündigung der Kampagne „Der Sommer gehört auch uns“, der am Mittwoch geteilt wurde, entfernt. Wir hatten diesen Beitrag in einem ersten Bericht zur spanischen Idee eingebettet, er ist allerdings im Netz nicht mehr auffindbar. Unsere Recherche mit der Waybackmachine – einem Internetarchiv, in dem private Menschen Seiten und Beiträge im Internet für die Zukunft speichern können – hat allerdings den ursprünglichen Post noch gespeichert.

Dort schrieb das Gleichstellungsministerium: „Der Sommer gehört auch uns. Genieße ihn wie, wo und mit wem du willst. Heute stoßen wir auf einen Sommer für alle an, ohne Stereotypen und ohne ästhetische Gewalt gegen unseren Körper.“

Der Gedanke ist richtig und für viele Menschen sicher auch wichtig – vor allem für die, die sich für ihren Körper schämen, die nicht mehr ins Schwimmbad wollen, damit sie sich nicht zeigen müssen und jeden Menschen, der an sich und seinem Aussehen zweifelt. Doch die Art und Weise hat die dargestellten Personen verletzt und verunsichert die, die sich in ihrer Haut nicht wohlfühlen - erneut. Darunter auch solche, die so mutig waren, gegen Schönheitsdruck und eine schlechte Wahrnehmung des eigenen Körpers anzukämpfen wie die Betroffenen dieser Kampagne selbst. Nun bleibt abzuwarten, was die weiteren Schritte der spanischen Regierung und von „ArteMapache“ sind.

(jmb)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort