Andamaneninsel North Sentinel „Niemand hat Zugang zu diesen Menschen“

Neu Delhi · North Sentinel ist einer der abgeschiedensten Orte der Welt. Auf der Insel lebt ein Urvolk, das Besuche von Fremden ablehnt. Über die Menschen auf North Sentinel ist fast nichts bekannt. Jetzt ist auf der Insel ein US-Bürger zu Tode gekommen.

Missionar John Allen Chau auf abgeschiedener Insel North Sentinel getötet
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Missionar auf abgeschiedener Insel North Sentinel getötet

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Foto: AFP/HANDOUT

Der tödlich gescheiterte Missionierungsversuch eines US-Bürgers auf der Andamaneninsel North Sentinel dürfte nicht zuletzt an der Sprache gescheitert sein. „Es ist völlig offen, welche Sprache sie sprechen, wie alt sie ist“, sagt die Wissenschaftlerin Anvita Abbi, die seit Jahrzehnten die Sprachen der Stämme Andamanen und Nikobaren erforscht.

Der 26-jährige US-Bürger hatte sich von Fischern heimlich in die Nähe von North Sentinel bringen lassen, offenbar weil er die dort völlig isoliert lebenden Menschen zum Christentum bekehren wollte. Schon bei seiner ersten Landung griffen ihn Einwohner an. Ihre Sprache bestehe aus vielen hellklingenden Tönen, schrieb er anschließend. Beim zweiten Kontaktversuch wurde er getötet.

Forscher glauben, dass die Sentilenesen vor etwa 50.000 Jahren von Afrika auf die Insel ausgewandert sind. Diese gehört zu Indien, liegt aber näher an Myanmar als zum indischen Festland. Die Einwohner leben offenbar seit Jahrtausenden abgeschieden vom Rest der Welt auf der dichtbewaldeten Insel. Sie jagen mit Speeren, Pfeilen und Bogen und sammeln essbare Pflanzen und Früchte. Viel mehr ist nicht bekannt, weil das Urvolk jeden angreift, der in seine Nähe kommt.

Kontakt zur Außenwelt ist lebensgefährlich

„Die Sentinelesen wollen alleine gelassen werden“, sagt der Anthropologe Anup Kapur. Abbi ergänzt: „Wir wissen nicht einmal, wie viele sie sind. Niemand hat Zugang zu diesen Menschen.“ Und so solle es auch bleiben. „Warum sollten wir nur wegen unserer Neugier einen Stamm stören, der es für Zehntausende von Jahren allein ausgehalten hat?“, fragt sie. Vieles könne dann verloren gehen - die Menschen, ihre Sprache, ihr Frieden.

Über Generationen hinweg hat Indien Besuche auf North Sentinel strikt begrenzt. Sie beschränkten sich auf ein paar Geschenke - Kokosnüsse oder Bananen, die einige wenige Beamte den Inselbewohnern überließen.

Wissenschaftler warnen, jeder Kontakt sei lebensgefährlich - vor allem für die Inselbewohner. Andere Stämme auf den Andamanen sind im Laufe des vergangenen Jahrhunderts von Krankheiten dahingerafft worden. Andere sind ausgewandert oder haben Auswärtige geheiratet.

„Selbst geringe Einflüsse können sie töten“, sagt der Anthropologe P.C. Joshi von der Universität Delhi. „Wir sind sehr gefährliche Leute geworden.“

Abbi sagt, Forscher begrenzten ihre Besuche bei Ureinwohnern auf wenige Stunden pro Tag. Schon bei einer leichten Erkältung blieben die Wissenschaftler zu Hause.

Dem Missionar könnte auch eine Gesetzesänderung zum Verhängnis geworden sein. „Die Behörden haben eine der Beschränkungen aufgehoben, die die Inseln sentinelesischer Stämme vor ausländischen Besuchern geschützt haben“, erklärt die Organisation Survival International. Theoretisch sei es jetzt möglich, Teile der Andamanen zu besuchen, die zuvor völlig tabu waren. „Das war genau die falsche Botschaft, die zu diesem schrecklichen Ereignis beigetragen haben könnte.“

(jco/AP)
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